Von Kai Rebmann
„Haben wir nicht, bekommen wir auch nicht mehr rein!“ Diesen Satz bekommen Kunden in Deutschland in der Apotheke ihres Vertrauens so oder so ähnlich seit Monaten immer wieder zu hören. Bereits im Spätjahr 2022 berichtete reitschuster.de über den nationalen Pillen-Notstand, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) versprach damals ein schnelles Gegensteuern. Geschehen ist seither – wenig bis nichts.
Jetzt schlagen Deutschlands Apotheker und ihre Fachverbände erneut Alarm und beklagen einen massiven Mangel an Antibiotika aller Art, aber auch anderer Medikamente. Gabriele Regina Overwiening, Chefin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, bezeichnete die Lage gegenüber der „Bild“ als „katastrophal“ und ein Ende des Mangels sei derzeit nicht in Sicht. Diese Einschätzung wird auch, wie wir noch sehen werden, von praktisch allen angeschlossenen Fachverbänden in den Ländern geteilt.
Quadratur der Habeck-Logik
Während die Praktiker an der Alltags-Front sich fragen, wie Deutschland von der einstigen „Apotheke der Welt“ zum „Weltmeister der Mangelverwaltung“ absteigen konnte, versuchen sich die für diesen Missstand in wesentlichen Teilen Verantwortlichen im Beschwichtigen. So will Karl Lauterbach unter anderem die bisherigen Preisregelungen lockern, um Lieferungen der fehlenden Medikamente nach Deutschland „attraktiver“, sprich teurer zu machen. Um bis zu 50 Prozent soll die Pharmaindustrie die Preise deshalb anheben dürfen. Dabei ist diese Idee alles andere als neu, bereits der vor Monaten grassierende Mangel an Fiebersäften und anderen Medikamenten für Kinder sollte so behoben werden – allem Anschein nach ohne großen Erfolg.
Die zweite Nebelgranate kommt aus dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das gleichfalls dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt ist. In der Lauterbach-Behörde macht man den Habeck und verkündet, dass „ein Lieferengpass nicht automatisch ein Versorgungsengpass“ sein müsse. Soll heißen: Können bestimmte Antibiotika nicht geliefert werden, muss das nicht per se ein Problem sein, wenn diese vor Ort in den Apotheken aus „alternativen Medikamenten“ hergestellt werden können.
Stimmungsbild aus Deutschlands Apotheken
Doch genau das scheint nicht der Fall zu sein, jedenfalls nicht flächendeckend, wie es in einer Industrienation eigentlich zu erwarten sein sollte, wenn schon die „richtigen“ Antibiotika, sprich die Originale, nicht verfügbar sind. So berichtet zum Beispiel Daniela Hänel aus Zwickau, dass sie bereits seit Jahresbeginn Säfte für Kinder aus „Restmaterial an Antibiotika-Tabletten“ herstelle. Ob diese in puncto Wirksamkeit aber an die nicht verfügbaren Originale heranreichen, bleibt dabei offen.
Ähnlich klingt das in Bayern, wo Alexander von Waldenfels von „Lieferengpässen bei Antibiotikasäften über alle Wirkstoffe hinweg“ spricht. Im Freistaat habe daher die eigens gegründete „Task-Force Arzneimittelversorgung“ ihre Arbeit aufgenommen. Janet Olgemöller, eine Apothekerin aus Essen, bezeichnet die zur Verfügung stehenden „alternativen Medikamente“ allenfalls als „Tropfen auf den heißen Stein“ und sagt: „Wir haben jetzt 20 Schachteln Amoxicillin bekommen – das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Daraus werden wir Säfte für Kinder herstellen.“
Aus dem Saarland berichtet Kammer-Präsident Carsten Wohlfeil von „weiten Wegen“, die Patienten auf sich nehmen müssten, um „eine Apotheke zu finden, die ein entsprechendes Arzneimittel hat.“ Sein Kollege Georg Engel aus Mecklenburg-Vorpommern empfindet die Versorgung der Patienten als „sehr anstrengend“.
Der Bock macht sich zum Gärtner
Die Apothekerkammer Baden-Württemberg verzeichnet ebenfalls „phasenweise akute Mängel“, die inzwischen auch „Breitspektrum-Antibiotika“ betreffen. Diese hätten sich zwar seit Herbst 2022 verschärft, bestünden grundsätzlich aber schon seit Jahren.
Vor diesem Hintergrund sind dann wohl auch Aussagen wie jene aus den Reihen der Union oder der FDP einzuordnen. CDU-Gesundheitsexperte Tino Sorge, dessen Partei unter Angela Merkel 16 Jahre lang federführend an verschiedenen Bundesregierungen beteiligt war, vergießt Krokodilstränen, wenn er klagt: „Jetzt rächt sich der jahrelange Sparzwang bei Medikamenten, vor allem aber das Abwarten von Gesundheitsminister Karl Lauterbach.“ Monatelanges Zuwarten ist zwar schlecht, jahrelange Untätigkeit aber nicht unbedingt viel besser.
Ähnliches gilt für die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus, die in diesem Zusammenhang sogar von einer „jahrzehntelangen Vernachlässigung“ spricht. Auch die Liberalen waren in dieser Zeit, wenn auch nicht durchgehend, an verschiedenen Bundesregierungen beteiligt, versprechen jetzt aber, „intensiv an einem Gesetz zur Bekämpfung dieser Engpässe“ arbeiten zu wollen.
Fast schon zynisch klingt eine Bekanntmachung des Bundesgesundheitsministeriums vom 25. April 2023 im Bundesanzeiger. Beim BfArM sei ein „Frühwarnsystem“ in Gang gesetzt worden, wie dort zu lesen ist. Dieses solle die Versorgungslage überwachen und auf Lieferengpässe bei Medikamenten hinweisen. Wohlgemerkt, das Kind ist längst in den Brunnen gefallen – und das nicht erst gestern – und die Lauterbach-Behörde spricht allen Ernstes von einem „Frühwarnsystem“.
Aber auch der zweite Teil der Meldung trägt nicht unbedingt zur Beruhigung bei. Sollte das Gesundheitsministerium nach entsprechendem Hinweis seitens des BfArM bei einem „versorgungsrelevanten Arzneimittel“ einen Mangel feststellen, so dürfen die Landesbehörden „im Einzelfall und befristet“ von den Vorgaben des Arzneimittelgesetzes abweichen.
Oder in anderen Worten: Es können in diesen Fällen auch Chargen von Arzneimitteln freigegeben werden, die nicht die „letztgenehmigte Version der Packungsbeilage“ beinhalten. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte Ihren Arzt oder Apotheker!
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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