Von Kai Rebmann
Eines muss man Christian Lindner wohl lassen: Neben Cem Özdemir (Grüne) gehört der FDP-Chef zu den ganz wenigen Ampel-Ministern, die sich der direkten Konfrontation mit den erbosten Landwirten gestellt haben.
Was in diesen Tagen besonders auffällt: Praktisch jeder Politiker sucht in seinem Stammbaum verzweifelt nach irgendeinem Ur-Großvater, der mal in der Landwirtschaft tätig war – und wird dabei naturgemäß fündig. Die Botschaft an die Bauern soll offensichtlich lauten: „Ich bin einer von euch!“
Auf ganz ähnliche Weise versuchte der Bundesfinanzminister sein Glück auf der Abschlusskundgebung der bundesweiten Bauern-Proteste vor dem Brandenburger Tor: „Ich komme aus dem Bergischen Land. Ich bin neben Feldern, Wiesen und dem Wald aufgewachsen. Als Chef des Bundesforstes kenne ich die Forstwirtschaft. Ich bin Jäger. Ich bin schon fertig, wenn ich den Pferdestall einmal ausgemistet habe. Deshalb weiß ich, was das für eine Arbeit ist, es den ganzen Tag – und jeden Tag – zu machen.“
So richtig abnehmen wollte das dem passionierten Porsche-Fahrer aber nicht wirklich jemand. Lindners Rede wurde immer wieder von Rufen wie „Hau ab“, „Die Ampel muss weg“ oder „Lügner“ unterbrochen. Anfangs musste Bauern-Präsident Joachim Rukwied die aufgebrachte Menge besänftigen, damit der Minister überhaupt zu Wort kommen konnte.
Bauernlobbyist: "…bitte ich um ein herzliches Willkommen […] Christian Lindner"
Demonstranten kontern mit der einzig richtigen Antwort: "HAU AB!"
Wird Zeit, sich von diesen Lobbys loszusagen. pic.twitter.com/joNyWAmZPx
— Miró (@unblogd) January 15, 2024
Damit bekommen Sie ‚keinen Trecker von der Straße‘
Zunächst versuchte Lindner, die Demonstranten charmant um den Finger zu wickeln. Die Ziele des Protests seien bereits erreicht worden, das grüne Kennzeichen bleibe und die Förderung beim Agrar-Diesel werde „nur schrittweise“ abgebaut. Zudem werde er dafür sorgen, dass die „ideologische Bevormundung“ ein Ende nehme, etwa in Bezug auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln oder die obligatorische Stilllegung landwirtschaftlich nutzbarer Flächen.
Genutzt hat es wenig bis nichts. Rukwied hatte seinem Gast schon vor dessen Auftritt ins Poesie-Album diktiert: Nur mit dem Versprechen von Bürokratie-Abbau werde die Ampel „keinen Trecker von der Straße bekommen“.
Stattdessen beharren die Landwirte auf der vollständigen Rücknahme des Mitte Dezember 2023 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion beschlossenen Pakets, das gefühlt schon am nächsten Tag – genauer zum 1. Januar 2024 – zur vermeintlichen Rettung des ideologiegeschwängerten Ampel-Haushalts hätte in Kraft treten sollen.
In einem Punkt mag man dem Finanzminister nicht einmal widersprechen. Als er der Menge zurief: „Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie wegen des Agrardiesels hier sind.“ Schon wieder ganz anders sieht es bei den vermeintlichen tatsächlichen Gründen aus. Während Lindner dafür „über Jahre und Jahrzehnte“ aufgestaute Probleme in der Agrarpolitik verantwortlich machen will, dürfte es nicht zuletzt die Art und Weise sein, wie in Berlin derzeit Politik gemacht wird, die immer mehr Bürger – bei weitem nicht mehr nur die Bauern – auf die Straßen treibt. Der Agrardiesel dürfte so geschehen lediglich der berühmte Tropfen gewesen sein, der das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hat.
Wer Lindners Rede in Berlin gehört und gesehen hat, der wird ehrlicherweise nicht umhinkommen, dem Bundesfinanzminister für dessen Courage zumindest Respekt zu zollen. Damit die Bauern mit ihren Traktoren aber wieder nach Hause fahren – und auch dort bleiben – dürfte es deutlich mehr brauchen als das bloße Versprechen, dass ihnen aus Berlin oder Brüssel „nicht noch mehr Knüppel zwischen die Beine geworfen werden“.
Kartoffel-Bauer Christoph Plass aus Brandenburg fasste das Stimmungsbild unter seinen Kollegen gegenüber der „Bild“ so zusammen: „Das klingt alles immer so schön, aber Lindner kennt unsere Probleme seit Jahren – und nichts hat sich geändert. Wir Bauern werden bei jedem Handschlag vom Staat kontrolliert. Ich glaube Lindner nicht, dass sich da jetzt etwas verbessert.“
Ampel im ‚Jeder-gegen-jeden-Modus‘
Wenn die Bauern-Proteste in den vergangenen Tagen eines gezeigt haben, dann dies: Verschiedene Bevölkerungsgruppen oder Branchen – etwa Bauern und Fischer – lassen sich von dieser Bundesregierung nicht (mehr) gegeneinander ausspielen. Stattdessen scheint es die Ampel selbst zu sein, die immer weiter in den Modus „Jeder gegen Jeden“ umschaltet, in der Hoffnung, die in der jeweils eigenen Wählerschaft noch verbliebenen Pfründe zu retten.
Müssen Lindners vermeintliche Zugeständnisse an die Bauern als offener Affront gegen die Grünen verstanden werden, geht Cem Özdemir gegen die Liberalen in die Offensive. Der Landwirtschaftsminister, der nach eigenem Bekunden bei den aktuellen Kürzungsplänen übergangen worden sein will, brachte jetzt einen „Bauern-Soli“ ins Spiel.
Tatsächlich handelt es sich bei dem sogenannten „Tierwohl-Cent“ um eine mehr oder weniger gut versteckte Fleisch-Steuer. Die Abgabe soll demnach ausschließlich auf tierische Produkte, allen voran Fleisch und Milch, erhoben werden und soll nach den Vorstellungen Özdemirs bei „wenigen Cent“ pro Liter bzw. Kilo liegen.
Mit dieser „Fleisch-Steuer“ versuchen die Grünen offenbar zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen – erstens die Bauern wieder einzufangen und zweitens die ideologisch gewünschte Umerziehung auf dem Speiseplan der Deutschen weiter zu forcieren.
Aber: Dieser Vorschlag hat sich bereits zu Zeiten der Großen Koalition als Totgeburt erwiesen. Damals, im Jahr 2020, standen zum Beispiel 40 Cent pro Kilo Fleisch oder 2 Cent pro Liter Milch zur Debatte. Heute, wo Lebensmittel ohnehin schon einer dramatischen Teuerungsrate unterliegen, wäre der „Bauern-Soli“ das absolut falsche Signal zur falschen Zeit.
Davon abgesehen, könnte die Abgabe einmal mehr genau das Gegenteil von dem bewirken, was die Ampel damit beabsichtigt. Die im internationalen Vergleich ohnehin schon teuren Lebensmittel aus deutscher Produktion würde den Wettbewerbsnachteil deutscher Bauern nur noch weiter vergrößern. Darüber hinaus sind zahlreiche Fragen der Vereinbarkeit mit EU-Recht noch ungeklärt.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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