Von Kai Rebmann
Die Hausärzte in Deutschland arbeiten seit Jahren am Limit oder sogar darüber hinaus. In der Politik sind die Probleme wohlbekannt, entscheidende Reformen in diesem Bereich blieben bisher aber aus. Schon heute fehlen hierzulande tausende Hausärzte und täglich schließt eine weitere Praxis ohne Nachfolgeregelung.
Jetzt hat ein weiterer Allgemeinmediziner (Ort und Name der Redaktion bekannt) seinen Rückzug angekündigt – und dabei zum Rundumschlag gegen die Bundesregierung und insbesondere Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ausgeholt.
Was offiziell als „Patienten-Information“ deklariert wurde, ist in Wirklichkeit ein Brandbrief. Der Mediziner erklärt zunächst noch sehr nüchtern: „Aus privaten Gründen habe ich mich entschieden, meine hausärztliche Tätigkeit einzustellen. Als Termin hierfür ist Juni 2025 vorgesehen. Meine palliativmedizinische Arbeit geht unverändert weiter. Auch Privatpatienten und Selbstzahler können zunächst einmal weiter behandelt werden, bis eine endgültige Lösung gefunden ist.“
„Hausärzte schlichtweg politisch nicht gewünscht“
Umso emotionaler wird es dann bei der abschließenden „Erläuterung“, die der Arzt – wohl mit einem sarkastischen Augenzwinkern – aber lediglich als „kontribuierende Faktoren“ für seine Entscheidung bezeichnet. Das Pensum liege regelmäßig bei 100 Wochenstunden, er arbeite an 7 Tagen in der Woche und oft mehr als 100 Tage ohne Unterbrechung: „Ich bin abends selten vor 22 Uhr mit der Arbeit fertig. Dadurch gibt es nur ein minimales Privatleben. Diesen Zustand möchte ich ändern.“
Und dann folgen die Sätze, die sich für die politisch Verantwortlichen in diesem Land wie verbale Peitschenhiebe anfühlen müssen. Süffisant führt der Hausarzt auf selbstgewähltem Abruf aus (Wortlaut):
„Man könnte ja möglicherweise auch denken, dass diese Entscheidung damit zu tun hat,
… dass ich nach den jüngsten Abrechnungsreformen nicht mehr in der Weise ärztlich tätig sein kann, wie ich es für richtig halte.
… dass die Anspruchshaltung der Patienten immer grenzenloser und unverschämter geworden ist und die Politik dem keinen Einhalt gebietet.
… dass in unserem System in verantwortungsloser Weise Geld verschwendet wird, die eigentlichen Leistungsträger nicht angemessen entlohnt, Frechheit und Faulheit belohnt werden, und keine ausreichende Kontroll-Instanz existiert.
… dass die Bürokratie in der Hausarztpraxis horrende bis zerstörerische Ausmaße angenommen hat.
… dass Hausärzte schlichtweg politisch nicht gewünscht sind.“
Verband fordert Programm zur Rettung der Hausarzt-Praxen
Tatsächlich steht der im Resignieren begriffene Mediziner mit seiner Kritik nicht alleine da, auch wenn sie nur selten in derartigem Klartext vorgetragen wird. Der Hausärzteverband Hessen hat bereits im November 2024 bemängelt, dass die Politik zwar parteiübergreifend versprochen habe, „die hausärztliche Versorgung stärken zu wollen“. Geschehen ist in den vergangenen Jahren aber wenig bis nichts, weshalb es die nächste Bundesregierung nicht erneut bei Lippenbekenntnissen belassen dürfe. Es brauche ein „Programm zur Rettung der hausärztlichen Praxen“.
Bundesweit fehlen in Deutschland schon heute 5.000 Hausärzte. Rund 40 Prozent der noch praktizierenden Hausärzte sind nach Verbandsangaben älter als 60 Jahre: „Damit ist klar, dass sich die Situation in den kommenden Jahren extrem zuspitzen wird.“ Wenn jetzt nicht entschieden gegengesteuert wird, „droht der ambulanten hausärztlichen Versorgung ein Desaster“.
Dabei haben die Hausärzte in Deutschland vor allem mit zwei Problemen zu kämpfen – den Budgetobergrenzen (reitschuster.de berichtete) sowie der überbordenden Bürokratie. Die von Lauterbach seit langem versprochene, aber nach wie vor nicht umgesetzte Entbudgetisierung der hausärztlichen Leistungen wäre dabei aus Sicht vieler niedergelassener Ärzte aber nur ein marginaler Schritt in die richtige Richtung. Denn sie würde vor allem eines nicht leisten können: die weithin bekannten strukturellen Probleme bei der medizinischen Versorgung insbesondere im ländlichen Raum lösen.
Lauterbachs Krankenhaus-Reform als zusätzliche Belastung
Ein Hauptkritikpunkt gilt daher dem gefühlt ausschließlichen Fokus des Ministers auf dessen Krankenhaus-Reform. Die Hausärzte auf dem Land bleiben dabei jedoch nicht nur außen vor, ihnen sollen noch weitere, schon jetzt kaum zu stemmende Aufgaben aufgebürdet werden, etwa im Bereich der 24/7-Notfallversorgung.
Immer mehr Hausärzte sehen als letzten Ausweg nur noch die Umstellung auf eine Privatpraxis – mit der Konsequenz, dass dort nur noch privatversicherte Patienten und Selbstzahler behandelt werden. Der einfache Grund: der bürokratische Aufwand, gesetzlich versicherte Patienten abzurechnen, hat inzwischen überirdische Dimensionen angenommen.
Was das für den Alltag von Ärzten und Patienten bedeutet, rechnet Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbands Nordrhein, im „Ärzteblatt“ vor: „Mit vereinfachter Bürokratie könnte jede Ärztin und jeder Arzt monatlich deutlich mehr Patienten beraten oder behandeln.“ Der zeitliche Aufwand für Bürokratie liege demnach pro Monat und Praxis bei 60 Stunden, was anderthalb Wochen regulärer Arbeitszeit entspreche: „Dazu kommt mindestens noch einmal der gleiche Arbeitsaufwand für die Praxisorganisation und -verwaltung bei den Praxismitarbeitern.“
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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