Intensivpfleger zerlegt Lauterbach & Co. in der ARD Realitätscheck: "Die Kliniken bescheißen"

Im April 2021 zerlegte der Intensivpfleger Ricardo Lange vor laufender Kamera in der Bundespressekonferenz den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und RKI-Chef Lothar Wieler. Allein mein Video auf Youtube dazu wurde über eine Million mal abgerufen (siehe hier). Daraufhin wurde es still um Lange. Offenbar wollte man ihn nicht mehr an vorderster Front sehen, nachdem er die Regierung derart blamiert hatte. Doch die Erinnerung beim politisch-medialen Komplex ist zumindest manchmal kurz. Gestern durfte Lange wieder vor ein Millionenpublikum – beim politischen Hohen Amt der neuen Bundesrepublik, wo normalerweise nur Gesinnungsgenossen mit der richtigen „Haltung“ untereinander diskutieren, um sich in ihrem Urteil zu bestätigen und Schein-Pluralität vorzuspielen: bei Anne Will in der ARD.

Es war mehr als erfrischend, wie der Mann aus der Praxis „immer wieder hinaufgestiegen ist in den Elfenbeinturm der Theoretiker, um ordentlich an die Tür zu klopfen“ (Cicero). Mit Spahn-Nachfolger Karl Lauterbach und der Journalistin Christina Berndt von der Süddeutschen, einer Corona-Hardlinerin, hatte er auch leichtes Spiel. Berndt hatte kürzlich verbreitet, eine Maßnahme sei ja nicht zwangsläufig unwirksam, nur, weil sich die Wirksamkeit nicht nachweisen lasse. Eine Aussage, die eher zum Mittelalter passt als zu einer Wissenschaftsjournalistin, als die sich Berndt bezeichnet.

In der Sendung forderte die streitbare Journalistin nun mehr und schnellere Maßnahmen – und spielte damit den Ball Lauterbach zu, der dann auf die Rolle der bösen FDP als Bremser hinweisen konnte. Offenbar war das die von der Redaktion geplante Dramaturgie. Während die beiden Corona-Prediger die Meistbegünstigungsklausel bei der Moderatorin hatten, fiel diese der FDP-Frau in der Runde, Christine Aschenberg-Dugnus, ins Wort. Teilweise war die Parteilichkeit von Will gespenstisch. So lobte sie Lauterbach für seine Kompetenz, die er aus nächtlich studierten Studien ableite.

Berndt legt dann nach. Man dürfe – Evaluierungsergebnisse hin oder her – nicht per se Maßnahmen wie Lockdowns oder die Schließung von Schulen einfach ausschließen. Zitat: „Man muss manchmal auch Maßnahmen ergreifen, für die die beste wissenschaftliche Evidenz nicht gegeben ist.“ Erneut eine unglaubliche Aussage für eine Wissenschaftsjournalistin.

Doch Intensivpfleger Lange brachte die geplante Dramaturgie ins Wanken. „Das sagt sich im Bürosessel immer sehr gut“, konterte der Mann aus der Praxis – und fragte die Journalistin, ob sie schon mal mit einem Menschen gesprochen habe, dessen Tumor zu spät erkannt wurde, weil in der Maßnahme-Zeit „eine gewisse Art von Vorsorge“ nicht möglich gewesen sei.

Das wollte Lauterbach nicht auf seiner Mitstreiterin in der „Süddeutschen Zeitung“ – die auch kräftig Geld für Impfwerbung vom Staat kassiert – sitzen lassen. „Die Andeutung, die jetzt gemacht wurde, ist problematisch“, konterte der Minister Langes Kritik.

Beweislos, aber ‘plausibel‘

Der Minister ging sogar so weit zu behaupten, manche Maßnahme sei einfach „hochplausibel“ und darum brauche es erst gar keine nachgewiesene Wirksamkeit. Man brauche schließlich auch keine Untersuchungen zur Evidenz von Fallschirmen bei Menschen, die aus dem Flugzeug springen. Wie bitte? Ein Minister kommt mit so einem fadenscheinigen Argument? Die Begründung für massive Einschnitte in die Grundrechte von Millionen Bürgern ist also: Wir haben zwar keine wissenschaftlichen Beweise, aber es ist einfach „hochplausibel“? Es fehlen einem die Worte. Gut, dass Lange sich des Themas annahm: Warum es Eingriffe in die Grundrechte gegeben habe, wenn es nicht mal Daten dazu gegeben habe, fragte er.

Lauterbach behauptete dann auch noch, er habe schon einiges angeschoben zur Vorbereitung der Pflegeeinrichtungen auf Herbst und Winter; sie sollten deshalb nicht überlastet werden. Das wollte Ricardo Lange so nicht stehen lassen. Er sagte, ihm gehe die „Faust in der Tasche auf“,  wenn er vor dem Fernseher sitze und irgendwer vom Schutz der vulnerablen Gruppen spreche und davon, dass Intensivstationen nicht überlastet werden sollen. Er würde gerne wissen, warum das Problem mit dem Personalmangel nicht endlich beseitigt werde, sagte er: Denn das sei die „tatsächliche Ursache“ für die Überlastung der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Bemerkenswert: Die Diskutanten schaffen es, beim Thema Pflegenotstand auszublenden, dass die sogenannte „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ genau diesen Pflegenotstand massiv befördert hat. Lange versuchte zwar, das ins Gespräch zu bringen, wurde aber abgeblockt.

Lauterbach konnte sich nur noch in Floskeln retten: Die Situation sei ihm „natürlich bestens bekannt“. Deshalb arbeite er auch „seit Jahren daran, dass wir da Gegenmaßnahmen machen“. Ihm sei es zu verdanken, dass der Abbau von Pflegekräften heute keine Gewinne mehr ermögliche. Zudem wolle er noch vor der Sommerpause Eckpunkte für ein „Pflegeentlastungsgesetz“ auf den Tisch legen. Das ließ Lange so nicht stehen. Damit werde der Personalmangel nicht gelöst, entgegnete er dem Minister. „Wenn man Lange so zuhörte, drängte sich leider der Verdacht auf, dass weder Lauterbach noch Aschenberg-Dugnus“, die für die FDP in der Runde saß, „eine echte Ahnung haben, wie der Alltag in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen dieses Landes aussieht – von Berndt ganz zu schweigen“, moniert der „Cicero“.

Der Intensivpfleger reizt Lauterbach offenbar derart, dass er sich verplappert: „Wir dürfen die Leute nicht verunsichern… Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, wir hätten die Dinge willkürlich gemacht.“ Wie bitte? Lauterbach hat hier offenbar für einen Moment vergessen, dass er vor einem Millionenpublikum spricht und nicht bei der Strategieplanung im Hinterzimmer mit Genossen.

‘Die Kliniken bescheißen‘

Mehrfach wies Lange darauf hin, dass gute Pandemie-Politik mehr sei als die bloße Virus-Bekämpfung. Und mehrfach sah das Duo der Corona-Hardliner in der Sendung, Lauterbach und Berndt, dabei recht blass in die Runde. Immer wieder scheiterten sie an Langes Realitäts-Check. Etwa, als Lauterbach eine Entlastung der Krankenhäuser durch „Entlastungsverträge“ ankündigte. Und künftige Prüfungen der Belastung der Pfleger. Darauf Lange ebenso lakonisch wie vernichtend: „Die Kliniken bescheißen.“

Als es plötzlich interessant wird, weil es um die desaströse Situation in den Krankenhäusern geht, wird Will sichtlich unruhig – das passt ihr offenbar gar nicht. Dann würgt sie ab: Es gehe um den Herbst, um die Vorbereitung. Was für eine Karikatur von kritischem Journalismus! Will versucht zu verhindern, dass sich via Lange die Realität in ihre schöne, regierungskonforme Talkshow-Welt einschleicht. Doch sie kann es diesmal nicht verhindern, so sehr sie es versucht. Dank Lange. Es ist bezeichnend, dass Will ausgerechnet die stramm auf Regierungslinie stehende Journalistin aus der Süddeutschen in die Sendung eingeladen hat – und keine Kollegen, die der Regierungspolitik zumindest halbwegs kritisch gegenüberstehen (ja, die gibt es inzwischen auch im Mainstream, etwa bei der „Welt“, die gute Aufklärungsarbeit leistet).

Besonders pikant in der Runde: In der Bundespressekonferenz wurde ich schief angesehen, weil ich mehrfach fragte, wer mit und wer wegen Covid hospitalisiert wurde. Das galt als Provokation, ja „Schwurbelei“. Auf einmal ist genau das für Lauterbach nun eine Selbstverständlichkeit. Sagte er zumindest in der Sendung.

David gegen Goliath
Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!


Bild: Screenshot Youtube 
Text: br

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