Von Alexander Wallasch
Fast jeder kennt wohl dieses drückende Gefühl der Hilflosigkeit nach einem Döner „mit Alles“, viele wissen um diese Ohnmacht, wenn der geneigte Esser darum betet, dass dieses anschließende Völlegefühl rasch vorbeigehen möge. Nein, so ein Döner, der ganz früher mal Gyros hieß, als es noch mehr griechische als türkische Gastarbeiter gab, so ein Döner ist nicht zwingend gesund, aber eben auch verdammt lecker.
Einen ähnlichen Effekt, wenn auch für die muslimischen Kollegen am Band keine Alternative, bewirkt die Currywurst. Am Donnerstag war immer Currywursttag in der Volkswagen-Werbeagentur; im Volkswagenwerk sogar täglich für alle, die sie täglich mögen. Wer nicht aus der Region stammt, der weiß nichts von diesem Kult um die Volkswagen-Currywurst, die jetzt überraschend im Stammwerk in Wolfsburg abgeschafft wurde.
Im Großraum Wolfsburg-Braunschweig kann man die Volkswagen-Currywurst auch im Supermarkt kaufen, samt dazugehörigen, mit VW-Zeichen gelabeltem Ketchup. Und um zu verdeutlichen, um was es hier geht: Die VW-Currywurst ist stückzahlenmäßig das erfolgreichste Produkt des VW-Konzerns. „Mit sieben Millionen Würsten wurden 2019 mehr ‚Currybockwürste‘ als Pkw produziert“, vergleicht der „Stern“ hier zwar Äpfel mit Birnen, nennt uns aber eine Zahl.
Die Volkswagen-Currywurst hat ihre eigene Wikipedia-Seite und der Volkswagen-Händler kann sie im Teile-Katalog bestellen – unter der Bestellnummer 199 398 500 A direkt aus der „Volkswagen Service Factory“, wie Volkswagen-Metzger & Co. auf Neudeutsch heißen.
Schweinefleisch und -speckstange verschwindet zeitgleich mit Benziner
Zwar wird die vegane Version ebenfalls von der Factory hergestellt und zum Mitnehmen angeboten – dazu gleich mehr – aber sie wird in der Kantine kaum angeboten. Sind die Currywürste zum Mitnehmen mal aus, liegen die viel kleineren, kümmerlich-grünlich gefärbten veganen Currystiefkinder immer noch eingeschweißt in ihren Plastikmäntelchen neben der Leerstelle der Schweinefleischkollegen.
Man kann hier nur mutmaßen, ob das mal ein Angebot für die vielen muslimischen Kollegen sein sollte, aber bestellt oder mitgenommen wird es auch von denen kaum, diese Kollegen sind gefühlt auch eher seltener in der Kantine anzutreffen – aber darüber gibt es wie gesagt keine Statistiken.
Zum Mitnehmen? Tatsächlich gibt es fast alle Gerichte zum Mitnehmen, nicht aus der Kantine, sondern extra in Truhen oder in Automaten sogar vor dem Werkseingang platziert, wo der currywurstsüchtige Mitarbeiter sogar 24/7 an sein Werk fahren und die Lieben daheim mit seinem Lieblingsgericht überraschen kann, dann, wenn der heimische Kühlschrank einmal leer ist.
Wem die Tagesgerichte der Kantine mal nicht schmecken, weil die Küche beispielsweise zu sehr ins experimentelle vegane Fach gewechselt hat, der bestellt Currywurst. Auch für die vielen Fremdfirmen in den Werken bleibt es obligatorisch: Wenn wir schon mal hier sind, dann bestellen wir die Wurst: Currywurst/Pommes bitte für alle. Zu den Pommes seit ein paar Jahren der Warnhinweis: Im Fett werden auch die Schnitzel gebraten!
Übrigens: Die Kollegen im Werk können mit ihrem Werksausweis für bis zu zweihundert Euro einkaufen. Theoretisch also 200 Euro to go oder gleich in der Kantine weggeschmatzt. Sogar Zigaretten kann man mit dem Werksausweis mitnehmen. Der Benziner weg, die Wurst auch – nur gequalmt wird noch auf Werksausweis. Darf man hier gar nicht zu oft schreiben, sonst müssen die Kollegen demnächst vor die Werkstore, um ihre Glimmstengel zu bekommen. Grundsätzlich ist zu beobachten: Mit dem Bezahlen via Werksausweis wird mehr gegessen, einfach, weil man nicht mehr bar bezahlen muss, das Geld sitzt lockerer im Portemonnaie.
Apropos außer Haus: Ältere Kollegen erzählen, dass es früher eine halbe Stunde unbezahlte Pause gab. Da liefen viele Mitarbeiter rasch in die umliegenden Gartenkantinen – das Werk in Braunschweig ist von etlichen Schrebergartenkolonien umgeben – und genehmigten sich einen. Diese Liebe zu Bier und Korn zwischendurch ist heute fast ausgestorben, ein Relikt wohl aus der Wirtschaftswunder-Ära, als zu Hause nach Feierabend Underberg zum Bier aus dem Gürtel gezogen wurde, weil die Kantinen-Currywurst so dolle nachzwickte.
Fleischlose Wokeness am Fließband
Jetzt ist sie weg, die Currywurst, obwohl sie sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreut. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Laut Auto-Motor-Sport sollen immer mehr Malocher – jedenfalls nach Angaben aus dem Volkswagen-Infoschreiben – „mehr vegetarische und vegane Gerichte“ verlangt haben. Das lässt sich von außen schlecht überprüfen. Naheliegend ist aber, dass sich das Unternehmen viel nachhaltiger präsentieren will – man nimmt dem Werker seine Wurst, damit das E-Auto und damit der Konzern selbst noch mehr von dieser erwünschten Wokeness glänzen kann.
Die Abschaffung der Currywurst soll der Umwelt zugutekommen, heißt es. Nahezu fleischlose Konzepte sollen sich in den Kantinen durchsetzen, der neue Werker ist der neue Mensch, die neuen umweltfreundlichen Autos sollen nicht von Fleischessern produziert werden – Volkswagen lebt das E-Auto bis hinunter in den Dickdarm der Mitarbeiter.
Eine Bevormundung, wie sie sich eine Renate Künast (grüne Ex-Landwirtschaftsministerin) nicht einmal im Traum hätte ausdenken können, als sie 2013 so grandios mit ihrem Veggie-Day scheiterte – der Arbeiter bei Volkswagen bekommt jetzt die Veggie-Wochen, und das 52 Mal im Jahr.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung übernimmt dann auch gerne, was Volkswagen verlautbart: „Die Currywurst scheint bei VW wie der Diesel zum Auslaufmodellmodell zu werden. Das ist aber kein Veggie-Day durch die Hintertür, sondern Eingehen auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter – ganz ohne erhobenen Zeigefinger.“ Viel näher dran an der Wahrheit ist, was im weiteren Verlauf des Artikels folgt. Nämlich der Wunsch der Volkswagen-Führung, mit dem neuen Speiseplan auf den Klimawandel zu reagieren und CO2 vermeiden zu wollen, wie es verlangt wird.
„Es ist die mit viel Moral aufgeladene politische Debatte über den rechten Weg zum Klimaschutz, die den Verzicht auf die Currywurst für manchen zum Kulturkampf macht.“ Dabei wünschten sich, so die Zeitung weiter, „vor allem jüngere Büroangestellte von VW einfach nur ein breiteres, fleischfreies Angebot.“
Der „aller-echte“, der letzte ölverschmierte Werker ist jetzt Geschichte: Autoproduktion ist spätestens seit der theatralischen Inszenierung der Volkswagen-Produktion – als Manufakturfertigung mit weißen Handschuhen und auf Edelholzparkett, wie im Glaspalast bei Volkswagen in Dresden – so nicht mehr erwünscht.
Die letzte Currywurst im Glas im Center of Future Mobility
Ironie der Geschichte: In der Gläsernen Manufaktur in Dresden wurde der Phaeton in Handschuh-Handarbeit gefertigt, das einstige Oberklasse-Schlachtschiff des Konzerns war aber mit der Dieselgate-Affäre am schnellsten aus dem Sortiment verschwunden – heute inszeniert Volkswagen am selben Ort die Elektromobilität – dort, wo einst sogar die New Yorker Philharmoniker eingeflogen wurden, um den Soundtrack zur Phaeton-Produktion zu geben. Die Gläserne Manufaktur heißt jetzt „Center of Future Mobility“.
Aber der schönste Volkswagenspaß hier ganz zum Schluss: Diese Gläserne Manufaktur, die bis Dieselgate das CO2-Monster Phaeton von Hand fertigte – jedenfalls teilweise für den Show-Act – und wo heute die mickrigen Fahrzeuge der E-Mobilität übers Edelholz schweben, dort offeriert ein Gourmet-Restaurant Speisen für die Besucher. Und was steht aktuell im Volkswagenhaus der Elektromobilität in Dresden auf dem Speisenplan? Lesen sie selbst, was der Sterne-Chefkoch anbietet: „Ein Klassiker auf neue Art serviert: Als Appetizer wird die VW-Currywurst auch schon mal im Glas gereicht.“
P.S.: Volkswagen plant ab August, viele Mitarbeiter selbst zu impfen. Davon, dass es als Impfanreiz eine Currywurst extra gibt, kann jetzt allerdings nicht mehr die Rede sein.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: User:Himszelf/Galleries/Food and drink/CC BY-SA 3.0 / screenshot Screenshot Appetizer VW Currywurst im Glas www.glaesernemanufaktur.deText: wal