Grüne verbieten? Mitnichten! Wie mangelndes Demokratieverständnis den Prozess der Tyrannei forciert

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

Ich habe die Petition zum Verbot der Partei des infantilen Totalitarismus, die manche auch als die Grünen bezeichnen, nicht unterschrieben. Nicht etwa, weil ich ein Freund der Grünen bin oder der Auffassung anhänge, sie könnten etwas Nützliches zur Zukunft dieses Landes beitragen, ganz im Gegenteil: Seit 1949 dürfte keine politische Partei – vielleicht mit Ausnahme der SED zu Zeiten ihrer Machtentfaltung in der DDR – Deutschland so geschadet haben wie die vorgeblichen Umweltschützer und tatsächlichen Transformationsideologen. Und nur schwer könnte ich mich, wenn man sich nicht nur auf Parteien beschränkt, sondern auch Personen zur Konkurrenz zulässt, entscheiden, wer sich verheerenderer Auswirkungen des eigenen Handelns rühmen darf, die grüne Partei oder die Altkanzlerin der Alternativlosigkeit.

Doch Parteiverbote sind das falsche Mittel, selbst wenn es sich um Parteien handelt, die jeden Kontakt zur Realität verloren haben und sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnen, obwohl sie sich doch nur ihren selbstfabrizierten Illusionen und Gewissheiten hingeben, und das sehr zum Schaden der Bürger. Denn Demokratie bedeutet nicht Herrschaft des Volkes und kann es auch nicht bedeuten: Das Volk herrscht nicht, außer vielleicht in einem Staat von der Größe eines Kindergartens, in großen Staatsgebilden ist Volksherrschaft nicht durchführbar. Es muss aber jederzeit möglich sein, eine Regierung, die ihre Aufgaben nicht nach den Vorstellungen des Volkes erfüllt, auf unkomplizierte und vor allem gewaltfreie Weise wieder loszuwerden, im besten Fall durch Wahlen. Das wird dann schwierig, wenn alle zur Wahl stehenden Parteien im Grunde dem gleichen Einheitsbrei entstammen, sodass man nur die Wahl hat zwischen etwas mehr oder etwas weniger vom Gleichen. Betrachtet man die sich selbst so gerne als demokratisch bezeichnenden Parteien CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne und Linke, so merkt man schnell, dass im Hinblick auf diesen erlauchten Kreis schon lange eine Situation dieser Art vorherrscht, und selbst ein Austausch des Regierungspersonals würde nur wenig an der grundsätzlichen Richtung ändern. Genau deshalb ist es dringend nötig, auch über Parteiangebote zu verfügen, die andere Richtungen einschlagen, man mag sie nun gut oder schlecht finden: Ohne echte Alternative keine echte Wahl. Ohne echte Wahl keine Demokratie.

Das wäre noch kein Grund gegen ein Verbot der Grünen, die sicher nicht außerhalb des oben beschriebenen Einheitsspektrums agieren. Aber zu einem demokratischen Staat – ich weiß, man kann sich heute nicht mehr ganz sicher sein, ob so etwas hierzulande noch vorliegt – gehört das Prinzip der freien Meinungsäußerung und des Austauschs von Positionen, mögen sie sich auch noch so sehr ähneln und mögen sie auch noch so irrsinnig sein. Selbst kleine Abweichungen innerhalb des politischen Einheitsbreis müssen artikuliert werden und sich der Abstimmung stellen können. Das freie Spiel der Ideen, der Wettbewerb um beste oder, wie im Fall der Grünen, eher schlechteste Lösungen darf nicht dadurch eingeschränkt oder gar ausgesetzt werden, dass man die Protagonisten einer bestimmten Richtung aus dem Spiel ausschließt. Gibt man einer Partei kein Gehör, vertreibt man sie von der Spielwiese der Demokratie. Daher setzen sich alle Befürworter von Parteiverboten, egal um welche Partei es sich handelt, dem Verdacht eines mangelnden Demokratieverständnisses aus und praktizieren genau das, was sie ihren Gegnern unterstellen. Dass manche Freunde eines Verbots der AfD derzeit von lautstarken Demonstrationen unterstützt werden, ändert daran nichts; staatlich geförderte Aufmärsche gegen die Opposition unter Mitwirkung der Regierung gab es schon in früheren Zeiten und man wird kaum behaupten wollen, dass es sich um bessere oder demokratischere Zeiten gehandelt hat.

Auch wenn ich also jeden verstehen kann, der die totalitär orientierte grüne Partei gerne loswerden würde, spreche ich mich gegen jede Form von Parteienverbot aus, schon deshalb, weil man so genau die unredlichen Methoden verwendet, denen die Regierung und ihre ergebenen Nachbeter so gerne die letzte wirkliche Opposition im Bundestag unterwerfen würden. Zu diesen Methoden gehört selbstverständlich nicht nur eine Diskussion über ein Verbot der Partei. Es gehört auch dazu, den Gegner zu entmenschlichen und dabei unverdrossen Gerüchte zu verbreiten, für die keine Beweise vorliegen.

'Ratten und Schmeißfliegen'

Unser hochgeschätzter Bundespräsident liefert schöne Beispiele. Erst vor wenigen Tagen hat er in seiner mitreißenden Art geäußert: „Die Nachrichten über Ausbürgerungspläne, wonach Rechtsextremisten Millionen Menschen, selbst deutsche Staatsbürger, vertreiben wollen, die haben unser Land aufgerüttelt.“ Da hätte er schon lange wissen können, dass die Märchenredaktion Correctiv hier doch ein wenig phantasie- und ideologiegetrieben gearbeitet hat und von journalistischer Recherche so weit entfernt ist wie er selbst von Überparteilichkeit. Aber Sorgfalt hätte ihn ja vielleicht von seiner besten Formulierung abhalten können: „Wir lassen uns dieses Land nicht von extremistischen Rattenfängern kaputtmachen.“ Rattenfänger pflegen Ratten zu fangen, deshalb heißen sie so. Da man nicht davon ausgehen kann, dass die von Steinmeier attackierten „Extremisten“ zu Kammerjägern umschulen wollen, muss man wohl folgern, dass ihre Anhänger – dabei dürfte es sich vor allem um die Wähler der AfD handeln – eben diese Ratten sein sollen, auf deren Fang die „extremistischen Rattenfänger“ aus sind. Millionen von Menschen werden hier zu den Ratten gezählt, überparteilicher kann ein Präsident kaum noch agieren. Wie groß war die Empörung vor mehr als 40 Jahren, als Franz-Josef Strauß linke Schriftsteller als „Ratten und Schmeißfliegen“ bezeichnete! Von einer ähnlichen Empörung ist heute nichts zu merken.

Überraschend ist das nicht. Es ist schon über 2000 Jahre her, dass der griechische Philosoph Aristoteles in seinem Buch über Politik den Weg beschrieben hat, den Deutschland heute geht. Ein österreichischer Blogger hat in einem anderen Zusammenhang darauf aufmerksam gemacht; ich verwende hier die Übersetzung des „Projekts Gutenberg“. „Es ist dies das schon seit alter Zeit genannte Mittel, um die Tyrannis nach Möglichkeit zu erhalten, nämlich die hervorragenden Untertanen zu schwächen, Männer von Charakter zu beseitigen und weder Tischgenossenschaften noch Hetärien“ – darunter verstand man so etwas wie politische Vereinigungen – „zuzulassen; auch keinen Unterricht oder sonst dergleichen, sondern alles das zu überwachen, aus dem zweierlei sich zu bilden pflegt, nämlich Verstand und Treue.“ Schwächung der Bildung und Unterdrückung politischer Vereinigungen, die den Machthabern nicht behagen: Kommt das dem einen oder anderen bekannt vor? „Auch müssen die Einwohner hier alles offen betreiben und möglichst vor den Türen sich aufhalten; so kann am wenigsten ihr Tun verborgen bleiben, und durch diese stete Knechtschaft müssen sie an eine niedrige Denkungsweise gewöhnt werden.“ Hinaus aus dem Haus, hinaus auf die Straße, nur kein Privatleben, das zur Konspiration führen könnte. Und selbstverständlich keinen eigenen Gedanken fassen! „Auch muss der Tyrann sorgen, dass nichts von dem verborgen bleibe, was die Untertanen sprechen oder tun, und es müssen Spione bestellt werden … Denn wenn dies geschieht, besprechen sich die Leute aus Furcht vor solchen weniger, und so weit es geschieht, bleibt es dann weniger verborgen.“ Correctiv und Herr Haldenwang vom Verfassungsschutz scheinen sich bei Aristoteles über die Grundlagen ihrer Arbeit informiert zu haben.

Und es geht noch weiter: „Auch gehört es zu solcher Tyrannenherrschaft, dass man die Leute sich einander verleumden und gegen einander verfeinden lässt; ebenso dass die Freunde und ebenso das Volk mit den Vornehmen, und die Reichen untereinander entzweit werden, und dass man die Untertanen arm macht, damit die Leibmacht erhalten werden kann und die Untertanen, um das tägliche Brot zu verdienen, keine Zeit zu Nachstellungen behalten.“ Genau das ist heute zu beobachten: Man spalte die Gesellschaft in Gute und Böse, wiegle verschiedene Gruppen gegeneinander auf und kassiere das Geld der Bürger ein, damit sie erstens mit ihrem Lebensunterhalt vollauf beschäftigt sind und zweitens genug Mittel für die Vorlieben der Machthaber in die Staatskassen fließen. Dass Aristoteles dann auch noch von überbordenden Steuern in Syrakus berichtet, „wo es vorgekommen ist, dass die Einwohner ihr ganzes Vermögen in fünf Jahren … in Abgaben haben abliefern müssen“, passt sehr genau ins Bild.

Zusammenfassend kommt Aristoteles zu dem Schluss: „Alle Unternehmungen der Tyrannen laufen auf eine dieser Voraussetzungen hinaus; entweder dass niemand dem Anderen traue, oder dass niemand etwas vermöge, oder dass jedermann kleinmütig gesinnt sei.“ Sehen wir nicht die Grundlagen der Ampelpolitik vor uns? Misstrauen von jedem gegen jeden, man kann jederzeit denunziert werden, sei es beim Arbeitgeber, beim Vermieter oder bei einer der neuerdings so beliebten Meldestellen. Fortschreitende Enteignung, „damit niemand etwas vermöge“ und keiner den totalitären Plänen der Machthaber im Weg steht. Und allgemeiner Kleinmut, durchgängige Verzagtheit, Zerstörung des individuellen Selbstbewusstseins, denn so kann sich der Einzelne am besten in das gewünschte Kollektiv integrieren.

Der Prozess ist schon weit fortgeschritten

Zu behaupten, wir wären am Anfang des Weges zur von Aristoteles beschriebenen Tyrannis, dürfte zu optimistisch sein. Der Prozess ist schon weit fortgeschritten, aber nur wenig im Leben ist unumkehrbar. An wem liegt es? Es liegt an uns. Niemand ist dazu gezwungen, sich selbst zu zensieren; wenn nicht nur die vermeintliche Mitte, die in Wahrheit aus Linken und Linksextremen besteht, aufsteht, sondern die echte Mitte, die Bürger, die das Land am Laufen halten, sich den Mund nicht mehr verbieten lassen, könnte der Weg der Tyrannis für seine Wegbereiter zur Sackgasse werden. Den Weg zu Sozialismus und Planwirtschaft und damit zur Tyrannei, auf dem wir schon viel zu weit fortgeschritten sind, nannte Friedrich August von Hayek den „Weg zur Knechtschaft“. Man kann ihn verlassen und wieder den Weg zur Freiheit einschlagen, insbesondere zur Gedankenfreiheit.

Die Gedanken sind frei“ ist ein altes Volkslied über die Gedankenfreiheit, von dem verschiedene Textversionen existieren. In Anbetracht der aktuellen Lage habe ich mir erlaubt, eine weitere Version in die Welt zu setzen. Die Melodie ist einfach, und jeder kann und darf auch die neue Fassung bei passender Gelegenheit zum Besten geben.

Die Gedanken waren frei

Die Gedanken waren frei
in besseren Zeiten.
Doch das ist vorbei,
nun will man uns leiten.

Hört auf, selbst zu denken,
lasst euch dabei lenken,
sonst kommt die Polizei!
Die Gedanken waren frei.

Man dachte, was man will,
und wollt’ diskutieren.
Jetzt ist man lieber still,
und lässt sich zensieren.

Wir werden betrogen
und stets umerzogen.
Nur Trug und Heuchelei!
Die Gedanken waren frei.

Konflikten gab man Platz,
ganz ohne Empörung.
Heut bringt ein falscher Satz
soziale Zerstörung.

Das Recht ist nicht wichtig,
die Freiheit ist nichtig.
Ist uns das einerlei?
Die Gedanken waren frei.

Ist die Freiheit uns egal,
dann wird sie zerfallen.
Doch wir haben die Wahl,
es liegt an uns allen.

Fangt an, selbst zu denken,
lasst euch nicht mehr lenken,
dann ist der Spuk vorbei:
Die Gedanken sind frei.

Selbst denken, sich nicht leiten lassen, die Augen offen halten, die Realität zur Kenntnis nehmen. Ich weiß, von Ampelpolitikern und ihren Anhängern ist so etwas nicht zu erwarten. Alle anderen sollten sich darauf besinnen und dafür sorgen, dass der Spuk endlich vorbei geht.

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Bild: Wirestock Creators/Shutterstock

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

 

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