Ein Gastbeitrag von Boris Blaha
Vor gut dreißig Jahren veröffentlichte die ZEIT unter dem fast schon prophetischen Titel Mehr Demut, weniger Illusionen am 17.12.1993 ein Streitgespräch zwischen dem deutschen Vorzeige-Intellektuellen Jürgen Habermas und dem Polen Adam Michnik. In einem zehnjährigen politischen Aufbruch hatten die Polen mit streikenden Arbeitern, solidarischen Intellektuellen und einem Ausnahmepapst die in der Verfassung verankerte führende Rolle der kommunistischen Partei gekippt und die selbst ernannte Avantgarde an einen politischen Runden Tisch zurück gezwungen. Die deutsche Wiedervereinigung konnte dagegen ohne politischen Aufbruch in trockene Tücher gebracht werden. Die längst auch im Westen entstandenen neofeudalen Strukturen blieben unbeschädigt erhalten. Der westdeutsche Privatbürger wollte von den politischen Unannehmlichkeiten nicht gestört werden, die leidige Angelegenheit nebenbei aus der Portokasse bezahlen und sich lieber mit der Frage beschäftigen, wohin man nächstes Jahr in Urlaub fährt.
Wozu Stalinismus diskutieren?
Das europäische Nachbarland Jugoslawien versank derweil im Bürgerkrieg. Der erste Völkermord in Europa nach dem zweiten Weltkrieg war am Horizont schon zu erahnen (Srebrenica). Auch der deutsche Vorzeige-Intellektuelle wollte sich mit Politik nicht die Finger schmutzig machen und forderte unverblümt: Da sollen gefälligst die Amerikaner einmarschieren, vierzig Jahre bleiben und Demokratie herstellen. Was die Amerikaner mit einer europäischen Ordnung zu tun haben, interessierte den Philosophen nicht. Da stellte ihm der listige Fuchs Michnik eine Falle und fragte ihn, warum man denn in Westdeutschland nach 45 so wenig über den Stalinismus gesprochen hätte. Habermas, der 1988 das erste Mal in der DDR war und dann erst bemerkte, was andere schon 1953 verstanden hatten, musste zugeben, dass er sich mit dem Totalitarismus in seiner stalinistischen Ausprägung nicht beschäftigt hatte. Der antifaschistische Kampf gegen Adenauers Antikommunismus war ihm wichtiger.
Die intellektuellen Nachkriegsversäumnisse machen sich jetzt unangenehm bemerkbar. Viele glauben noch immer, die Grünen seien eine Partei. Es ginge ihnen doch um das Gute und die Demokratie, nur bei den Mitteln würden sie gelegentlich spätpubertierend etwas über die Stränge schlagen. Weit gefehlt: Die lange erfolgreiche Fassade der schrulligen, aber politisch harmlosen Ökopaxe hat inzwischen deutliche Risse bekommen. Das strukturierte Vorgehen zur Aushöhlung der Demokratie wird in Umrissen erkennbar. Die Grünen orientieren sich seit ihren Anfängen an Lenins Avantgarde Konzept. Sie beanspruchen für sich die führende Rolle einer Vorhut, die eine ganze Gesellschaft ohne vorher deren Einwilligung eingeholt zu haben, mobilisieren, transformieren und in Richtung neues Paradies bewegen will, was nur funktionieren kann, wenn sie von Orwell’schen Schweinen, die gleicher sind als andere, dazu angeleitet und Abweichler konsequent vernichtet werden.
Dazu muss man gewisse Schalthebel der Macht besetzen. Zu Lenins Zeiten genügte eine skrupellose bewaffnete Minderheit, die zum rechten Zeitpunkt eine legitime Regierung verhaftete, den Verfassungskonvent auflöste und mit einer Geheimpolizei Terror verbreitete. Aus dem Scheitern der RAF zogen die links-grünen Neo-Stalinisten den Schluss, dass man im entwickelten Westen dezenter vorgehen müsse. Das mit der Revolution hatte ja schon 1918 nicht geklappt. Man gab den bolschewistischen Putsch nicht auf, verlegte sich aber auf Mittel, die auf der Zeitachse gestreckt und auf den ersten Blick nicht als gewaltsam und kriegerisch erkennbar waren, obwohl sie den gleichen Zweck verfolgten. Über die Unterwanderung des ÖRR wurde bereits ausführlich berichtet, konzentrieren wir uns auf Behörden. Der Fall des Thüringer Verfassungsschutzes kann exemplarisch herangezogen werden.
Deutsche Behörden: Zwischen Putsch und Widerstand
Man setze einen Gesinnungsfreund an die Behördenspitze. Wie bei der Kollegin aus dem Völkerrecht sind selbst rudimentäre berufliche Qualifikationen nebensächlich und werden durch erhöhten Gesinnungseifer mehr als wettgemacht, der künftig dafür sorgt, dass disziplinarisch nach innen Angst und Verunsicherung verbreitet werden. Niemand soll sich mehr sicher fühlen. Nach außen wird unter dem Deckmantel einer neutralen, korrekten und rechtsstaatlich einwandfreien Behördenarbeit die Propaganda der bereits unterwanderten Medien mit entsprechenden Gutachten und wohlfeilen Formulierungen („gesichert rechtsextrem“) unterfüttert. Es dauert, bis das Schmierenstück in der Breite der Medienkonsumenten angekommen ist, zumal es von den meisten begierig aufgegriffen wird, weil es bestätigt, was sie ohnehin schon immer zu wissen glaubten. Das hat nicht nur den Effekt, dass man dadurch ein weiteres Standbein hat, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Der wichtigere Effekt betrifft die Mühlen der Justiz, die bekanntlich langsam mahlen. Wie die Bolschewisten die Macht erobert haben, gehört gewöhnlich nicht zu den Curricula einer juristischen Standardausbildung. Die meisten Juristen gehen daher noch davon aus, dass Stellungnahmen, die aus Behörden kommen, politisch neutral und rechtsstaatlich korrekt erarbeitet wurden. Sie werden, versehen mit dem Heiligenschein staatlicher Tätigkeit, ungeprüft übernommen, ihr Propagandazweck und Einsatz als Kriegsgerät bleiben verborgen. Massenhaft werden die Richter so zu nützlichen Handlangern einer sozialistischen Aushöhlung der Gewaltenteilung und merken nicht einmal, an welch langer Leine sie gerade hängen. Das Gros der Richter hatte sich nach 45 mehr mit der Sicherung von Beamtenstatus und -Pension beschäftigt als mit der Frage, wann und warum sie auf die schiefe Bahn gerieten. Was heute politisch längst als Hochverrat einzustufen wäre, kann strafrechtlich nicht einmal angemessen belangt werden, weil der Hochverrats Paragraf noch von einem gewaltsamen Umsturz mit bewaffneten Kräften ausgeht. Ein Parlament, das mehrfach ohne Not den Notstand verhängt, wird sich für die Freiheit nicht ins Zeug legen. Es würde daher Sinn machen, sich daran zu erinnern, warum und wie die Amerikaner in den Nürnberger Prozessen „Verschwörung“ ins Spiel brachten, ein Begriff, der wie Hochverrat ein ähnliches Ziel verfolgt, aber deutlich unkriegerischer und mehr im Hintergrund auf leisen Sohlen daherkommt. Bekanntlich blieb auch die Weimarer Verfassung im Dritten Reich innerlich völlig ausgehöhlt, rein formal aber in Kraft.
Das RKI-Leak hat die Illusion neutraler Behörden nachhaltig enttäuscht. Es wird allerdings dauern, bis die Konsequenzen auch beim letzten Provinzgericht angekommen sind. In der Zwischenzeit gilt es, jene Helden zu stützen, die sich aus klassisch preußischer Beamtentradition einem Missbrauch widersetzen. In der ersten Phase war es ein Stefan Kohn, Referatsleiter im Innenministerium, der den Corona Fehlalarm publik machte und sofort von Herrn Seehofer suspendiert wurde, es war ein Familienrichter Dettmar, der für das Kindeswohl eintrat und kürzlich in einem höchstrichterlichen Schandurteil dafür verurteilt wurde, und es war ein Grundschulleiter, der die Maskenpflicht für seine Schüler remonstrierte und von Brandenburgs Kultusministerin sofort suspendiert wurde. Auf meine erboste Email schickte mir die damalige Ministerin, zugleich Ehefrau von Olaf Scholz, auf dem Wege der Bremer Amtshilfe frühmorgens drei Polizisten ins Haus, die mich mit einer Gefährderansprache einschüchtern sollten. Auf die Frage, wo denn die Sprengstoffgürtel seien, reagierten die Polizisten verständnislos. Zeit also, umzudenken: Der Hochverrat kommt nicht mehr als Militärputsch und mit Attentaten daher, sondern aus den Spitzen weisungsabhängiger Behörden.
Heute sind es die anonymen Whistleblower und die zahlreichen kleinen Leute, die nach dem Motto „Bestrafe einen, erziehe Tausend“ unsere Aufmerksamkeit und Sorge wecken sollten. In Polen hatte sich schon im Vorfeld der Solidarność 1976 das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) gegründet, um Landsleuten, die mit dem übergriffig repressiven Staat in Konflikt gerieten, sowohl rechtlich als auch finanziell unter die Arme zu greifen. Ein Vorbild auch für uns?
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Dieser Beitrag erschien zunächst auf Hannah-Arendt.de.
Boris Blaha ist geb. 1960 in München; Studium von Geschichte, Soziologie, Sozial- und Kulturwissenschaften an den Universitäten Würzburg, Regensburg und Bremen; Abschluss M.A., Gründungsmitglied „Hannah Arendt Preis für politisches Denken“
Bild: KI