Dass die Opposition Politiker der Regierungsparteien angreift, ist eigentlich die normalste Sache der Welt. Sollte es zumindest sein. Was einst ein Franz Josef Strauß oder Herbert Wehner austeilten, wäre heute sicher schon ein Fall für den Diskriminierungsbeauftragten des Bundestages. Bis auf die AfD, deren Kritik in den meisten Medien aber entweder totgeschwiegen oder tabuisiert wird, ist nicht viel zu hören an Tacheles. Dabei ist das eben das Salz in der Suppe der Demokratie. Aber wir bekommen im Jahr 16 von Merkel fast nur noch fade Einheitskost aufgetischt. Selbst Oppositionspolitiker wie Christian Lindner wirken eher wie Regierungs-Flüsterer. Oder zumindest kommen sie in weichgespülten Medien nur noch so rüber, weil Klartext im Zweifelsfall nicht vermeldet wird.
Und jetzt das: Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki von der FDP gibt den Mini-Trump. Zumindest nutzt er ein soziales Netzwerk, um direkt auszuteilen. Und zwar gegen CSU-Chef Markus Söder. Den Corona-Fundamentalisten, der glaubt, mit einer knallharten Einsperr-Politik könne er sich den Weg ins Kanzleramt ebnen. Kubicki schreibt: „Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat jetzt erklärt, dass sich viele als Opfer der Pandemie darstellten, die wahren Opfer seien aber die fast 40.000 Toten in Zusammenhang mit dem Virus. Ausgerechnet Söder, der bisher eher mit harten Worten als richtigen Entscheidungen aufgefallen ist, sollte zunächst auf seinem eigenen Hof kehren, bevor er anderen Menschen moralische Ratschläge erteilt.“ Man kann diesen Standpunkt teilen oder nicht. Erstaunlich ist, dass so etwas kaum in den Medien zu lesen ist – die eigentlich dafür da sind, die Regierung zu kritisieren. Aber fast nur noch kuscheln und dafür die Regierten kritisieren.
Schlag ins Gesicht
Weiter schreibt der streitbare Liberale: „Söder hat es bei der Bewältigung dieser Pandemie nicht ausreichend geschafft, die Altenheime zu schützen, hat die bisher größte Test-Panne dieser Pandemie zu verantworten und trägt die Verantwortung dafür, dass in Bayern Campingkühlboxen für den Transport der Impfdosen eingesetzt wurden. Für all diejenigen, die vor den Scherben ihrer Existenz stehen, die durch gleichzeitiges Homeschooling und Homeoffice zerrissen werden, die seit Monaten auf Hilfe vom Staat warten, muss diese Art der söder-moralischen Erhebung ein Schlag ins Gesicht sein.“
Warum wird auch das kaum thematisiert in den großen Medien? Warum haben wir eine Situation, die in manchem an 1914 erinnert, als Kaiser Wilhelm II. sagte, er kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche? Hieß es früher „für Regierung, Volk und Vaterland“, so scheint heute der Leitspruch vieler Medien „für Regierung, Lockdown und harte Hand.“
Mit seinem Schlusssatz läuft Kubicki fast schon zu Strauß´scher Hochform auf: „Gott schütze Bayern – und uns vor Söder.“
Zu Schmutzeleien neigend
Genau in der gleichen Richtung äußerte sich im September mein früherer Chef, Focus-Gründer Helmut Markwort, im Interview mit mir. Jemand, der Söder nicht nur vom Hörensagen kennt (ich persönlich erlebte ihn bei einem gemeinsamen Mittagessen in Moskau): „Stoppt Söder“, forderte das journalistische Urgestein. Der CSU-Chef sei „autoritär“ und „zu Schmutzeleien und maßlosem Ehrgeiz“ neigend. Lesen sie hier die komplette Einschätzung von Markwort.
Meine persönliche Meinung: Markus Söder ist in der Corona-Krise in einen autoritären Sog geraten. Er hat gesehen, dass er im März mit seinem harten Kurs punktete, als andere Politiker noch zögerten. Das hat er verinnerlicht. Und sieht es als Gleitmittel für den Weg an die große Macht – ins Kanzleramt. Überzogene Maßnahmen scheinen bei ihm Adrenalin auszulösen. Man spürt förmlich seine Lust, die harte Hand zu zeigen – was Markwort als autoritäre Züge schilderte. Mir persönlich macht das Angst. Gerade in Deutschland, wo die Sehnsucht nach autoritärer Führung doch nicht überwunden ist, wie man glaubte. Was die Corona-Krise leider jeden Tag vor Augen führt. Markwort und Kubicki haben Recht. Und Horst Seehofer, den Söder auf menschlich sehr unschöne Weise weggemobbt hat, kann ein Lied davon singen. Nur traut er sich das gar nicht mehr.
Im Interview mit der Welt warnte Söder am Wochenende vor einer Radikalisierung und einer Corona-RAF. Mir macht im Moment die Radikalisierung von Corona-Fundamentalisten wie ihm und Lauterbach deutlich mehr Sorgen. Genau sie wird über kurz oder lang leider auch zu einer Radikalisierung ihrer Kritiker führen. Es wirkt fast so, als ob Söder es darauf anlege. Und seine Prophezeiung damit selbsterfüllend macht.
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Text: br
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