„Kein Mut mehr, die Regierung zu grillen“ Der niederländische Journalist, der Merkel in die Ecke drängte, über deutsche Kollegen

Der niederländische Journalist Rob Savelberg von der angesehenen Amsterdamer Tageszeitung De Telegraaf hat heute wieder einmal für frischen Wind auf der Bundespressekonferenz gesorgt. Legendär ist sein Auftritt von 2009, als er mit einer Frage nach Wolfgang Schäuble die Bundeskanzlerin völlig aus dem Konzept und die Journalisten-Kollegen zum Lachen brachte. Im März fühlte er Merkel-Sprecher Seibert so auf den Zahn, dass es begeisterte Reaktionen gab. Heute war Spahn dran. Savelberg kam zwar nur einmal dran – aber auch dieser Kurzauftritt war wieder legendär. Nach der Bundespressekonferenz konnte ich den großartigen Kollegen für ein Interview gewinnen. Darin schildert er aus seiner niederländischen Perspektive, wie er die Arbeit der Hauptstadtpresse in Deutschland sieht. Und wie schwer es ihm fällt, zu verstehen, warum die deutschen Kollegen die Regierung nicht viel härter angehen. Das Interview ist so bemerkenswert, der Perspektivenwechsel so spannend und entlarvend, dass ich Ihnen hier gar nicht mehr verraten möchte – sehen Sie es sich einfach an. Seine legendäre Szene mit Merkel habe ich vorangestellt, seine Wortgefechte mit Seibert ebenfalls mit hineingeschnitten – und seine heutige Frage sehen Sie in meinem aktuellen Bundespressekonferenz-Video hier. Wenn Sie direkt zum Interview mit Savelberg wollen – voilà.

Hier noch das Wortprotokoll von Savelbergs Auftritt heute in der Bundespressekonferenz mit Spahn:

Savelberg/Telegraaf: Herr Spahn, nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland sieht man, dass es in Deutschland immer wieder so Probleme gibt in der Pandemie bei der finanziellen Kontrolle. Das ist ja ständig der Fall. Das gab es bei den Masken. Da sind auch viele Menschen aus Ihrer Partei, die sind da auch, haben Probleme bekommen. Warum ist das ständig, dass diese finanzielle Kontrolle so problematisch ist? Also Sie haben diese Verordnungen geschrieben und jetzt hinterher erst merken Sie, dass da quasi die Lizenz zum Gelddrucken ist überall, nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland. Dass viele das wahrnehmen, diese Lizenz zum Gelddrucken. Dass in einzelnen Corona-Teststellen, die wir alle sehen, dass da einfach Leute tausende, mehrere zehntausend Euro pro Teststation, pro Tag abrechnen können. Also in der Pandemie haben viele Leute Schwierigkeiten über Wasser zu bleiben, Unternehmer, normale Angestellte.

Vorsitzende Welty: Ja, ich glaube wir haben Ihren Punkt … Wenn Sie das in eine Frage kleiden würden …

Savelberg: Naja, das ist ja schon meine Frage …

Vorsitzende Welty: Ok.

Savelberg: … warum es immer diese finanzielle Probleme gibt. Also eben auch bei den Masken gab es das, aber auch jetzt.

Vorsitzende Welty: Ja.

Savelberg: … also warum haben Sie die Verordnungen nicht vom Anfang an richtig geschrieben, weil normalerweise, wenn ich das schreiben müsste …

Spahn: Was ist denn Ihre Definition von richtig?

Savelberg: Bitte?

Spahn: Wie wäre denn richtig aus Ihrer Sicht?

Savelberg: Naja, dass nicht Tür und Tor für diese sehr große Korruption und Betrug geöffnet wird.

Spahn: Also … zum Ersten einmal … ich will es einmal einordnen. Ich hab’s ja gerade schon gesagt, die Regelungen, dass beauftragt werden kann … Also das kann man nicht, sich selbst beauftragen. Sie können nicht sagen, ich bin ab heute Teststelle, und können abrechnen. Das geht nicht. Sie müssen beauftragt werden, durch die zuständige Behörde vor Ort. D.h. also, es muss ein Gesundheitsamt, eine Behörde vor Ort oder eine Landesbehörde entschieden haben, Sie beauftragt haben, schriftlich, dass Sie jetzt Teststelle sind. Ja. Erster Teil. Zweiter Teil ist dann eben die Möglichkeit tatsächlich zur Abrechnung. Und ich sag noch einmal, übrigens auch gerade mit dem, was da, wo ich unterwegs bin, ich wahrnehme. Sowohl in meinem münsterländischen Heimatdorf mit 3.700 Einwohnern wie im 1.000 Mal so großen Berlin sind Teststellen entstanden, die genutzt werden. Also die meisten Teststellen, an denen ich vorbeikomme, selbst an Pfingstsonntag bei der Radtour, standen Schlangen vor, weil Menschen getestet werden wollen.

Savelberg: Ja klar, aber Sie wissen auch, dass da ganz viele dabei sind …

Vorsitzende Welty: Entschuldigung … Entschuldigung … können wir erst mal antworten lassen, bevor Sie nachfragen? Danke schön.

Savelberg: Kein Problem!

Spahn: Dann … Dank je wel! Dann ist es eben so, dass viele dieses Angebot auch nutzen. Das war wichtig, diese Infrastruktur zu haben und zu machen. Und das ist für viele, die diese Angebote erbringen, die Refinanzierung dieses Angebots. Insofern ist es erst mal die Möglichkeit, einen Bürgertest kostenlos für die Bürger möglich zu machen, der dann eben entsprechend auch vergütet wird. Und jetzt schlage ich einfach mal vor, dass wir jetzt auch staatsanwaltliche Ermittlungen und die Ermittlungen der Behörden abwarten. Weil bis jetzt jedenfalls ich noch nicht einschätzen kann, welche Größenordnung das hat. Wie denn auch? Bis jetzt kenne ich Einzelfälle, wo Staatsanwaltschaften ermitteln. Ich weiß nicht, ob Sie bessere Erkenntnisse haben. Und insofern schlage ich doch vor, dass wir das jetzt auch abwarten und sich ergeben lassen. Und ansonsten ist jetzt mein Eindruck, ich bin jetzt wirklich ein enger Verfolger der Politik in den Niederlanden, dass wir in allen Ländern Europas in dieser Pandemie in einer besonderen Ausnahmesituation unsere Herausforderungen hatten, immer die richtige Balance zu finden zwischen dem, was wir in normalen Zeiten an Vorgaben und Regeln und Mechanismen machen würden und dem, was dann, wenn’s eben auch schnell und pragmatisch gehen soll, dann notwendig ist und so ist es auch hier gewesen. Und ich bleib dabei, es ist was entstanden, was so Anfang März keiner erwartet hat. Also Anfang März war die Debatte in Deutschland, warum hat Österreich mehr Teststellen als wir. Und es gibt, glaube ich, kein anderes Land in Europa, das mehr Möglichkeiten hat, niedrigschwellige Tests zu haben, als wir.

Vorsitzende Welty: Kurze Nachfrage …

Spahn: Und dafür will ich auch nochmal die 660 Millionen einordnen. Das ist viel Geld, aber wenn Sie die Vergütung für den Test mal dagegen nehmen, sind das um die 40–45 Millionen Tests. 40–45 Millionen Tests abgerechnet in vier Wochen, kann ich jetzt noch nicht erkennen, dass das jetzt sozusagen eine übermäßige Vermehrung der abgerechneten Tests in Relation zum Testangebot und der Zahl der Bürgerinnen und Bürger ist. Und deswegen klären wir das jetzt auf. Vor vier Wochen gab es Berichterstattungen, dass Teststellen auf ihr Geld warten und wie es überhaupt sein könnte, dass man nicht viel schneller die Teststellen bezahlt. Jetzt ist ein anderes Thema im Mittelpunkt und meine Aufgabe jedenfalls ist es ja, jetzt Sachverhaltsaufklärung zu machen und gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen Probleme, die da sind, die sich zeigen, dann auch aufzuarbeiten und zu lösen.

Vorsitzende Welty: Mit Blick auf die Uhr bitte eine kurze Nachfrage und auch die Bitte um eine kurze Antwort, weil ich würde gerne noch drei weitere Fragen aufrufen.

Savelberg: Gut! War es nicht einfach naiv oder vielleicht fahrlässig, dass Sie diese Verordnung nicht von Anfang an richtig gemacht haben? Dass nicht die Betreiber dieser Corona-Teststellen einfach nicht selber angeben können, wie viele Tests sie gemacht haben und damit einfach fantasiemäßig das hundert- oder tausendfach übertreiben pro Tag, womit diesem großen Betrug auch Tür und Tor geöffnet wurde?

Spahn: Also … zuerst einmal wissen weder Sie noch ich, in welchem Umfang …, weil ich finde, das ist mir zu pauschal, zu sagen, alle Teststellenanbieter …

Savelberg: Nein, das habe ich nicht gesagt, aber es ist passiert …

Vorsitzende Welty: Entschuldigung …

Spahn: … würden das entsprechend machen. Es gibt ja jetzt Situationen, wo die Staatsanwaltschaft ermittelt. Und da wo jemand etwas abrechnet, was er nicht erbracht hat, begeht er Betrug. Das ist strafrechtlich relevant.

Savelberg (unverständlich, Mikro ausgeschaltet)

Spahn: Das ist kriminell und kriminelles Handeln muss geahndet werden an dieser Stelle, und es wird auch geahndet. Und das Zweite ist, es muss für die Sachkosten …, die Unterlagen müssen ja aufbewahrt werden.

Vorsitzende Welty: Entschuldigung. Sie haben jetzt nicht das Wort und wir machen hier keine Einzeldiskussion.

Savelberg: (unverständlich, Mikro ausgeschaltet, sinngemäß: „Die Antwort war aber nicht befriedigend!“)

Vorsitzende Welty: Es gibt eine Frage und es gibt eine Antwort und wenn Sie damit nicht einverstanden sind, dann ist das Ihr Problem, aber Sie haben jetzt nicht das Wort, sondern der Herr Minister antwortet. Ok? Danke!

Spahn: War ja auch noch mittendrin. Was die Frage der Sachkosten angeht, gibt es entsprechende Nachweise, nämlich eben die Rechnungen für den Einkauf, und auch die können ja, übrigens auch nach Verordnung, noch nachträglich bis zum Ende des Jahres ’24 überprüft werden. Aber ich sag noch einmal, die Herausforderungen für uns alle in dieser Pandemie ist ja, die richtige Balance zu finden zwischen pragmatisch, schnell, unbürokratisch. Das ist das gleiche Thema, in einer anderen Dimension natürlich, wie bei der Frage, welche Informationen bekommen wir aus den Arztpraxen. Das gibt sozusagen die Idealbeschreibung, und es gibt das, was im Alltag dann umsetzbar ist und auch gut umsetzbar ist. Und ich wünsche mir einfach für unsere Debatten in Deutschland, dass wir bei diesen Debatten auch die Balance finden. Nämlich die Probleme besprechen, sie aufarbeiten, die Behörden, wie die Staatsanwaltschaften. Ich meine, staatsanwaltliche Ermittlungen sind ja keine Kleinigkeit, die da stattfinden. Sie finden zu Recht statt, aber sie finden statt. Das ist ja auch richtig so. Dass wir aber gleichzeitig noch miteinander wahrnehmen, was da an Angebot entstanden ist. Die viele Bürgerinnen und Bürger selbstverständlich nutzen. Und mir ist einfach wichtig, dass jetzt sozusagen über diese Diskussion nicht die Bereitschaft in Frage steht, sich beständig immer wieder auch selbst und dem eigenen Umfeld durch Testen Sicherheit zu geben.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

 

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Bild: Boris Reitschuster
Text: br

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