Neue TV-Doku über den Ursprung der Corona-Pandemie ZDF-INFO oder DESINFO ?

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Roland Wiesendanger

Am 19. April um 20.15 Uhr widmete sich ZDFinfo der Frage „Stammt Corona aus dem Labor?“ In der ZDFinfo Mediathek heißt es hierzu: „Wissenschaftlich gibt es keine Gewissheit, die Verschwörungen kennen aber keine Grenzen.“ Die Labortheorie wird also einmal mehr mit kruden Verschwörungstheorien in Verbindung gebracht, die – so wird dem Zuhörer durch sogenannte Experten, Psychologen und Journalisten erklärt – aus Macht-Spielen zwischen China und den USA resultieren, während ein zoonotischer Ursprung der Corona-Pandemie aus wissenschaftlicher Sicht angeblich näherliegen würde.

Als sogenannte Experten kommen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wie Dr. Kari Debbink von der Johns Hopkins University zu Wort, die in der Vergangenheit selbst in hoch risikoreiche Gain-of-function Experimente involviert war, beispielsweise der künstlichen Erzeugung von Hybrid-Coronaviren, die in besonders leichter Weise an menschliche Atemwegszellen andocken können und bereits 2015 das laborbasierte Potential einer menschlichen Pandemie aufzeigten [Nature Medicine 21, 1508 (2015)].

Die wichtigsten Fakten, die für einen Laborursprung des SARS-CoV-2 Virus sprechen, werden in der ZDF-Doku erst gar nicht angesprochen. So erfährt der Zuhörer beispielsweise nicht, dass die Gensequenz des SARS-CoV-2 Virus eine sogenannte Furin-Spaltstelle zwischen den Abschnitten S1 und S2 des Spike-Proteins enthält, die es dem SARS-CoV-2 Virus besonders leicht macht in menschliche Zellen einzudringen. Eine solche Furin-Spaltstelle war bislang bei SARS-artigen Coronaviren nicht bekannt. Die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen natürlichen Entstehung wurde in der Fachliteratur zu kleiner als 1:10 Milliarden abgeschätzt [Frontiers of Virology 2, 834808 (2022)]. Der US-amerikanische Virologe Robert Garry kommentierte diesen Sachverhalt bereits am 2. Februar 2020 mit den Worten: „I just can‘t figure out how this gets accomplished in nature.“ („Ich kann mir einfach nicht erklären, wie das in der Natur bewerkstelligt wird.“) Der US-amerikanische Nobelpreisträger David Baltimore sprach im Zusammenhang mit der Existenz einer Furin-Spaltstelle in SARS-CoV-2 von einer „smoking gun“ für einen Laborursprung der COVID-19 Pandemie – also einem „rauchenden Colt“.

Die Zuschauer der ZDF-Doku erfahren auch nicht, dass es 2018 einen Forschungsantrag mit dem Kurztitel „DEFUSE“ von Peter Daszak (EcoHealth Alliance), Ralph Baric (University of North Carolina), Shi Zheng-Li (Wuhan Institute of Virology) und Kollegen gab, in dem explizit der Einbau von Furin-Spaltstellen in SARS-artige Coronaviren vorgeschlagen und bis ins Detail beschrieben wurde, um das „Pandemiepotential“ von Coronaviren aufzeigen zu können. Zwei Jahre später erblickt das SARS-CoV-2 Virus die Welt mit genau einer solchen Furin-Spaltstelle, die es zuvor in natürlich vorkommenden SARS-artigen Coronaviren nicht gegeben hat. Der bekannte Virologe Simon Wain-Hobson vom Pariser Pasteur-Institut sprach in diesem Zusammenhang davon, dass dieser Forschungsantrag als „Roadmap“ zur Erzeugung eines SARS-CoV-2 Virus angesehen werden kann.

Die Zuhörer der ZDF-Doku erfahren ebenso nicht, dass es neben der Furin-Spaltstelle mindestens fünf weitere Auffälligkeiten in der Gensequenz des SARS-CoV-2 Virus gibt, wie etwa sogenannte Restriktionsstellen (siehe hier und hier), deren Auftreten auf einen Laborursprung von SARS-CoV-2 hindeuten. Die Gesamtwahrscheinlichkeit des gleichzeitigen Auftretens aller Auffälligkeiten durch natürliche Evolution ist so verschwindend gering, dass von einem Laborursprung („beyond reasonable doubt“ – „zweifelsfrei“) ausgegangen werden muss.

Auch andere wesentliche Informationen, welche über die Eigenschaften der SARS-CoV-2 Gensequenz hinausgehen, werden den Zuhörern der ZDF-Doku vorenthalten, so beispielsweise:

– dass die hoch risikoreichen Experimente mit künstlich erzeugten Hybrid-Coronaviren am Wuhan Institut für Virologie nicht in Biolaboren der höchsten Sicherheitsstufe (BSL-4) durchgeführt wurden – wie im ZDF-Beitrag suggeriert wird – sondern in Biolaboren der geringen Sicherheitsstufe 2;
– dass ein Bericht des Wuhan Instituts für Virologie vom 12. November 2019 bekannt wurde, nach dem es ein Biosicherheitsproblem vor diesem Zeitpunkt gab;
– dass das Wuhan Institut für Virologie bereits am 12. September 2019 die weltweit größte Coronavirus-Datenbank offline genommen und der Wissenschaftsgemeinschaft bis heute nicht zur Verfügung gestellt hat;
– dass das Wuhan Institut für Virologie zur gleichen Zeit einen Antrag zur Verbesserung der Laborsicherheitstechnik gestellt hat;
– dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Wuhan Instituts auf merkwürdige Weise im letzten Quartal 2019 „verschwunden“ sind.

Darüber hinaus enthält die ZDF-Doku zahlreiche Falschangaben. So wird beispielsweise im Beitrag gesagt: „Shi Zheng-Li veröffentlicht die erste Analyse zum Erbgut des neuen Coronavirus am 3. Februar 2020“. Auch wenn man nicht selbst recherchiert, sondern einfach nur auf Wikipedia nachschaut, so kann man dort lesen, dass es Prof. Zhang Yongzhen war, der in den ersten Januartagen 2020 das SARS-CoV-2 Virus sequenziert hat. Ferner steht auf Wikipedia: „Am 13. Januar 2020 wurde die komplette RNA-Genomsequenz eines Isolats des neuen Coronavirus in der NCBI-GenBank hinterlegt“. Die Sequenzierung des SARS-CoV-2 Virus erfolgte also nicht erst am 3. Februar 2020 wie in der ZDF-Doku behauptet. Würde man selbst noch Recherchearbeit betreiben, was man von qualitativ hochwertigem Investigativjournalismus erwarten sollte, so wüssten die Zuhörer einer solchen Doku, dass es zwei chinesische Privatfirmen gibt, welche die Gensequenz von SARS-CoV-2 bereits zur Weihnachtszeit 2019 vorliegen hatten.

Man fragt sich, ob die oben erwähnten Defizite der neuen ZDF-Doku eine Folge unzureichender Recherchen sind (nach dem Motto: „Mit dem Zweiten sieht man weniger“….) oder ob hier bewusst wesentliche Informationen vorenthalten wurden. Die Tatsache, dass keine Stellungnahmen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen in die ZDF-Doku eingeflossen sind, die sich seit Beginn der Corona-Pandemie intensiv mit der Möglichkeit eines Laborursprungs befasst haben, erhärtet zumindest den Verdacht, dass wichtige Informationen für die kritische Beurteilung des Pandemieursprungs zurückgehalten wurden. Wenn dem so wäre, dann würde dieser ZDF-Beitrag ein unrühmliches Beispiel für eine oftmals unterschätzte Propaganda-Methode darstellen – der Vorenthaltung maßgeblicher Informationen.

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