„Ein Café? – Es ist Krieg!“ Moskau schließt kritische Sender, US-Firma löscht kritische Infos

Von Ekaterina Quehl

Wer in Russland lebt und sich darüber informieren möchte, was heute in der Ukraine wirklich los ist, dem wird es über die russischen Medien kaum möglich sein. Denn die meisten großen Medien berichten ohnehin nur das, was der Kreml ihnen vorschreibt, und die wenigen kritischen Medien, von denen fast alle als Pranger den offiziellen Status eines sogenannten „Ausländischen Agenten“ vor sich her tragen müssen, werden nun vom Roskomnadzor – dem Föderalen Aufsichtsdienst im Bereich der Kommunikation – zu einer Berichterstattung stramm nach Kreml-Vorgaben aufgefordert. Anderenfalls droht ihnen eine hohe Geldstrafe bzw. eine Abschaltung.

In der Meldung des Aufsichtsdienstes heißt es unter anderem:

„…Auf diesen Ressourcen werden unter dem Deckmantel objektiver und realistischer Berichterstattung öffentlich wirksame falsche Informationen über den Beschuss ukrainischer Städte und den Tod von Zivilisten in der Ukraine infolge der Aktionen der russischen Armee veröffentlicht. Außerdem wird in veröffentlichten Materialien die laufende Militär-Operation Angriff, Invasion oder Kriegserklärung genannt.
Im Falle einer Nichterfüllung der Forderung, die falschen Informationen zu entfernen, wird der Zugriff auf diese Ressourcen gemäß Art. 15.3 des Bundesgesetzes Nr. 149-FZ „Über Informationen, Informationstechnologien und Informationsschutz“ eingeschränkt.

Roskomnadzor empfiehlt allen Medienredaktionen dringend, sämtliche Informationen vor deren Veröffentlichung auf die Authentizität zu prüfen.

Wir betonen, dass die offiziellen russischen Informationsquellen diejenigen sind, die über zuverlässige und aktuelle Informationen verfügen.“

Mit dieser Forderung schneidet der Kreml den Zugang zu den wenigen Medien, die noch über die wahre Situation in der Ukraine berichten, praktisch ab.

Doch wie so häufig bei vielen Einschränkungen in Russland wurde auch gegen die Putin-Zensur eine sogenannte „russische Lösung“ gefunden. Diesmal kam die Initiative aber von Anonymus. Er hat auf Twitter dazu aufgerufen, die Bewertungssysteme von Google Maps und Tripadvisor dazu zu nutzen, um über die tatsächliche Situation in der Ukraine zu berichten.

Viele Menschen sind inzwischen dem Aufruf gefolgt und haben angefangen, die Bewertungsmasken auf diesen Plattformen dafür zu nutzen. Sie schreiben, was in der Ukraine wirklich los ist, und rufen Russen zum zivilen Ungehorsam auf.

„Stoppt den Krieg!
Denkt bitte darüber nach, ob dieser Krieg gegen Eure Nachbarn richtig ist. Kein einziger Ukrainer will Russen angreifen. Stoppt den Krieg! Schickt Eure Kinder nicht in den Tod.“

„Bitte, stoppt Putins Krieg!
Das ist Putins Krieg, nicht der von Russland! Putin bringt Kinder in der Ukraine um, stoppt den Krieg! Vielleicht ist er krank und verliert seinen Verstand. Seien Sie kein Teil seiner Militärverbrechen!“

„Ein Café? – Es ist Krieg!
Nein zum Krieg in der Ukraine! Leute, geht auf die Straßen! Während Ihr Käffchen trinkt, wird Zivilbevölkerung umgebracht.“

„Eure Soldaten weinen! Sie werden bei Euch zu Deserteuren!
Wir sind keine wilden Menschen, wir werden sie nicht töten, denn sie haben das Recht auf Leben. Im Krieg gibt es nur eine Möglichkeit. Schaut auf die Fotos! Ihr seht hier zerstörte Häuser! Ihr bringt friedliche Menschen und Kinder um!“

„Wisst Ihr, dass Eure Armee die friedliche Bevölkerung angreift?“

„Russische Soldaten bringen unschuldige Kinder und alte Menschen um, Busse, Kindergärten und Krankenhäuser wurden beschossen! Stoppt die Tötung eurer ukrainischen Brüder! Die echten Nachrichten werden in Eurem Land zensiert! Stoppt Putin!“

„Russen! Geht auf die Straßen und schreit laut! Wir müssen den P (Putin) zusammen besiegen und ihn entmachten, denn wenn nicht jetzt, dann niemals! Keine Diktatur! Wir sind für freie Berichterstattung und kritischen Geist.“

„Nehmt die Leichen weg! Stoppt diese Putin-Verbrecher und das Blutvergießen!“

„Russen, schaut, was hier wirklich los ist. Eure Soldaten ergeben sich hier und tragen große Verluste.“

„Wann wird Russland seine 5500 toten Soldaten abtransportieren? Wisst Ihr überhaupt, was in anderen Ländern passiert, und lebt Ihr in einem Bunker? Wegen Euch sterben in der Ukraine Menschen. Hallo, wacht auf! Ihr könnt den Krieg stoppen!“

„Ihr habt bereits 4500 Eure Soldaten verloren, und das nur, weil Euer Zar ein halbes Land vereinnahmen will. Nehmt die Leichen und stellt den Typen ruhig! Eure Soldaten beschießen Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und Wohnhäuser.“

„Russland hat die Ukraine angegriffen. Aktuell läuft in der Ukraine ein richtiger Krieg. Russen, Eure Medien belügen Euch! Viele Ukrainer sterben. Aber auch russische Soldaten, deren Mütter noch auf sie warten.“

Noch während ich diesen Beitrag schrieb, reagierte das US-amerikanische Touristik-Unternehmen Tripadvisor auf die Aktion und löschte die vielen Meldungen mit einem Hinweis, der auf eine Unterstützung des Kreml-Vorhabens hinweist:

„Tripadvisor nimmt vorübergehend keine Bewertungen für dieses Objekt auf, weil es eine hohe Aufmerksamkeit wegen eines aktuellen Ereignisses auf sich gezogen und sehr viele Bewertungen bekommen hat, die keinen Zusammenhang mit einer persönlichen Erfahrung über dieses Objekt haben. Wenn Sie Ihre persönlichen Eindrücke über dieses Objekt hier teilen möchten, versuchen Sie es später erneut. Wir warten ungeduldig auf Ihre Bewertung!“

 

PS: Vor wenigen Stunden ordnete Russlands Staatsanwaltschaft an, die zwei größten kritischen Medien Russlands abzuschalten. Der Radiosender Echo Moskau und der TV-Sender Doschd werden nun dem russischen Publikum nicht mehr zugänglich sein. Dies sind die Kanäle, die seit Beginn des Krieges in der Ukraine ununterbrochen Berichterstattung vor Ort gemacht haben.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge von anderen Autoren geben immer deren Meinung wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin, und lebt seit über 16 Jahren in Berlin. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Mit 27 kam sie nach einem abgeschlossenen Informatik-Studium aus privaten Gründen nach Berlin und arbeitete nach ihrem zweiten Studienabschluss viele Jahre als Übersetzerin, aber auch als Grafik-Designerin. Mittlerweile arbeitet sie für reitschuster.de.

Bild: Shutterstock
Text: eq

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