Berliner Schulen ächzen unter Corona-Monopol Verwaltungswahn im Schulsystem

Von Ekaterina Quehl

Die aktuelle Situation in Schulen spitzt sich immer mehr zu; reitschuster.de hat schon mehrere Beiträge und Erfahrungsberichte über die Auswirkung der Corona-Maßnahmen auf Kinder sowie das Lehrpersonal veröffentlicht.

Ein Gespräch mit dem Schulleiter einer Berliner Schule bringt jedoch einige Interna ans Licht, die nicht nur die Absurdität der Corona-Maßnahmen bestätigen, sondern auch gravierende Missstände des gesamten Schulsystems aufdecken. Alte Probleme wie Bildungslücken und Personalmangel werden in den Hintergrund gerückt. Aktuell scheint nur noch ein einziges Problem an deutschen Schulen primär zu sein. Und die aktuellen Lösungsansätze generieren immer wieder neue Missstände, welche zu einer langanhaltenden Krise führen, die sich von Monat zu Monat verstärkt. Und die – nach Aussage des Schulleiters – das gesamte Schulsystem in einer sehr nahen Zukunft kurz vor einen Kollaps bringen kann.

Wissenslücken bei Schülern, Burnout bei Lehrern, Lockdown bei Eltern

Die mehrmonatigen Corona-Maßnahmen haben regulären Schulunterricht beinahe unmöglich gemacht. Der Distanzunterricht und seine Auswirkungen auf Kenntnisstand, Gesundheit und Psyche der Kinder haben für gravierende Bildungsdifferenzen zwischen den einzelnen Schülern in den Schulklassen gesorgt.

Manche Eltern haben ihren Kindern beim Lernen geholfen, andere Schüler mussten selbstständig lernen. Manche Kinder können es, anderen fällt es schwer. Dadurch sind erhebliche Bildungsdifferenzen entstanden, die weit über die übliche Grenze hinausgehen. Viele Kinder müssten deshalb sogar das Schuljahr wiederholen, sind aber regulär in die nächste Klasse gekommen. Wegen dieser Bildungsdifferenzen ist der normale Unterricht in manchen Klassen kaum möglich. Reguläre Nachhilfe-Angebote können diese Lücken nicht abdecken.

Hinzu kommt der hohe Krankheitsstand der Belegschaft in den letzten Monaten der Pandemie. Viele Lehrer haben die Belastung auf der Arbeit aufgrund des extremen Personalmangels und der strikten Regeln nicht geschafft und sind schlicht ausgebrannt. Zudem haben einige immer noch große Angst vor COVID-19 und halten dementsprechend ihre Schulklassen und ihre Kollegen unter ständigem Druck. Eltern von vielen Kindern befinden sich mental immer noch im Lockdown und tragen zu diesem Druck noch immens bei.

Überforderte Lehrer, frustrierte Eltern und ratlose Schulleitungen haben Schule weit von einem Ort entfernt, den man mit Freude und Spaß besucht. Doch Freude und Spaß am Lernen sind schon längst keine Kriterien mehr für eine gut funktionierende Schule. Es geht nur noch um die Covid-Krankheit und deren Prävention bzw. Bewältigung. Und die Lösung, die dafür die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie für Schulen entwickelt hat, heißt „Musterhygieneplan Corona für die Berliner Schulen“.

10 Minuten singen, 30 Minuten lüften. Lernen nur noch nach Hygieneplan

Dieser Musterhygieneplan ist so restriktiv, dass man ihn fast schon für ein Regelwerk einer geschlossenen Anstalt halten kann, in der das Schulpersonal zu Wächtern und Kinder zu Häftlingen umfunktioniert scheinen. Zudem ist er inhaltlich so widersprüchlich und absurd, dass er kaum eine vernünftige Vorsorge vor COVID-19 bieten kann, geschweige denn einen vernünftigen Schulunterricht.

Der fast 30-seitige Musterhygieneplan basiert auf den Stufenzuordnungen der Verordnung über die Auflagen für den Schulbetrieb während der COVID-19-Pandemie bzw. der Zweiten Schul-Hygiene-COVID-19-Verordnung und dient als Grundlage zur Erstellung eigener Hygienekonzepte in den Schulen.

Im Musterhygieneplan sind drei Stufen – rot, gelb und grün – abgebildet. Diese Stufen hängen von dem Infektionsgeschehen ab und regeln die Schärfe der Corona-Maßnahmen beim Schulunterricht, in den Pausen, bei Veranstaltungen, Schulfahrten, Dienstbesprechungen, der Arbeit der Dienstkräfte, beim Besuch schulfremder Personen etc.

Gilt in der Schule die Stufe grün, so heißt es, dass es kein oder nur einzelfallbezogenes Infektionsgeschehen gibt. Die Stufe gelb bedeutet, dass es kein einzelfallbezogenes Infektionsgeschehen mehr gibt und Stufe rot signalisiert landesweites, erhebliches Infektionsgeschehen.

Generell bedeutet es, dass bei Stufe grün Unterricht und weitere schulische Aktivitäten unter Einhaltung bestimmter Regeln und Einschränkungen möglich sind, bei der Stufe gelb findet Wechselunterricht mit verschärften Regeln statt und bei Stufe rot gibt es keinen Präsenzunterricht mehr.

Unabhängig von der Einstufung sind ungeimpfte Schüler und das schulische Personal verpflichtet, sich bis auf weiteres dreimal wöchentlich testen zu lassen, sofern es Präsenzunterricht gibt. Geimpfte und Genesene sind von der Testpflicht befreit. In der Schule darf man sich nicht umarmen, man darf andere nicht berühren und persönliche Gegenstände nicht mit anderen austauschen. Es muss vor, während und nach dem Schulunterricht eine vorgeschriebene Zeit gelüftet werden und die Reinigung muss nach DIN 77400 erfolgen, wobei diese Reinigungsvorschrift bereits vor Corona bestand.

Weitere Regeln hängen von der jeweiligen Einstufung ab. Die Nachricht, welche Einstufung ab sofort gelten soll, bekommen die Schulleiter von einem Gremium des jeweiligen Bezirksamts wöchentlich mitgeteilt. In der Regel freitagnachmittags – in der Zeit, in der sich das meiste Personal bereits in das Wochenende verabschiedet hat, sodass die Schulleitung häufig vor einer unmöglichen Aufgabe steht, Kinder, Lehrer und die Schule selbst innerhalb des Wochenendes auf den Übergang von einer Stufe auf die nächste vorzubereiten. Von grün zu gelb bedeutet es von normalem zu Wechselunterricht, und von gelb zu rot von Wechsel- zum Fernunterricht. „Genaue Kriterien: Fehlanzeige. Rücksprache mit den Schulen vorher: Fehlanzeige“, so der Schulleiter.

Diese Vorgehensweise stellt die Schulleiter vor eine unerfüllbare Aufgabe. Doch auch die Vorgaben innerhalb einzelner Stufen sind so umständlich und teilweise absurd, dass es kaum möglich ist, sie umzusetzen. Hier nur ein paar Beispiele:

Bei der Stufe grün muss der Abstand nach Möglichkeit eingehalten werden, Veranstaltungen, Schülerfahrten und -Austausche, Dienstbesprechungen, Gremien dürfen stattfinden, wobei immer die 3G-Regel gilt und die 2G-Regel unzulässig ist. Es besteht Maskenpflicht, wenn man läuft, jedoch nicht, wenn man sitzt oder steht. Bei der persönlichen Hygiene bedeutet die Stufe grün, dass überall in geschlossenen Räumen Maskenpflicht besteht, wobei Trinkpausen zu gewähren sind.

Bei der Stufe gelb sollen Dienstbesprechungen nicht in der Präsenzform stattfinden. Es sei denn, sie sind zwingend erforderlich. Dabei gilt Maskenpflicht und 3G-Regel. Schülerfahrten dürfen nur in Absprache mit dem Gesundheitsamt durchgeführt werden. Wenn mehrere Klassen einen Ausflug machen, dürfen sie sich nicht untereinander vermischen.

„Zur Einnahme des Frühstücks am Platz im Klassenraum darf die medizinische Maske abgenommen werden.“ In der Kantine, die bei Stufe grün geöffnet sein darf, dürfen Kinder beim Essen die Masken auch abnehmen, jedoch nicht, wenn sie auf dem Weg zum Esstisch sind.

Sportunterricht muss nach Möglichkeit im Freien stattfinden und der Körperkontakt sollte dabei vermieden werden. Findet der Unterricht in einer Halle statt, so besteht eine Lüftungspflicht von 10 Minuten nach dem Unterricht. Auch sollte man die Halle durch einen Vorhang trennen, wenn sie eine Fläche von über 320 Quadratmeter hat. Die Duschen und Umkleiden müssen gelüftet werden. „Toiletten können genutzt werden.“

Musik- und Theaterunterricht darf stattfinden. „Situationen mit Körperkontakt sind zu vermeiden und Alternativen sind zu entwickeln.“ Am besten soll aber beides im Freien durchgeführt werden, besonders der Blasunterricht. „Musikinstrumente mit Kondensatbildung“ sollen mit Einweg-Papiertüchern gereinigt werden, welche in geschlossene Abfalleimer weggeworfen werden müssen. Wenn der Unterricht in einem geschlossenen Raum stattfindet, dann bevorzugt bei geöffneten Fernstern, bzw. der Raum muss anschließend mindestens 15 Minuten gelüftet werden.

Besonders schwierig gestaltet es sich das „vokale Musizieren“, also das Singen. Schüler dürfen nämlich nur 10 Minuten lang singen und müssen dabei einen Mindestabstand von 1,5 Meter einhalten, wobei die letzte Pflicht entfällt, wenn Luftreinigungsgeräte benutzt werden. Masken dürfen beim Singen immerhin abgezogen werden. Diese Regeln gelten aber nur für das Singen einzelner Schüler.

Chorproben dürfen anders ablaufen. Hier muss der Abstand 2 Meter sein, beim Einsatz von Luftreinigungsgeräten 1,5 Meter. Im Chor dürfen Kinder am Stück 60 Minuten singen und dabei muss der Proberaum alle 15 Minuten ausreichend gelüftet werden. Nach Ablauf von 60 Minuten muss insgesamt 30 Minuten quergelüftet werden. Danach muss der Raum 2 Stunden leer stehen. Vor dem Beginn der nächsten Probe muss der Raum wieder 30 Minuten stoß- oder quergelüftet werden.

Die Regeln gelten allerdings nur für Proben. Bei den Aufführungen gelten wieder andere Regeln. Zwischen den „Schulfremden Personen“ und dem „Aufführenden Publikum“ muss der Abstand von mind. 4 Metern eingehalten werden. Eine Aufführung darf max. 60 Minuten dauern und zwischen den Aufführungen muss 30 Minuten gelüftet werden.

'Die Kinder sind das schwächste Glied in der Kette'

Das ist die Antwort des Schulleiters auf die Frage, ob und wie Kinder mit diesen Regeln klarkommen, ob und wie sie sich mit dieser schweren Situation abfinden. Kinder werden nicht gefragt, sie müssen einfach gehorsam mitmachen, so der Schulleiter.

Die Situation, in der Kinder permanent beobachtet werden, in der sie einander nicht berühren, sich nicht umarmen dürfen, in der sie die Gesichter voneinander und von den Lehrern nicht sehen können, im Musikunterricht nur 10 Minuten singen dürfen oder im Theaterunterricht auf „alternative Situationen ausweichen müssen, um den Körperkontakt zu vermeiden“. Die Situation, in der sie sich dreimal wöchentlich testen lassen müssen, beim Laufen die Maske tragen müssen und beim Sitzen diese absetzen dürfen. Und in der ungeimpfte Kinder davon träumen, sich mit Corona zu infizieren, damit sie das machen dürfen, was geimpfte Kinder machen. Diese Situation herrscht in deutschen Schulen 2021.

„Wir sind dabei, deren Zukunft zu zerstören.“ Mit diesem Spruch aus 2019 verteidigt Anton Hofreiter Fridays-for-Future-Demonstrationen. Es kommt einem fast schon heuchlerisch vor, wie die Sorge um die Zukunft der Kinder bei der Klimadebatte hervorgehoben, während ihre Gegenwart wegen Corona-Maßnahmen fast unerträglich gemacht wird. Wo sind die Erwachsenen, die sich um die Auswirkungen solcher Restriktionen auf die Psyche der Kinder kümmern und sie vor Schäden schützen, mit denen sie groß werden? Und wo sind die Erwachsenen, die öffentlich zugeben, dass sie die Zukunft der Kinder zerstören, indem sie sie in einen dauerhaften Ausnahmezustand versetzen und sie nicht das sein lassen, was sie sind: Kinder.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge von anderen Autoren geben immer deren Meinung wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin, und lebt seit über 16 Jahren in Berlin. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Mit 27 kam sie nach einem abgeschlossenen Informatik-Studium aus privaten Gründen nach Berlin und arbeitete nach ihrem zweiten Studienabschluss viele Jahre als Übersetzerin, aber auch als Grafik-Designerin. Mittlerweile arbeitet sie für reitschuster.de und studiert nebenberuflich Design und Journalismus.

Bild: Shutterstock
Text: eq

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