Auf der Flucht vor den Taliban Mit Ahmad in letzter Minute von Kabul nach Frankfurt

Von Alexander Wallasch

Wir haben Ahmad über einen Tweet der Deutschen Botschaft in Afghanistan kennengelernt, als er in Kabul in einer Wohnung festsaß. Dann wurde es hektisch, es hieß, wer es zum Flughafen schafft, könnte ausgeflogen werden.

Wir hatten mit Ahmad diese ganze Zeit über Kontakt gehalten, er hat für reitschuster.de dort fotografiert, wo er konnte und wo es eine Lademöglichkeit für das Akku gab.

Das ist Ahmads Geschichte der letzten Tage, von ihm selbst erzählt:

„Ich saß in der Wohnung meiner Mutter in Kabul und hatte mitbekommen, dass die Soldaten die Leute mitnehmen, die in Deutschland leben oder mit Soldaten zusammengearbeitet haben.

Ich bin zum Flughafen, überall war Stau, ich bin zu Fuß dorthin. Viele Leute waren unterwegs. Dann waren da amerikanische und deutsche Soldaten am Flughafen. Vor dem Flughafen waren am meisten Amerikaner, die Deutschen waren aber auch da, aber die standen weiter hinten.

Die afghanischen Soldaten waren auch da und haben zu den Leuten gesagt: „Abstand halten“ und so etwas. Ich weiß nicht, was das genau für Soldaten waren, jedenfalls haben die Afghanisch geredet. Die hatten auch Soldatenbekleidung angehabt. Es kann sein, dass das diejenigen gewesen sind, die mit den Amerikanern zusammenarbeiten.

Taliban hatte ich vorher gesehen. In einem Auto kurz vor dem Flughafen.

Ich war alleine unterwegs. Wo ich in den Flughafen reingegangen bin, das war früher nur ein Eingang für Soldaten. Der normale Flughafeneingang ist woanders gewesen.

Ich habe öfter versucht, reinzukommen. Ein paar Mal musste ich weglaufen, die haben auch so Holzstöcke in der Hand und haben auch geschlagen, wenn es ein zu großes Gedränge wurde. Ich konnte dann mit einem von denen reden, ganz in Ruhe, und ihm meine Papiere aus Deutschland zeigen. Da hat er gesagt: „Ok, dann geh rein, da sind Deutsche, denen kannst Du Deine Papiere zeigen.“

Dann bin ich rein, da waren die Soldaten der Amerikaner auf der einen und die Deutschen auf der anderen Seite. Die haben meine Bauchtasche kontrolliert und meinen Pass. Sie haben mich gefragt, ob alles gut ist, ob nichts passiert ist. Und sie haben mir Wasser gegeben. Ab dem Moment, wo ich im Flughafen war, hatte ich mit amerikanischen Soldaten nichts mehr zu tun.

Normale Leute aus Frankreich, die nach Hause wollten, waren auch da bei den deutschen Soldaten. Wir haben wieder zu trinken bekommen. Irgendwann ist jemand gekommen und hat gesagt, wer einen deutschen Pass hat, kann nach vorne kommen. Die mit dem deutschen Pass sind dann vorgegangen. Danach waren wir dran mit Aufenthaltspapieren usw. Wir bekamen farbige Armbinden. Unsere waren blau. Daraufhin begleiteten uns die Soldaten weiter nach vorne. Und da musste man wieder warten: Jede Gruppe extra nach der Farbe ihrer Armbinden.

Auf den Armbinden standen auch Nummern, das waren solche wie im Krankenhaus, aus Plastik. Ich glaube, zu jeder Farbe gab es ungefähr 150 Leute. Bestimmt war das wegen der Flugzeuge.

Als ich im Inneren des Flughafengeländes war, hatte ich keine Angst mehr, – als ich die vielen Soldaten sah. Ich schätze, drinnen waren bestimmt weit über einhundert Soldaten, einige haben Pause gemacht.

Die andere Farbe vor uns ist zuerst geflogen. Einmal, glaube ich, ist etwas mit einem Flugzeug passiert, da gab es ein Problem. Da sind die Leute zurückgekommen, sie mussten aber nur kurz warten, dann konnten sie wieder fliegen. Geschossen wurde draußen in die Luft, damit die Leute nicht so nach vorne kommen. Es warteten noch viele.

Zur Toilette wurden wir immer begleitet, damit die Nummern und Farben nicht durcheinanderkommen, damit man sich nicht vermischt. Essen war das Problem, die Soldaten hatten selbst nicht genug gehabt.

Nachts war es nicht kalt. Afghanistan ist warm. Aber man musste auf dem Boden sitzen. Die haben aber meistens Kartons und so etwas genommen um sich daraufzusetzen. Ich habe mit anderen Leuten gesprochen und auch mit den Soldaten. Die haben mal gefragt, wer Deutsch spricht, weil sie jemandem etwas sagen wollten, der kein Deutsch konnte. Dann musste ich übersetzen. Die Soldaten waren immer da, wenn man etwas wissen wollte.

Und dann waren die dran mit den blauen Armbinden. Da haben auch Amerikaner gewartet auf der linken Seite, Soldaten auch. Da waren sogar Menschen aus Nepal, die gewartet haben. Die haben die Namen vorgelesen, wir mussten alle in einer Reihe stehen und jeder sollte seine Nummer sagen. Und dann wurde ein Strich gemacht auf der Liste.

Es war insgesamt eher ruhig, die meisten Leute dachten, dass jeder wegkommt, niemand hatte Sorge, nicht wegzukommen. Immer so alle 10 bis 15 Personen war ein Soldat und begleitete uns ins Flugzeug. Die Flugzeugmotoren waren die ganze Zeit an, wer einen Koffer hatte, musste den vorher abgeben. Das war ein Militärflugzeug, es gab auch Sitze, aber die haben es so gemacht, dass die Sitze nur für die Frauen und Kinder waren – junge Leute konnten ja auf dem Boden sitzen.

Es dauerte auch nicht so lange bis Taschkent/Usbekistan, ungefähr eineinhalb Stunden vielleicht. Als wir losflogen, waren alle ziemlich still. Soldaten waren auch mit im Flugzeug. Ich habe bei manchen am Gesicht erkannt, dass das keine Afghanen sind. Bei einem habe ich auf Englisch gefragt, woher er komme, da hat er gesagt, aus England. Und es waren diese Leute aus Nepal dabei. Ich habe keine Idee, was die in Afghanistan gemacht haben.

Die haben dann das Flugzeug hinten aufgemacht, wie das bei diesen Militärflugzeugen funktioniert. Da waren dann schon Busse und Personal von Usbekistan. Die Busse haben uns dann zum Terminal gebracht, da wurden nochmal die Rucksäcke und Koffer kontrolliert.

Dann gab es Wasser mit Keksen zum Essen und Stühle zum Sitzen. In Usbekistan hat es ungefähr drei Stunden gedauert. Wir mussten alle einen Corona-Schnelltest machen. Nach 15 Minuten konnte man sein Ergebnis mit einem Schreiben abholen. Positive gab es keine, das habe ich nicht mitbekommen. Dann gab es noch einmal Essen. Dann waren alle fertig und es ging los. Erst wurden die Familien mit Kindern in die Busse zum Flugzeug geholt, dann waren wir dran. Sie haben immer Namen gerufen und die gingen dann los. Es waren viele Familien dabei mit Kindern.

Das Flugzeug war eines von der Lufthansa. Jeder konnte sitzen, wo er will, es war genug Platz. Von Usbekistan nach Frankfurt dauerte es sechs Stunden und zwanzig Minuten – das wurde durchgesagt. Einen Zwischenstopp gab es nicht. Der Flug war ruhig, die Mitarbeiter vom Flugzeug waren sehr nett, das waren auch Deutsche.

Es gab diese üblichen Sicherheitsanweisungen und dann wurden Kopfhörer verteilt und gefragt, ob alles gut ist. Dann gab es Wasser und als das Flugzeug in der Luft war, gab es etwas zu essen. Man konnte essen, so oft man wollte. Aber ich war ganz müde, ich hatte ja in der Nacht nicht geschlafen.

In Frankfurt kam die Polizei rein. Dann sind wir rausgegangen, begleitet von Polizei. Es waren auch manche dabei ohne Papiere. Oder, die welche hatten, die nicht richtig waren, nicht so wie meine. Es waren auch einige dieser Helfer mit dabei von den Soldaten. Ich wurde nur kurz kontrolliert mit meinem Ausweis. Ich bin angekommen und konnte gleich rausgehen. Mein Bahnticket von Frankfurt nach Hause habe ich selbst bezahlt.

Ich musste mich beeilen, es war schon 17 Uhr. Ich musste ja noch ein paar Stunden bis Regensburg mit dem Zug fahren. Jetzt saß ich im Zug und habe mir nur Sorgen gemacht um meine Mutter und die Familie in Kabul. Ich saß alleine in einem Abteil, der IC war ziemlich leer. Einmal saß ein Mann ein kurzes Stück mit drin. Ich fragte, ob ich mit einem Freund telefonieren darf, er hatte nichts dagegen, dann stieg er bald wieder aus und ich war wieder alleine. Mein Mitbewohner ist auch Afghane, aber er war auf Arbeit, als ich zurückkam. Ich wohne gleich in der Nähe vom Bahnhof.“

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!
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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

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Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

Bild: privat
Text: wal
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