Die beiden Männer sind so unterschiedlich, wie man unterschiedlicher kaum sein kann. Gerold Hildebrand beteiligte sich schon als Schüler an Protesten gegen staatliche Willkür in der DDR. Er durfte nicht studieren, weil er den Einsatz mit der Schusswaffe an der Grenze ablehnte.Sein Freund Matthias Domaschk starb kurz nach der Inhaftierung durch die Stasi. Heute ist Hildebrand Mitarbeiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Ganz anders Matthias Warnig. Er ist das Gegenmodel zu Hildebrand. Schon in jungen Jahren ging der Sohn eines SED-Bürgermeisters zur Stasi. Nach der Wende wurde er zu einem erfolgreichen Banker. Zu einer Top-Karriere verhalf ihm Wladimir Putin, den er offenbar noch als Stasi-Mann in der DDR kennenlernte. Warnig hat eine Schlüsselrolle im System Putin. Bei internen Konflikten unter Putins Oligarchen ist der deutsche Vertraute des Kreml-Chefs eine Art Schiedsrichter. Gemeinsam mit Gerhard Schröder steht er an der Spitze der Ostsee-Pipeline.
Die beiden so unterschiedlichen Männer gingen auf die selbe Schule und kennen sich von früher. Hildebrand hat nun einen Brief an den durch Putin reich gewordenen Warnig geschrieben, der heute in Staufen bei Bad Krozingen im Breisgau residiert – und bei dem Schröder regelmäßig zu Gast sein soll und auch Putin schon inkognito vorbeigeschaut hat. Hier der offene Brief von Hildebrand.
Mein Vater Herbert Hildebrand war Lehrer-Kollege deines Großvaters Fritz im beschaulichen niederschlesischen Ruhland in der Oberlausitz, deine Mutter Brigitte SED-Kreisschulrätin. Du warst eine Klasse tiefer (ich meine jetzt: in der Schule) und wir sind zusammen im Bus nach Lauchhammer zur Penne gefahren. Du wirst dich erinnern, auch wenn es ein halbes Jahrhundert her ist. Unsere Lebenswege verliefen sehr sehr unterschiedlich. Du hast dich, als noch Minderjähriger, von der Stasi anwerben lassen, deine Mutter war gerade mit dem Stasi-Offizier Siegl der Kreisdienststelle Senftenberg liiert. Finsterwalde.
Das kam alles raus nach Öffnung der Stasi-Akten, wofür ich 1990 stritt. Später wurde noch mehr offenbar oder hier.
Dazumal in der Schule war nur auffällig, dass ihr – du und dein wohl einziger Kumpel Lungwitz, der Sohn des SED-Bürgermeisters – euch immer etwas absondertet und als rot angehaucht galtet. Ach, hätten wir dich damals nur mal mitgenommen auf die Tramptouren zur Musik oder ins Zollhaus, das 1967 (okay, da waren wir zwölf) als zweitgrößter Beatschuppen der Ostzone galt. Da erfuhr man von Drangsalierten, was im kommunistischen Staatsbürgerkundeunterricht nicht gelehrt wurde. Und es konnte einen bewahren vor der ideologischen Zurichtung auf ein totalitäres Feindbild hin. Ich jedenfalls brauchte fürderhin kein DDR-Hochschulstudium mit anhaltender Rotlichtbestrahlung, das mir ohnehin verwehrt wurde, weil ich an der innerdeutschen Grenze nicht schießen wollte und deshalb dort auch nicht „dienen“ musste, weil ich zutreffend als unzuverlässig eingeschätzt wurde: „keine sozialistische Wehrmoral“. Man muss nicht funktionieren und kann in einer Diktatur auch Nein sagen.
Du hingegen hast es ja weit gebracht, dass sogar ein Spielfilm von dir handelt, ein zweifelhafter Ruhm. Regisseur Marc Bauder und Drehbuchautorin Dörte Franke (ihre Mutter Uta war 1979 von der Stasi, bei der du in Lohn und HO-Brot standst, inhaftiert worden) haben das Problem des Verdrängens und Weitermachens recht gut getroffen. Da wären wir schon mittendrin.
Warum tippe ich das jetzt eigentlich? Es gab einen aktuellen Artikel, der eine windelweiche Erklärung von dir zitiert: „’Ich persönlich halte diese kriegerische Auseinandersetzung für unverantwortlich‘, steht in dem Schreiben von Anfang März. ‚Ich konnte es mir nie vorstellen, eines Morgens zu erwachen und nach mehr als 30 Jahren Frieden ist Krieg in Europa.‘ Einen militärischen Konflikt in der Ukraine habe er nicht erwartet. ‚Das war ein für mich ein unbeschreiblicher Irrtum.’“
Nun ja, immerhin faselst du nicht von „Spezialoperation“ und „Entnazifizierung“. Ich halte Lernprozesse für nicht ganz ausgeschlossen. Aber es reicht nicht aus, sich so, als wäre nichts geschehen, als Kultur-Mäzen zu gerieren, da hat Bürgermeister Benitz ganz recht, solcherart Petro-Rubel zurückzuweisen.
Vielleicht ist dir ja mal der Ignazio Silone zugeschriebene Spruch untergekommen: „Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.“ Das trifft nun haargenau auf deinen Waffenbruder, Busenfreund und Kriegsverbrecher, den Genossen Wladimir Putin zu. Richtig, „рашисты!“, werden die Invasions-Truppen nun genannt, die diesen grauenvollen Vernichtungskrieg gegen ukrainische Bürger führen. Von dieser KGB-Sumpfpflanze war auch nichts anderes zu erwarten. Grosny, Georgien, Transnistrien, Aleppo … waren nur der Anfang. Die Morde an Regimegegnern kommen hinzu. Auch du hast mit deiner Firma wohl mitgeholfen bei der Enteignung und Inhaftierung Chodorkowskis?
In unserem DDR-Geschichtsunterricht war der Hitler-Stalin-Pakt kein Thema. Putin und seine Nomenklatura gehen darüber hinaus mit ihrem Einmarsch in die souveräne Ukraine seit dem 21. Februar 2022, nachdem bereits die Krim 2014 völkerrechtswidrig annektiert wurde, wobei auch die Motorrad-Bande „Nachtwölfe“ mitwirkt, die getrost als nationalistisch und stalinistisch eingeordnet werden kann. Hinzu kommen Kadyrows islamistische Truppenteile und die paramilitärische Söldner-Gruppe „Wagner“.
Der zu erwartende Untersuchungsausschuss zur Frage, wie es zur ökonomischen Abhängigkeit der Bundesrepublik von Russland kommen konnte, beträfe nur Politiker. Du bist ja eher eine Art Führungsoffizier der Gschaftlhuber in Putins Diensten – und die Führungsoffiziere kommen erfahrungsgemäß besser weg als die Inoffiziellen. Vielleicht aber ändert sich das gerade. Wie kommst du da jetzt also raus aus der Nummer? Man kann jederzeit noch etwas halbwegs Ordentliches aus seinem Restleben machen, wenn man nur zur Umkehr bereit ist.
Du musst ja jetzt nicht gleich zerrissene ukrainische Flüchtlingshalbfamilien aufnehmen, wie das europaweit alle tun, die das können. Als ukrainischer Vertriebener würde ich da auch dankend ablehnen und eher auf dem Bahnhof übernachten. Ist aber vermutlich sowieso schon voll bei dir, weil, was ich nicht für ganz ausgeschlossen hielte, da schon Putins Angehörige hocken.
Aber du könntest doch etwas von deinem KGB-Salär spenden, zum Beispiel für die Evakuierung der Einwohner von Mariupol – du weißt ja wie es um die Menschen in Charkiw, Kyjiw und anderen ukrainischen Städten aktuell steht, falls du nicht nur Putin‘sche Propagandakanäle schaust.
Geradezu mutig wäre, wenn du einen Abfangjäger kauftest, der für eine Flugverbotszone in der Ukraine sorgen und eindringende Flugkörper der Russischen Föderation entsorgen würde. Der könnte ja unter der Flagge von Nauru oder Tuvalu segeln. Da wäre die Nato fein raus. Mit ein bisschen Verhandlungsgeschick bekommst du das schon hin. „Gimme shelter“, sängen die Rolling Stones dazu: „War, children / It’s just a shot away“. Okay, das war jetzt der bitterernste Satire-Absatz.
Ich glaube, dass es die Ukrainer mit Unterstützung der freien Welt schaffen werden, ihre und unsere Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Jedenfalls bete ich dafür, so wie es dein Großvater tat, der häufig die schöne Ruhlander Kirche besuchte. Und ich spende dafür auch an Hilfsorganisationen.
Vielleicht gibt es später tatsächlich mal eine „Spezialoperation“, um die KGB-Akten vor dem Schreddern zu retten und aufzuarbeiten. Und eine „Entmilitarisierung“ – nämlich von Königsberg. Es könnte sogar sein, dass wir eine Entputinisierung noch erleben dürfen. Allerdings ist das kein Selbstlauf. Vorerst werden sich der Genosse Putin und sein Apparat die Zähne ausbeißen.
Solltest du etwas Muße finden dieser Tage, dann schau dir doch mal mit deiner Familie die Serie „Diener des Volkes“ an, zu finden in der arte-Mediathek.
Bild: Screenshot YoutubeText: Gast