Große Freiheit für „drei G“ Wie man in Nullkommanix eine Zwei-Klassen-Gesellschaft schafft

Von Ekaterina Quehl

Stellen Sie sich vor: An einem sonnigen Samstagmorgen stehen Sie auf und gehen mit Ihrer Familie lecker brunchen in ein feines Restaurant. Danach gehen Sie schön bummeln durch eine Einkaufsstraße und abends genießen Sie den Sonnenuntergang bei einem Glas Wein im Kreise Ihrer Freunde in einem gemütlichen Kaffee. Seit Tagen werben große Medien für diese einfachen Dinge des Lebens, die nach fast sieben Monaten Lockdown Gold wert geworden sind. Geschäfte, Restaurants, Freibäder, Fitness-Zentren – selbst wenn eingeschränkt und mit Hygienekonzepten – dennoch dürfen sie ihre Türen schon sehr bald öffnen. Nur nicht für alle. Sondern nur für bestimmte Personengruppen. Menschen, die wir laut Medien jetzt die „drei G“ nennen dürfen.

„Man will zu den drei ,G‘ gehören: Genesen, Geimpft oder Getestet“, sagte Oliver Funken, der Vorsitzende des Hausärzteverbandes Nordrhein und begründete damit den Massenansturm auf die Hausarztpraxen und die aggressive Stimmung der impfwilligen Menschen. Viele wollen sich impfen lassen, um in den Genuss von Lockerungen zu kommen, mit denen bestimmte Personengruppen in Kürze von Bund und Ländern beschert werden.

Und da haben wir es: „drei G“ – der Name der ersten Klasse unserer neuen Zwei-Klassen-Gesellschaft. Zu verdanken sind die „drei G“ nicht etwa Oliver Funken, sondern der Bundesregierung und dem Paragrafen 28c des Infektionsschutzgesetzes „Verordnungsermächtigung für besondere Regelungen für Geimpfte, Getestete und vergleichbare Personen“. Mit dieser Änderung ist die Bundesregierung ermächtigt, Erleichterungen und Ausnahmen von Geboten und Verboten, die „unverletzliche Freiheiten“ aller Bürger Deutschlands betreffen, für genannte Personengruppen zu regeln.

Möchte man zu den „drei G“ gehören, so gibt es zahlreiche Möglichkeiten dafür. Wenn man etwa nur ins Kino gehen möchte, so reicht einfach ein negativer Test und dann ist man ein „Getesteter“. Etwas länger in den Genuss von Freiheiten kann man als „Genesener“ kommen. Die Voraussetzung dafür ist aber eine vorherige gemeldete Corona-Erkrankung mit einem Nachweis, der eben das darf, was er bei „Getesteten“ nicht darf – nämlich positiv sein. Also ein positiver PCR-Test, wenn er mindestens 28 Tage und höchstens sechs Monate alt ist.

Doch die lukrativste Möglichkeit, zu den „drei G“ zu gehören scheint es – zumindest laut großen Medien – ein „Geimpfter“ zu sein. Lässt man sich impfen, kommt man am längsten und am einfachsten in den Genuss von „unverletzlichen Freiheiten“.

Wohlgemerkt sind in dem Paragraph 28c des Infektionsschutzgesetzes diejenigen Menschen nicht erwähnt, die aktuell schätzungsweise 80 Prozent der Gesamtbevölkerung Deutschlands betragen: Menschen wie du und ich, die weder geimpft, noch getestet, noch genesen, sondern einfach nur völlig gesund sind. Und diese Menschen dürfen weder ins Restaurant mit ihren Freunden, noch ins Freibad mit ihrem Kind. Geschweige denn in den Urlaub fahren.

Auch wenn es Möglichkeiten gibt, zu den „drei G“ zu gehören, darf sich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung jetzt als zweite Klasse fühlen. Denn sie müsste sich ab sofort Freiheiten kaufen oder sie mit ihrer eigenen Gesundheit erkämpfen. Und denjenigen, die nicht genug Geld haben, um sich täglich testen zu lassen (oder es einfach nicht wollen), oder einem nicht ausreichend geprüften Impfstoff nur wenig Vertrauen schenken, scheint wohl nur noch eins übrig, um die eigene Menschenwürde zurückzugewinnen: sich anstecken zu lassen. Aber selbst das hilft nur für sechs Monate. Danach sind auch Genesene wieder Menschen zweiter Klasse.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!
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Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin, und lebt seit über 16 Jahren in Berlin. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Mit 27 kam sie nach einem abgeschlossenen Informatik-Studium aus privaten Gründen nach Berlin und arbeitete nach ihrem zweiten Studienabschluss viele Jahre als Übersetzerin, aber auch als Grafik-Designerin. Mittlerweile arbeitet sie für reitschuster.de und studiert nebenberuflich Design und Journalismus.

Bild: microstock3D/shutterstock
Text: eq
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