Söldner-Chef erklärt, warum er Marsch auf Moskau abbrach Ein Lebenszeichen von Prigoschin – und doch wieder Ermittlungen

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Wie geht es in Moskau weiter nach dem Putschversuch? Jedem, der diese Frage mit Gewissheit beantwortet, sollten Sie mit Skepsis begegnen. Selbst als Fachmann kann man nur mit entwaffnender Ehrlichkeit auf diese Frage antworten: Ich weiß es nicht.

Doch es gibt bestimmte Aspekte, die hochinteressant sind. Und Fragen, die spannender sind als viele Krimis.

Aber eines vorweg: Bitte fallen Sie nicht auf Leute herein, die wenig Ahnung von Russland haben und Ihnen jetzt im Brustton der Überzeugung verkünden, sie wüssten genau, was geschah und geschieht. Eine der absurdesten Thesen ist etwa die, es habe sich um eine Inszenierung gehandelt, mit der die Wagner-Söldner einen Vorwand bekommen hätten, nach Weißrussland zu gehen, um dann von dort unbemerkt die Ukraine anzugreifen, und alles sei deshalb ein Geniestreich Putins gewesen, der gestärkt aus dem Ganzen hervorgehe.

Eine bemerkenswerte Behauptung – vor allem wenn man beachtet, dass von einer Verlegung der Prigoschin-Söldner nach Weißrussland nie die Rede war. Und man die, wenn sie beabsichtigt war, auch ohne Putschversuch hätte machen können. Und ohne dass 16 Armee-Angehörige dabei ums Leben kommen – so die neuesten Zahlen. Wie es Putin gestärkt haben soll, dass eine Söldnertruppe die eigene Armee bloßstellte und zwei Großstädte in ihre Gewalt nahm, sei auch dahingestellt.

Wie vom Erdboden verschwunden

Aber zurück zu den Fakten: Einer davon ist, dass es zunächst seit Samstagabend keine Lebenszeichen mehr von Prigoschin gibt. Erste Stimmen zweifeln schon, ob er noch am Leben ist, andere wiederum glauben, er sei eingesperrt. Man mache dies aber nicht öffentlich aus Angst vor Rache von Prigoschins Söldnern. All das ist aktuell Spekulation.

Kurz nach Erscheinen dieses Artikels am Montagnachmittag erschien eine neue Audio-Botschaft von Prigoschin, die ich gerade ausgewertet habe und deren Inhalt ich hier einschiebe, weil er so aktuell und brisant ist:

Der Söldner-Chef sagt, er habe den Marsch auf Moskau abgebrochen, als ihm die Vorhut berichtete, dass seine Truppe in Kürze auf massive Gegenwehr stoßen werde und ein Blutvergießen damit unvermeidlich sei. In diesem Moment habe er sich zum Rückzug entschlossen, so Prigoschin: „Aus zwei Gründen. Erstens weil wir kein russisches Blut vergießen wollten. Wir sind marschiert, um unseren Protest auszudrücken, und nicht, um die Regierung im Land zu stürzen. In dieser Zeit hat Alexander Lukaschenko seine Hand ausgestreckt und vorgeschlagen, einen Lösungsweg aufzuzeigen, um zu ermöglichen, dass Wagner weiter arbeitet. Daraufhin haben unsere Truppen umgedreht.“

Fast schon zynisch klingt, was Prigoschin weiter ausführt: „Unser Marsch der Gerechtigkeit hat viel von dem bewiesen, was wir früher gesagt haben: Ernsteste Gefahren in Sachen Sicherheit im ganzen Land. Wir haben alle Militärobjekte und alle Flughäfen, die sich auf unserem Weg befanden, blockiert. In 24 Stunden haben wir eine Entfernung zurückgelegt, die so weit ist, wie es am 24. Februar der Weg von der russischen Grenze bis Kiew und bis Uschgorod gewesen wäre“. Uschgorod liegt an der westlichen Grenze der Ukraine zur EU. Wenn am 24. Februar Truppen eingesetzt worden wären, die so gut waren wie „Wagner“, hätte die „Spezialoperation“ in der Ukraine möglicherweise schon innerhalb von 24 Stunden beendet sein können.

Prigoschin verwies auch darauf, mit wie viel Sympathie die örtliche Bevölkerung in Russland seine Truppen begrüßt hätte. Bis jetzt bekäme er positive Zuschriften; einige Menschen seien auch enttäuscht, dass er den Marsch abgebrochen habe, weil sie unzufrieden seien mit der Situation im Lande.

Die Nachricht von Prigoschin ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Nicht, weil Prigoschin Neues vermeldet hätte. Das vermeidet er. Aber er scheint nicht gebrochen, im Gegenteil – er wirkt eher selbstsicher.  Und seine Worte müssen in den Ohren des Kremls wie Hohn klingen. Insofern wirft die Botschaft mehr neue Fragen auf, als sie alte Fragen beantwortet.

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Aber zurück zur Aufzählung der Fakten. Fakt zwei: Nachdem Putins Sprecher Dmitri Peskow verkündet hat, die Ermittlungen gegen Prigoschin wegen Hochverrats seien eingestellt, heißt es nun in staatlich kontrollierten Medien in Moskau, dass doch weiter Ermittlungen des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB gegen ihn laufen. Die Zeitung „Kommersant“ schreibt, dass das Strafverfahren wegen der Organisation eines bewaffneten Aufstands, dessen Hauptfigur Prigoschin ist, am Montagmorgen noch nicht rechtskräftig abgeschlossen wurde. Es werde weiter untersucht.

Fakt drei: Zwei der Hauptakteure des eskalierten Streits, Verteidigungsminister Sergej Schojgu und Generalstabschef Valeri Gerassimow ducken sich weiter weg. Und auch Putin wirkt nicht sehr gesprächig.

Fakt vier: Prigoschin hat das Narrativ von Putin und seinen Unterstützern im Westen zerlegt. Er sagte ganz offen, dass 2014 Russland im Donbass interventierte. Die angebliche Gefährdung Russlands durch die Ukraine sei erstunken und erlogen, sagte er – es habe sie auch nie gegeben. Russland führe diesen Krieg seit 2014 nicht, weil die Ukraine im Donbass Russen bedrohe, sondern weil sich korrupte Offiziere die Taschen vollstopfen wollten. Grund des Krieges seien nicht „Nazis“ in der Ukraine, sondern die Korruption in Russland, so der Ex-Putin-Vertraute. Schwerer Tobak nicht nur für den Kreml, sondern auch für seine Unterstützer. Zumal niemand dem erklärten Hasser der USA und des Westens Prigoschin unterstellen kann, er würde dem Westen nach dem Mund reden.

Von den vielen Spekulationen über das, was am Samstag geschah, scheint mir eine erwähnenswert, weil ich sie zumindest nicht für abwegig halte: Dass Prigoschin zunächst auf massiven Rückhalt aus der Armee hoffte und wohl auch entsprechende Zusagen hatte, es dem Kreml dann aber gelang, potentiell abtrünnige Armeeführer auf seine Seite zu ziehen. Weswegen Prigoschin dann kurz vor Moskau Stopp machte.

Deutlicher Autoritätsverlust

Keine Spekulation, sondern eine These meinerseits ist, dass durch den Putschversuch endgültig das deutlich wurde, was sich schon abzeichnete: Dass Wladimir Putin nicht mehr der Alleinherrscher ist, den viele ihn ihm sehen. Man muss beileibe nicht so weit gehen wie der ukrainische Präsident Selensky, der in Zweifel zieht, ob der echte Putin noch lebt und gar argwöhnt, im Kreml würden Doppelgänger auftreten und andere Kräfte das Sagen haben. Aber sehr viel spricht dafür, dass ein Putin in alter Form und Machtfülle am Samstag ganz anders reagiert hätte als der heutige Putin, der offenbar massiv Rücksicht auf konkurrierende Kräfte nehmen muss.

Untermauert wird diese These dadurch, dass Putin den ganzen Samstag für seinen Ex-Freund Prigoschin nicht erreichbar war, dass es keine wirklich erfolgversprechenden Angriffe auf die Söldner-Kolonne bei ihrem Vormarsch gab und dass Prigoschin allem Anschein nach das Hauptquartier der Armee in Rostow als freier Mann und lebend verlassen konnte.

All das sind Signale der Schwäche und des Autoritätsverlusts, für die die Menschen in Russland anders als die meisten im Westen sehr feine Signale haben. Und Wladimir Putin ist sich selbst sehr wohl bewusst, wie gefährlich Schwäche in einem Machtsystem wie dem in Russland ist – er hat darüber mehrfach gesprochen.

Genau diese Schwäche aber hat er am Samstag gezeigt.

Ihm bzw. dem Machtzirkel im Kreml bleibt wohl kein anderer Ausweg, als um jeden Preis Stärke zu zeigen. Innen- wie außenpolitisch sind das keine guten Vorzeichen.

Bei all diesen Betrachtungen darf man aber eines nicht aus dem Auge lassen: Wladimir Putin hat es in schöner Regelmäßigkeit geschafft, alle Beobachter und Fachleute zu überraschen und so zu handeln, wie es niemand erwartet hat.

Insofern spricht einiges dafür, dass wir in bzw. aus Moskau noch große Überraschungen erleben werden.

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