Was Lockdown und Glücksspiel gemeinsam haben Kontrollillusionen in der Corona Pandemie

Ein Gastbeitrag von Sönke Paulsen

In den achtziger Jahren untersuchten die späteren Nobelpreisträger Daniel Kahnemann und Amos Tversky das psychologische Phänomen der „Kontrollillusion“ bei Glücksspielern.

Es ging um die Idee, Einfluss auf das eigene Glück oder auch Pech nehmen zu können. Glücksspieler offenbarten dabei erstaunliche Fehleinstellungen, die von den Autoren dann als „Kontrollillusionen“ bezeichnet wurden. Diese Phänomene ließen sich aber auch in anderen Stichproben bei „normalen Probanden ohne Glücksspielneigung“ nachweisen.

So waren die Versuchspersonen vor einem Würfelspiel noch verhältnismäßig realistisch, was ihre Chancen anging. Als die Würfel aber schon gefallen (jedoch noch nicht aufgedeckt) waren, griff plötzlich Optimismus um sich, dass man eine hohe Zahl getroffen hatte. Rückblickend wurden gute Würfelergebnisse dann nicht nur dem Zufall, sondern auch eigenen „Würfelmethoden“ zugeschrieben. Man habe also subjektiv eine gewisse Kontrolle über den Ausgang des Spieles gehabt.

Der eine oder andere fragt sich jetzt, was dies mit der bestehenden Corona-Politik in Europa zu tun hat, mit dem Lockdown und seiner Auswirkung auf die Erkrankungszahlen?

Die Strategie, die Pandemie 'unter Kontrolle' zu bringen

„Es gehe jetzt darum, die Kontrolle über das Infektionsgeschehen zurückgewinnen.“ Verlautbarungen dieser Art hören wir derzeit nicht nur von der Kanzlerin, sondern auch von den Spitzenvertretern der Gesundheitsämter und des RKI.

Was ist dran, an der Hoffnung, die Pandemie bei einer angestrebten Inzidenz von 35/ 100000 Einwohnern unter Kontrolle zu bekommen?
Zunächst mal, was bedeutet Kontrolle in diesem Falle überhaupt?

Ist es die Fähigkeit Infektionen nachzuverfolgen und die Betroffenen schnell von der Allgemeinheit isolieren zu können? Oder ist es die nötige Schlagkraft, betroffene Betriebe, Institutionen oder Orte und Gemeinden schnell zu erkennen und dann wirksame Quarantänemaßnahmen einzuleiten?

Die dritte Frage ist die, warum diese Eindämmungsmaßnahmen auf der Schwelle zum Herbst 2020 nicht funktioniert haben? Die Zahlen positiv Getesteter und Erkrankter stiegen an und die Gesundheitsämter wirkten überfordert.

Welche Fähigkeiten haben die Gesundheitsämter heute, die sie im Herbst 2020, als es zur zweiten Welle kam, nicht hatten?

Man sucht verzweifelt nach Substanziellem und hört nur Ankündigungen. Die Gesundheitsämter würden derzeit mit Hochdruck digitalisiert, was sie zuvor nur sehr lückenhaft waren.

Wir alle wissen, dass digitale Umstellungen in Behörden oft Jahre dauern, bis sie tatsächlich funktionieren. Mit einer so schwachen Option sollen die Ämter also jetzt auf der „Rennstrecke gegen das Virus“ gewinnen?

Das ist schlichtweg unglaubwürdig.

Aber es gibt noch andere Gründe, die Aussagen, man müsse die Kontrolle über die Pandemie zurückgewinnen, für eine so genannte „Kontrollillusion“ zu halten.

Die Gesundheitsämter

Im Unterschied zur ersten Erkrankungswelle im Frühjahr 2020, war die zweite Welle diffus. Hotspots haben nur sehr gering zur Ausbreitung beigetragen und die Maßnahmen, die dann vor Ort getroffen wurden, haben innerhalb der Quarantänebezirke die Infektionsraten stark nach oben getrieben. Sehr gut konnte man das in einigen Landkreisen in NRW, aber auch in Bayern beobachten.

Im Extrem sah man eine solche Quarantäne-Durchseuchung, wenn Wohnblocks abgeriegelt wurden. Die Leute haben sich dann beieinander angesteckt. Diese Maßnahmen funktionieren in ihrer ganzen Rigidität nur in China, wo Menschen dann in ihren eigenen Wohnungen von den Behörden eingesperrt werden und die Türen von außen zugeschweißt werden.

In Deutschland sind diese Methoden aus dem „Neunzehnten Jahrhundert“ nicht nur wirkungslos, sondern auch gefährlich für die Betroffenen.
Es verwundert daher sehr, dass die Gesundheitsämter, mit ihren autoritären Methoden, zukünftig die Lage richten sollen und die ganze Republik stillgelegt bleiben soll, bis jene angeblich dazu in den Stand versetzt wurden.

Viel eher wird es wohl so sein, dass ein saisonaler Knick in der Infektionsstatistik genutzt werden wird, um diese Kontrollillusion (rückwirkend, wie bei den Glücksspielern, die Kahnemann und Tversky untersucht haben) zu begründen. Auch im Jahre 2020 hatten wir drastische Rückgänge bei den Infektionsraten in den Monaten Mai und Juni.

Können wir uns in diesem Frühjahr darauf einstellen, dass der saisonale Rückgang der Pandemie den Gesundheitsämtern und dem Lockdown zugeschrieben wird?

Sehr wahrscheinlich wird das so kommuniziert werden, obwohl es sehr wahrscheinlich falsch sein wird.

Was ist überhaupt ein diffuses Ausbreitungsmuster, das wir während der zweiten Welle und jetzt in der dritten Welle haben, die sich von der Zweiten kaum unterscheiden lässt?

Ein Gleichnis für Gärtner

Ich stelle mir das vor, wie einen Garten mit steriler Erde auf dem noch nichts wächst. Jemand hat versehentlich Unkrautsamen mit der Rasensaat gemischt und diese gemeinsam ausgebracht. Der Rasen wird also wachsen, das Unkraut aber auch und zwar diffus. Wenn irgendwo das „Unerwünschte“ wächst, kann es sein, dass dort zwei Samen, zehn oder hundert Samen liegen. Dem zuständigen Gesundheitsamt für diesen Abschnitt käme nun die Aufgabe zu, die Samen zu suchen und aus der Erde zu entfernen. Das wäre notwendig, weil diese Samen die Besonderheit haben, sich schon zu vermehren, bevor sie zu voll entwickelten Pflanzen werden (auch das Virus verbreitet sich bereits vor dem Krankheitsausbruch oder gar ohne diesen). Wenn ein paar Samen in der Erde bleiben, geht der Vermehrungsvorgang weiter und überall woanders auch.

Da kein Gärtner in der Lage ist, eine solche diffuse Ausbreitung zu beherrschen, gibt es nur sehr grobe und universelle Mittel, das Problem einzudämmen.

'Gift und Lichtentzug'

Man wendet entweder ein Gift an, das den Rasen nicht schädigt (Impfung, da wir ja keine Unkrautvertilgungsmittel einnehmen dürfen) oder man deckt den ganzen Rasen mit einer lichtundurchlässigen Plane ab, die alles am Wachsen hindert, was darunter ist. Nennen wir es die „Undercover-Methode“. Das muss man dann so lange tun, bis die Vermehrungszeit des Unkrauts hoffentlich vorbei ist und der Rasen trotzdem wieder wächst. Ich kenne kein Unkraut, das nicht wieder anfängt sich zu vermehren, wenn es Licht bekommt. Also ist diese Methode nur ein Zeitaufschub, der grundsätzlich nichts verbessert.

Den Lichtentzug könnte man auch mit dem Lockdown in der Pandemie vergleichen. Wenn dieser wirksam war, gehen die Zahlen nach seiner Aufhebung wieder hoch, es sei denn, es kommt gerade saisonal für das Virus etwas dazwischen, was man im Frühjahr und Sommer hoffen kann.
Hoffen, aber nicht wissen!

Sowohl der Lockdown, als auch die Impfung sind Bestandteil einer unsicheren Strategie, deren Auswirkung auf die Pandemie (die Vermehrung der Unkrautsamen oder die Ausbreitung der Virusvarianten) nicht einzuschätzen ist. Die Hoffnung, dass die Gesundheitsämter am Ende, im Sommer nur noch ein paar Samen aus der Erde entfernen müssen, damit der Rasen unkrautfrei ist, entspricht einer Vermutung, die eigentlich schon widerlegt ist. Denn das hätten die Gesundheitsämter sonst auch im Herbst 2020 schon gekonnt und die zweite Welle entsprechend abgewendet.

Wer glaubt, dass es sich hier um eine rationale Strategie handelt oder das kommuniziert, der glaubt und kommuniziert eine Kontrollillusion!
Die Gesundheitsämter werden uns nicht vor dem Virus schützen, die Methoden die angewandt werden, sind uneffektiv, insbesondere bei einer diffusen Epidemielage, in der das Virus überall auftauchen kann. Rigide, lokale Quarantänemaßnahmen (Methoden aus alter Zeit) können gefährlich werden und sind geeignet, künstliche Hotspots zu erzeugen, weil die Menschen dann in beengten räumlichen Situationen bleiben müssen und die Ansteckungsgefahr damit steigt.

Schließlich können wir alle hoffen, dass das Virus im Frühsommer eine Pause macht. Aber das ist sehr wahrscheinlich vollkommen unabhängig vom Lockdown. Wenn die lichtundurchlässige Plane wegegezogen wird, sind vielleicht viele Unkrautsamen abgestorben, vielleicht aber auch nicht. Wie der Rasen dann wächst, ist sowieso fraglich (wann erholt sich die Wirtschaft und wie viele Unternehmen sind dann abgestorben).
Wollen wir für solche vagen Hoffnungen und Erwartungen tatsächlich weiter unser Leben (auch das unserer Kinder) und unsere Wirtschaft ruinieren? Für eine Kontrollillusion, die besonders im Kanzleramt gepflegt wird, wo offensichtlich die meisten Glücksspieler sitzen?
Die Folgen der Maßnahmen werden derweil konsequent verharmlost. Da kursieren Pressemitteilungen der Arbeitsagentur, die von einer unveränderten Arbeitslosenquote schreiben, aber unerwähnt lassen, dass die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vorjahresmonat, um 20 Prozent gestiegen ist und insgesamt drei Millionen beträgt. Da wird Digitalisierung als Allheilmittel für die Schüler angepriesen und vergessen, dass ca. 15% der Kinder auch keinen digitalen Unterricht wahrnehmen können, also leer ausgehen. Da wird behauptet, dass Einzelunternehmern großzügig geholfen werde, aber es werden vom Bund keine Gelder ausgezahlt, so dass einzelne Länder, wie Berlin, dies inzwischen auf eigene Rechnung tun.

Alles nur, um eine Illusion aufrecht zu erhalten.

Die Glaubwürdigkeit sinkt, wie die von Glücksspielern, die behaupten, dass sie in der nächsten Runde den großen Gewinn landen.

Sie haben schließlich alles unter Kontrolle.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

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Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt auch in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt

Bild: Rob Gruner/Shutterstock
Text: Gast 

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