Schockierende Studie: Die Grundschule ist keine „Grund“-Schule mehr Gravierende Folgen der unter dem Diktum vermeintlicher Kindgerechtheit initiierten "Reformen"

Ein Gastbeitrag von Josef Kraus

Ohne breite öffentliche Resonanz und weniger spektakulär als bei Schularten des weiterführenden Schulwesens, etwa dem Gymnasium und der Gesamtschule, hat in den vergangenen 50 Jahren in der Grundschule der unter allen Schulformen wohl weitestreichende Wandel stattgefunden. Es waren aber selten vernünftige Reformen, sondern Deformationen einer Bildungseinrichtung, die eigentlich zu Recht deshalb Grundschule heißt, weil sie die „Grund“-Lage, die Basis für alle nachfolgende Bildung ist. Das Ergebnis dieser Deformationen sieht man jetzt anhand einer neuen Leistungsstudie.

Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen an der Humboldt-Universität zu Berlin (IQB) hat soeben nach Auswertung der 2021 erfolgten Testung (sog. IQB-Bildungstrend) von 26.844 Schülerinnen und Schüler der vierten Jahrgangsstufe festgestellt: Signifikant weniger Viertklässler erreichten 2021 in Deutsch und Mathematik im Vergleich zu den Erhebungen der Jahre 2011 und 2016 die (ohnehin schon niedrig angesetzten!) Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK).

Nachfolgend deutschlandweit die Anteile der Viertklässer, die die Regelstandards erreichten:

Quelle: https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/iqb-bildungstrend-die-wichtigsten-ergebnisse/

Lassen wir ausgewählte Ergebnisse der verschiedenen deutschen Länder sprechen:

Testbereich Orthografie


Testbereich Mathematik

Diese Tabellen zeigen, dass zwischen den besser und den schwächer abschneidenden deutschen Ländern ein Leistungsgefälle liegt, das in etwa den Lernfortschritten eines ganzen Schuljahres entspricht. Aber keines der Länder muss sich als großer Sieger fühlen. Dass es innerhalb Deutschlands so große Differenzen gibt und dass es immer die gleichen Länder sind, die oben, und Länder gibt, die unten stehen, zeugt nicht von politischem Weitblick und politischer Verantwortung der jeweiligen Landesregierungen. Wenn man sich zudem vergegenwärtigt, dass hinten und vorne längst Tausende an Lehrern fehlen und dass deshalb Unterricht gekürzt werden muss, verheißt das für die (vormalige) Bildungsnation nichts Gutes.

Und die Ursachen? 'Corona' allein ist es bei weitem nicht!

Der Abwärtstrend (siehe Tabelle oben) hat sich allein in den vergangenen zehn Jahren nahezu linear, also ungebremst, fortgesetzt. Daran konnte im Zeitraum zwischen 2011 und 2021 nun wahrlich nicht „Corona“ schuld sein. Klar: Die Pandemie kann nicht spurlos an der Schulbildung vorbeigegangen sein, wenn binnen rund 30 Monaten Pandemie Schüler je nach Jahrgangsstufe zwischen 600 und 900 Stunden Präsenzunterricht nicht erteilt bekamen. Aber man macht es sich (mal wieder) zu leicht, wenn man nach Ausflüchten sucht und die seit Jahrzehnten wirksamen Faktoren des schulischen Leistungsverfalls ausblendet: erstens die schulpolitisch und pädagogisch gewollte Absenkung der Leistungsanforderungen sowie zweitens den stetig wachsenden Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund und zum Teil nur rudimentären Deutschkenntnissen.

Ad Leistungsansprüche: Die Leistungsabstürze haben zum allergrößten Teil hausgemachte Ursachen. Die Grundschule wurde im Laufe der Zeit von der ergebnis- zur erlebnisorientierten Schule, von der lernenden und einübenden zur spielerischen Schule, von der benotenden Schule zur Schule ohne Noten, vom lehrergesteuerten Unterricht zur völligen Schülerzentrierung. Vor allem das Spielerische hat in der Grundschule überhandgenommen. Die Kinder unterliegen damit der Täuschung, die Aneignung von Fertigkeiten und Kenntnissen könnte stets ohne Anstrengung, Ausdauer und Enttäuschungen geschehen. Der Verzicht auf Hausaufgaben und Leistungserhebungen potenziert diese Entwicklung.

Sehr konkret: Noch in den 1990ern konnte man erwarten, dass ein Viertklässer einen Grundwortschatz von 1.000 Wörtern hatte. Das sind heute eher nur 700 bis 800. „Vereinfacht“ und der Beliebigkeit preisgegeben wurde die Rechtschreibung – nicht nur durch die verkorkste Rechtschreibreform, sondern bis hin zur abstrusen Methode „Schreiben nach Gehör“ („phonetische Schreibweise“).

Auch das „spielerische“ Erlernen einer Fremdsprache in der Grundschule hat sich nicht bewährt. Die dafür verwendeten Stunden gingen zulasten der Stunden im Fach Deutsch. Auch das „spielerische“ Moment hat sich gerade hier nicht bewährt. Es wirkt kontraproduktiv zulasten des späteren systematischen Erlernens einer Fremdsprache in einer weiterführenden Schule: Die Schüler geben sich nämlich der Täuschung hin, das Erlernen einer Fremdsprache geschehe immer so „locker“ wie in der Grundschule.

Und: So manche Leistungsprobleme haben im Gesamtergebnis mit den Migrantenanteilen in den Schulen zu tun. In Berlin oder Frankfurt oder Saarbrücken oder Essen… oder… oder… sind Grundschulklassen mit 80 und mehr Prozent Kindern mit Migrationshintergrund keine Ausnahme. Bei entsprechend defizitärer Beherrschung der deutschen Sprache. Will sagen: Die Zuwanderungspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte hat den Schulen Probleme beschert, die sie gar nicht bewältigen können. Bei solchen Migrantenanteilen kann das schulische Leistungsniveau nicht höher sein. Zudem wissen wir aus früheren Studien (z. B. PISA), dass bereits ab einem Migrantenanteil von mehr als 20 Prozent das Leistungsniveau einer Klasse signifikant abnimmt.

Was geschehen müsste

Die unter dem Diktum vermeintlicher Kindgerechtheit initiierten „Reformen“ haben gravierende Auswirkungen auf die nachfolgenden Bildungseinrichtungen. Insbesondere Realschulen und Gymnasien mussten ihr Anspruchsniveau anpassen, und sie müssen bei der Vermittlung von Arbeitsmethoden und von Kulturtechniken heute etwas leisten, was noch vor kurzem selbstverständliche Aufgabe der Grundschule war.

Eine herausragende Bedeutung mit einem Anteil von nahezu der Hälfte der Stundentafel sollten in der Grundschule wieder die Fächer Deutsch und Rechnen/Mathematik haben. Diese beiden Fächer vermitteln in besonderer Weise das Beherrschen der wichtigsten Kulturtechniken: Lesen, Schreiben, Sprechen, Wortschatz, Orthographie, Grammatik, Syntax, Sprachbetrachtung; Umgang mit Zahlen und Größen, Grundrechenarten, Sachrechnen, geometrische Grunderfahrungen. Fächervermengungen sind unangebracht: Die deutsche Sprache lernt man am besten im Fach Deutsch und Rechnen im Fach Rechnen!

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Josef Kraus (*1949), Oberstudiendirektor a.D., Dipl.-Psychologe, 1987 bis 2017 ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, 1991 bis 2013 Mitglied im Beirat für Fragen der Inneren Führung beim Bundesminister der Verteidigung; Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande (2009), Träger des Deutschen Sprachpreises 2018; Buchautor, Publizist; Buchtitel u.a. „Helikoptereltern“ (2013, auf der Spiegel-Bestsellerliste), „Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt“ (2017), „Sternstunden deutscher Sprache“ (2018; herausgegeben zusammen mit Walter Krämer), „50 Jahre Umerziehung – Die 68 und ihre Hinterlassenschaften“ (2018), „Nicht einmal bedingt abwehrbereit – Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine“ (2019, zusammen mit Richard Drexl)

Bild: Shutterstock

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