Sehen Sie hier mein Video über die Bundespressekonferenz heute, in dem es auch um diese Studie geht.
Die Schlagzeile war allgegenwärtig, selbst in den ZDF-Nachrichten kam es groß. „Studie zeigt: Corona-Demos in Berlin und Leipzig waren Superspreader-Events“, titelt das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), zu dessen Eigentümern auch die SPD gehört. Weiter heißt es in dem Text und in unzähligen anderen Medien sinngemäß ähnlich: „Die Erkenntnis scheint nicht neu zu sein, doch jetzt ist sie wissenschaftlich untermauert – die großen Anti-Corona-Demonstrationen in Berlin und Leipzig im vergangenen Jahr waren Superspreaderevents. Das ist das Ergebnis einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW und der Humboldt-Universität Berlin.“
Auch auf der Bundespressekonferenz, von der ich diesen Beitrag schreibe, fragten Kollegen bereits nach der Studie. Tenor der Fragen: Müsste man jetzt nicht noch strenger sein mit Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen?
Sieht man sich die „Studie“ genauer an, kommt Erstaunliches zu Tage: Das Originalpapier ist als „Diskussions-Papier“ bezeichnet. Ich fragte einen befreundeten Arzt, der in der Wissenschaft aktiv ist, ob man dieses Papier wirklich als Studie bezeichnen kann. Seine Antwort: „Medizinische Studien gehen auf einen Pre-Print-Server und dann durch die Peer Review. Striktes System. Dies hier ist ein Irgendwas eines Wirtschaftsverbandes namens ZEW. Und mein Bauchgefühl sagt mir: das ZEW bekommt staatliche Zuschüsse. Wetten?“
Man braucht nicht weit zu suchen, um genau das festzustellen. Über das ZEW (Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) heißt es auf Wikipedia, das sonst keine zuverlässige Quelle ist, aber hier durchaus unverdächtig: „Die Finanzierung des ZEW erfolgt zum größten Teil aus Mitteln des Landes Baden-Württemberg sowie seit dem Jahr 2005 aus der Bund-Länder-Finanzierung; diese institutionelle Förderung betrug im Jahr 2019 ca. 61 Prozent. Drittmittel (inklusive „sonstiger Erträge“) machten 36 Prozent aus.“
Warum es in den Medien heißt, bis hin zum ZDF und auf der Seite des ZEW, es sei auch eine Studie der Humboldt-Universität (HU), ist mir schleierhaft. Einziger Hinweis auf die Humboldt-Uni in dem Diskussionspapier ist, dass einer der Verfasser mit der HU in Verbindung gebracht wird. Darf man die Studie deshalb als HU-Studie bezeichnen, fragte ich meinen Arzt: Seine Antwort: „Unfug. Man kann allenfalls erwähnen, dass eine mit der HU verbundene bzw. dort tätige (?) Person mitgewirkt hat. Ich würde sofort den HU Präsidenten kontaktieren und grillen. Ob er weiß, was unter dem Namen der HU läuft. Das ZEW ist mir suspekt. Bauchgefühl: staatsgeldabhängiger Laden?? Und mit Medizin hat das ZEW schon mal gar nichts zu tun, scheint aber laut Webseite besessen von Corona. Regierungs-Front Shop?“
Die Verfasser des Papier haben folgende Qualifikation: Ole Monscheuer „Labor Economics, Economics of Migration, Applied Econometrics“, und über den zweiten Autor, Martin Lange, heißt es auf der Website des ZEW: „Martin Lange ist seit September 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter im ZEW-Forschungsbereich ‘Arbeitsmärkte und Personalmanagement‘. Dort ist er im Forschungsschwerpunkt ‘Integration in Arbeitsmärke‘ tätig. Seine Forschungsinteressen liegen in der angewandten Mikroökonometrie und der empirischen Arbeitsmarktforschung. Dabei beschäftigt er sich insbesondere mit den ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen von Migration auf die aufnehmende Gesellschaft, dem Integrationsprozess von Migranten sowie der ökonomischen Analyse kriminellen Verhaltens.“
Insofern handelt es sich hier um eine Medien-Kampagne, ja beinahe um Desinformation. Ein merkwürdiges Papier wird in den Medien zur „Studie der Humboldt-Universität“ – und es wird der Eindruck erweckt, es handle sich um eine fundierte Studie und der eilige Leser wird zudem noch glauben, sie sei eine medizinische.
Wir haben bei der Humboldt-Universität angefragt, ob es sich um eine Studie der Hochschule handelt:
In den Medien ist davon die Rede, dass die ZEW-Studie (Link hier) auch eine Studie der Humboldt-Universität ist. Wir finden allerdings in der Studie keinerlei Hinweis darauf. Können Sie bestätigen, dass es sich hier um eine Studie der Humboldt-Universität handelt?
Die Antwort der Pressestelle:
Mitautor dieser Studie ist Dr. Ole Monscheuer von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität. Den Hinweis auf die Autorenschaft finden Sie auf Seite 2 der Studie.
Meine Nachfrage:
Besten Dank für Ihre Antwort.Allerdings ging es darum, ob es sich um eine Studie der Universität handelt, wie dies in den Medien geschrieben wird.Verstehe ich Sie richtig dahingehend, dass der einzige Zusammenhang zwischen Ihrem Haus und der Studie darin besteht, dass einer der Autoren in Ihrem Haus tätig ist und Sie die Studie weder in Auftrag gegeben noch sonst irgendwie autorisiert oder als Institution mitgewirkt haben?Trifft es damit zu, dass der Begriff „Studie der Humboldt-Universität“ irreführend ist und richtig wäre: „Studie, bei der einer der Autoren Mitarbeiter der Humboldt-Universität ist“?
Die Antwort:
Die Medien zitieren absolut korrekt, wenn sie schreiben: „…Dies zeigt eine aktuelle Studie des ZEW Mannheim und der Humboldt-Universität zu Berlin“ – denn genau so hat es das bei der Studie federführende ZEW per Pressemitteilung publiziert (u.a. hier:) https://idw-online.de/de/news762798.
Deshalb wäre es falsch, die Studie allein der Humboldt-Universität zuzuschreiben, aber mitgewirkt hat sie über den Co-Autor schon.
Man lernt nie aus im Leben. Bisher war ich ebenso wie der befreundete Mediziner und Wissenschaftler davon ausgegangen, dass eine Studie allein dadurch, dass ein Mitarbeiter einer Universität an ihr beteiligt ist, nicht automatisch zu einer Studie dieser Universität wird.
Den Inhalt der „Studie“ konnte ich leider nur überfliegen. Wenn der erste Eindruck nicht täuscht, wird dort zumindest der Anschein erweckt, dass es einen Zusammenhang gebe zwischen dem AfD-Anteil von Wählern in bestimmten Regionen und den Corona-Fällen dort. Das Wort „AfD“ kommt 28 Mal vor, das Wort „Honk“ 62 Mal. Kritiker der Corona-Maßnahmen werden durchgängig als „Corona-Leugner“ diffamiert, der Begriff wird 73 Mal verwendet. Was schon per se völlig unwissenschaftlich ist: denn die wenigsten Kritiker der Maßnahmen leugnen Corona. Sie protestieren in der Regel, weil sie die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen bestreiten.
Ich hoffe sehr, dass sich jemand von meinen Lesern oder Gastautoren der „Studie“ annehmen und ihren Inhalt analysieren wird. Sie finden Sie hier.
Lesen Sie unten noch die Fragen von zwei Kollegen heute auf der Bundespressekonferenz zu der „Studie“.
FRAGE JORDANS: Meine Frage richtet sich an Frau Demmer, gegebenenfalls auch an BMG und BMI. Das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim hat gestern eine Studie zu den Auswirkungen der „Querdenken“-Demonstrationen im November 2020 auf das Pandemiegeschehen in Deutschland vorgelegt. In dieser Studie sind die Autoren zu dem Schluss gekommen, dass die Demonstrationen dazu beigetragen haben, dass sich das Coranavirus innerhalb von Deutschland stark verbreitet hat. Ich weiß jetzt nicht, ob Sie die Studie gelesen haben. Ich habe sie Ihnen gestern zugeschickt. Sieht man denn im Ministerium für Gesundheit, im Ministerium für Inneres oder im Kanzleramt eine Notwendigkeit, aus der Studie Konsequenzen für die Handhabe solcher Demonstrationen zu ziehen? Folgt man den Schlüssen der Studie?
Merkel-Sprecherin DEMMER: Wir haben die Studie zur Kenntnis genommen. Die Bundespressekonferenz ist jetzt aber nicht der Ort, um einzelne Studien zu bewerten. Das machen wir ja grundsätzlich nicht.
Sowohl das Kanzleramt als auch die Fachministerien nehmen den wissenschaftlichen Diskurs zu Corona und die Auswirkungen auf die Pandemie natürlich sehr genau zur Kenntnis. Das schließt auch neue Studien und ihre Ergebnisse mit ein. Ich habe ja eben auch darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung in einem ständigen Austausch mit der Wissenschaft steht.
An der hier mehrfach vorgetragenen Auffassung der Bundesregierung zu den Demonstrationen hat sich nichts geändert. Friedliche Demonstrationen sind auch in schwierigen Zeiten wichtig. Es ist wichtig, auch in diesen Zeiten Meinungen öffentlich vertreten zu können. Kritik muss in einer Demokratie immer möglich sein, denn Demokratie braucht Öffentlichkeit, damit Streit und unterschiedliche Meinungen ausgetragen werden können. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ja konstituierend.
Das befreit aber natürlich Teilnehmer von Demonstrationen nicht von ihrer Verantwortung gegenüber ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern, was die Einhaltung von Hygiene-, Schutz- und Abstandsregeln betrifft. Alle müssen sich an die AHA-Regeln halten, die Sie kennen: Abstand halten, Hygienemaßnahmen einhalten und Alltagsmaske verwenden. Es muss also beides möglich sein: friedlich demonstrieren, was ein Grundrecht ist, und die Regeln einhalten, die wir uns während der Pandemie zu unserem eigenen Schutz und unserer eigenen Sicherheit gegeben haben.
FRAGE JESSEN: Meine (…) zweite Frage richtet sich an Frau Demmer und bezieht sich auf die Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, die der Kollege Jordans erwähnt hat. In dieser Studie wird ja empirisch ziemlich deutlich nachgewiesen, dass in solchen Landkreisen, aus denen über bestimmte Busunternehmen gezielt Teilnehmer zu den „Hygienedemos“ gefahren wurden, ein signifikant verstärktes Infektionsgeschehen aufgetreten ist. Ist das für die Bundesregierung Anlass, über die Kontrolle solcher Fahrten oder die Einhaltung der Hygienevorschriften erneut nachzudenken und Maßnahmen zu ergreifen?
KAUTZ: Diese Lieferung ist nicht an einen bestimmten Zeitraum gekoppelt, Herr Jessen. Es ist natürlich vom Verlauf der Pandemie und von der Länge der Pandemie abhängig, ob man über eine zweite Lieferung noch einmal nachdenken würde. Momentan ist das nicht geplant.
Merkel-Sprecherin DEMMER: Ich kann noch einmal wiederholen: Es muss beides möglich sein – friedlich zu demonstrieren, was ein Grundrecht ist, und die Regeln in der Pandemie einzuhalten. Die örtlichen Behörden sind selbstverständlich aufgefordert, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und auch ihrer rechtlichen Möglichkeiten dazu beizutragen, die Ausbreitung des Virus auf dem derzeit niedrigen Niveau zu halten und einzudämmen. Aber ich muss eben auf die örtlichen Behörden verweisen.
ALTER (Innenministerium): Vielleicht kann ich das noch ergänzen und daran erinnern, dass wir ja an dieser Stelle, nachdem wir solche Demonstrationen beobachtet haben, dies auch deutlichst kritisiert haben, und zwar nicht, weil Menschen demonstrieren, sondern weil eben die Beobachtung schon befürchten ließ, dass, wenn sich so viele Menschen treffen und jegliche Schutzmaßnahmen missachten, das dann natürlich einen Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben muss. Sie erinnern sich, dass es insbesondere nach der großen Demonstration in Leipzig darüber auch eine Diskussion gab.
Bild: OdyMiles/Shutterstock
Text: br