Von Kai Rebmann
Der Fall sorgte schon vor gut drei Jahren für Bestürzung und Entsetzen: Ein damals 21-jähriger Somalier stach in einer Unterkunft für Obdachlose in Regen (Bayern) 111-mal (!) auf einen Mitbewohner (52) ein und enthauptete sein Opfer anschließend noch. Dieser sei von zwei Dämonen besessen gewesen, wie der „Totschläger“ zu seiner Verteidigung im Juli 2021 aussagte. Um bei einem solchen Tathergang nicht von Mord zu sprechen, bedarf schon größter juristischer Spitzfindigkeit.
Gegen die Unterbringung in einer Psychiatrie wird man hingegen nur wenig einwenden können, auch wenn die Unzurechnungsfähigkeit bei eben diesen Tatmustern und Täterprofilen fast schon inflationäre Züge angenommen hat. Ob jemand, der seine Sinne auch nur halbwegs noch beisammenhat, zu einer solchen Tat überhaupt fähig wäre, kann wohl nur von Psychiatern beantwortet werden.
Geradezu empörend ist es dann allerdings zu lesen, dass der inzwischen 24-jährige Mohamed S. am vergangenen Donnerstag im Rahmen eines sogenannten „Realitätstrainings“ in Plattling (Bayern) ins Kino ausgeführt wurde, um sich dort das Disney-Werk „Alles steht Kopf 2“ anzusehen. Und diese Gelegenheit umgehend zur Flucht nutzte und sich dabei eines wahren Klassikers („Ich muss aufs Klo“) bediente. Mehr brauchte es offenbar nicht, um seinen beiden Begleiterinnen zu entwischen.
Es kommt aber noch dicker: Anstatt auf der Stelle Verstärkung anzufordern und sofort die Fahndung einzuleiten, eilten die Beamtinnen zuerst noch zurück ins mehrere Kilometer entfernte Bezirkskrankenhaus Mainkofen, wo der Somalier untergebracht war. Erst dort wurde dann ein Notruf abgesetzt und die Polizei alarmiert. Kurz vor Mitternacht konnte der Flüchtige schließlich gefasst und wieder in Gewahrsam genommen werden.
Warum darf ein ‚hochgefährlicher Mann‘ ins Kino?
Zurück bleiben allerdings jede Menge Fragen, die vor allem Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in arge Erklärungsnot bringen dürften. Er werde „eine genaue Untersuchung veranlassen, wieso das Bezirkskrankenhaus überhaupt einen Kinobesuch dieses hochgefährlichen Mannes zugelassen hat“, versprach Herrmann am Freitag. Doch das dürfte vielen Bürgern deutlich zu wenig sein, zu sehr hört es sich nach einem der in solchen Zusammenhängen inzwischen üblichen Lippenbekenntnisse an.
Wir fragen deshalb zum Beispiel, wie es sein kann, dass Mohamed Seid erst gut 8 (!) Stunden nach seiner Flucht gefasst werden konnte? Der Messer-Killer wurde den Angaben zufolge gegen 23:15 Uhr auf einem Supermarkt-Parkplatz festgenommen – nach einem Hinweis aus der Bevölkerung und vor allem in unmittelbarer Nähe zu dem Kino, aus dem der Somalier am Mittag getürmt war. Wo und mit welchen Mitteln hat die Polizei den Mann zuvor stundenlang gesucht?
Oder stellen die Frage, wie es ganz allgemein um die Zustände in deutschen Psychiatrien bestellt ist, insbesondere in jenen, in denen „hochgefährliche“ Straftäter untergebracht sind? Auf dieser Seite mussten wir in den vergangenen Jahren leider wiederholt über ganz ähnliche Ausbrüche mit nahezu identischem Ablauf berichten (siehe hier oder hier). Wie lange will der Rechtsstaat hier noch zuschauen und den Täterschutz über den Opferschutz und das berechtigte Schutzinteresse der Bevölkerung stellen?
‚Realitätstraining‘ für Herrmann, Faeser und Co.?
Vor allem aber: Wie will man das alles noch jemandem erklären, wenn die „BILD“ vor einer Woche im Zusammenhang mit dem aktuell inhaftierten Star-Koch Alfons Schuhbeck titelte: „Alle Knast-Privilegien gestrichen“? Wer hinter die Bezahlschranke blicken konnte, erfuhr dort, dass damit vor allem der Freigang gemeint war und diese Maßnahme damit begründet wurde, dass derzeit noch ein weiteres Verfahren gegen den Gastronomen anhängig sei.
Zur Erinnerung: Alfons Schuhbeck wurde wegen Steuerhinterziehung verurteilt und muss sich deshalb demnächst wohl erneut vor Gericht verantworten. Sicher, alles andere als ein Kavaliersdelikt – aber doch eine ganz andere Hausnummer als der oben beschriebene Fall des Mohamed Seid.
Es passt ins Bild, dass der Somalier ausgerechnet im Rahmen eines „Realitätstrainings“ türmen konnte. Die Teilnahme an einer eben solchen Einheit will man auch Politikern wie Joachim Herrmann (CSU) oder auch dessen Kollegin auf Bundesebene, Nancy Faeser (SPD), dringend anraten. Denn die Entscheidungen, die in den Elfenbeintürmen in München, Berlin oder anderswo insbesondere in Bezug auf den Umgang mit „hochgefährlichen Männern“ (O-Ton Herrmann) getroffen werden, haben mit der Realität bzw. Lebenswirklichkeit der von ihnen regierten Bürger schon lange nichts mehr zu tun.
Nachtrag:
Wie inzwischen bekannt wurde, kam Mohamed S. im Jahr 2018 im Rahmen des Bundesprogramms „Neuansiedlung für Schutzsuchende“ per Flugzeug nach Deutschland. Zuvor führte die Reise des Somaliers mit dem Bus von dessen Heimat über Äthiopien in den Sudan, ehe es nach Libyen weiterging. Von dort versuchte S. zunächst übers Mittelmeer nach Europa überzusetzen, wurde jedoch zurückgewiesen und landete in einem Flüchtlingslager in Niger. Auf Vermittlung durch die UNHCR erhielt der Somalier schließlich eine Aufnahmezusage der Bundesrepublik Deutschland.
Nach seiner Ankunft wurde S. von Niedersachsen nach Bayern verlegt, wo er schnell auf die schiefe Bahn geriet. Schon vor dem Messer-Mord an seinem Mitbewohner trat der Somalier mehrfach polizeilich in Erscheinung. Für mehrere Straftaten, unter anderem räuberischer Diebstahl, Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Erschleichen von Leistungen wurde der „Schutzsuchende“ im Februar zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt – nur wenige Monate vor dem bestialischen Angriff auf seinen Zimmernachbar im Obdachlosenheim also.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: Screenshot Youtube-Video WELTBitte beachten Sie die aktualisierten Kommentar-Regeln – nachzulesen hier. Insbesondere bitte ich darum, sachlich und zum jeweiligen Thema zu schreiben, und die Kommentarfunktion nicht für Pöbeleien gegen die Kommentar-Regeln zu missbrauchen. Solche Kommentare müssen wir leider löschen – um die Kommentarfunktion für die 99,9 Prozent konstruktiven Kommentatoren offen zu halten.
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