Wenn man sich aus unterschiedlichen Quellen über die Großdemonstrationen in Wien informiert, kommt man zu dem Schluss, dass es Parallel-Universen geben muss. „Mit Davidstern und Ivermectin: Tausende bei Corona-Demo am Heldenplatz“, titelt der regierungstreue „Kurier“ im typischen Framing und zeigt dazu ein Bild, das alarmierend aussieht, mit Rauch, der offenbar von Feuerwerkskörpern stammt. Im Vorspann heißt es dann: „Die Stimmung ist aufgeladen – in einschlägigen Gruppen wurde im Vorfeld auch zu Gewalt aufgerufen.“ Weiter ist folgender Text zu sehen: „Hooligans an der Front. Gegen Migration, gegen Globalisierung, gegen Impfungen: Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme vereint.“
Ein ganz anderes Bild bekommt man, wenn man die regierungskritische Seite „Wochenblick“ öffnet. Die Überschrift dort zu den Demonstrationen, zu deren Veranstaltern auch die FPÖ gehört: „MEGA-Demo in Wien bringt Corona-Regime das große Zittern“. Auch hier Framing durch die Wortwahl, genauso wie beim Kurier, nur in die andere Richtung.
Weiter heißt es in dem Bericht: „Die zigtausend Demonstranten, die sich nach Wien aufgemacht haben, scheinen die Corona-Diktatur in Panik versetzt zu haben. Die Berichte häufen sich, dass Autobusse für Kontrollen umgeleitet werden und Teile des U-Bahn-Systems sollen außer Betrieb genommen worden sein.“ Und: „Vor dem riesigen Ansturm, der sich schon jetzt abzeichnet, hat das System merklich Angst. Erste Redner sprachen von 100.000 Teilnehmern.“
Der Journalist Michael Bonvalot schreibt auf Twitter: „Das war heute einer der größten extrem rechten Aufmärsche in Österreich nach 1945 – vermutlich der größte. Neonazis und Neofaschist“innen haben die Polizei sowie mich und andere Journalist*innen angegriffen. Ohne relevante Konsequenzen. Die Situation ist brandgefährlich. #w2011“
Meine Live-Berichterstattung vom Aufmarsch der extremen Rechten in Wien ist vorerst beendet. Wollt ihr meine Berichte, Artikel und Recherchen unterstützen? Hier könnt ihr meine Arbeit supporten! Vielen lieben Dank! ❤️❤️❤️ #w2011
➡️https://t.co/js4TpZbG8R pic.twitter.com/KpFM7yEFwq— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) November 20, 2021
Heldenplatz in #Wien vor dem Bundeskanzleramt und dem Amtssitz des Bundespräsidenten: pic.twitter.com/aOetkWZTzb #w2011 #Wien2011 #Österreich #Impfpflicht #Lockdown #Faschismus
— storymakers (@mz_storymakers) November 20, 2021
#Österreich, die Massen in Wien:#NoVaccinePassportsAnywhere#NoMandatoryVaccines#w2011
— henning rosenbusch (@rosenbusch_) November 20, 2021
In #Wien wollen sogenannte Antifaschisten in kleinen Gegendemos gegen Zehntausende Menschen demonstrieren, die gegen offen gelebten Faschismus in #Österreich demonstrieren. Wie originell… #w2011
— storymakers (@mz_storymakers) November 20, 2021
Schöne Bilder: Wiener Polizei gesellt sich ganz ohne Helme unter die #Corona-Demonstranten und plaudert mit den Bürgern!
👍#w2011 pic.twitter.com/cO4z2OYlgL— Hartes Geld (@Hartes_Geld) November 20, 2021
Während beim „Kurier“ in der Überschrift noch der Eindruck erweckt wird, die Demonstrationen seien marginal, ist dann weiter unten im Live-Ticker ein anderes Bild zu sehen bzw. zu lesen: „Die Stimmung brodelt. Der neuerliche Lockdown und die angekündigte Impfpflicht dürften dazu führen, dass am Samstag noch mehr Menschen an den Corona-Demos teilnehmen als ursprünglich erwartet.“ Und weiter: „Ein riesiger Demozug hat sich auf dem Ring in Richtung Innenstadt in Bewegung gesetzt. Hunderte skandieren: ‘Widerstand, Widerstand!‘ Pyrotechnik wurde gezündet, kein Einschreiten der Polizei.“ Nun auf einmal also ein „riesiger“ Demozug. Und zwischen den Zeilen kann man die Empörung der Kurier-Journalisten darüber herauslesen. Und über das Nicht-Einschreiten der Polizei.
Live-Streams aus Wien (zu sehen etwa hier und hier) zeigen eine große, aber friedliche Masse. Dass hier „Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme“ vereint sein sollen, wie der Kurier schreibt, ist zumindest auf den ersten Blick nicht zu sehen. Immer wieder fordern Menschen, sie wollten ihre Freiheit und sich nicht von der Regierung vorschreiben lassen, wie sie zu leben haben.
Spannend auch: Auf den Startseiten der meisten großen deutschen Medien sind zumindest im oberen Bereich keine Berichte aus Wien zu lesen. Man hat den Eindruck, die Proteste werden totgeschwiegen bzw. heruntergeschrieben. Wie auf Knopfdruck, synchron. Obwohl zuvor über die strengen Maßnahmen in Österreich wie den Lockdown (für alle) und die geplante Impfpflicht sehr breit und prominent berichtet wurde. Herrscht da Angst, dass der Funken überspringt?
Die „Stuttgarter Nachrichten“ gehen so weit, nur von „hunderten Demonstranten“ zu schreiben. Dabei offenbart jeder Blick in einen Livestream binnen Minuten das Gegenteil. Wetten, dass die „Faktenchecker“ das nicht aufgreifen?
Spiegel Online berichtet dafür etwa im Kleingedruckten von „Tausenden“ Demonstranten in Australien. Der erste schelmische Verdacht – dass hier „Austria“ mit „Australien“ verwechselt wurden, wie das englischsprachigen Österreich-Touristen angeblich zuweilen passiert – bestätigt sich indes nicht, weil unterhalb der Überschrift auch Österreich erwähnt wird
Ich werde Sie weiter auf dem Laufenden halten.
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Bild: Screenshot/Youtube/Ruptly
Text: br
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