Rammstein und die Medien: Hauptsache, fertigmachen? Warum vielen Journalisten völlig die Maßstäbe verrückt sind

Hier mein Video zu diesem Thema.

Wochenlang dominierten die Vorwürfe gegen die Band Rammstein und ihren Frontsänger Till Lindemann die Schlagzeilen in Deutschland. Die Unschuldsvermutung wurde bei der auch politisch verdächtigen Band aus dem Osten einfach fallengelassen. Wie inzwischen üblich bei Vorwürfen sexueller Belästigung oder Gewalt. Moral und Strafrecht werden dabei vermischt in einer Art und Weise, die den Rechtsstaat geradezu konterkariert.

Das jüngste Beispiel für das Ausmaß der postmodernen Hexenjagd: Dass die Staatsanwaltschaft im Litauischen Vilnius endgültig und trotz einer Beschwerde der Irin Shelby Lynn das Ermittlungsverfahren einstellte, wird gar nicht oder beiläufig im „Kleingedruckten“ erwähnt. Also dort, wohin sich viele Leser auf den Webseiten oder in der Papierausgabe gar nicht verirren. Dabei waren die Vorwürfe von Shelby ein zentraler Punkt bei der Medien-Kampagne gegen Rammstein und brachten sie auch ins Rollen.

Die junge Irin mit diversen Piercings und Tätowierungen hatte der Band vorgeworfen, dass sie am Rande eines Besuchs eines Rammstein-Konzerts in der litauischen Hauptstadt im Mai unter Drogen gesetzt worden sei. Sie könne sich an vieles nicht mehr erinnern, aber habe am nächsten Tag zahlreiche blaue Flecken entdeckt. Sie ging deshalb davon aus, dass sie während der Zeit, an die sie sich nicht mehr erinnern kann, körperlich misshandelt wurde. Entsprechende Fotos und Vorwürfe veröffentlichte Lynn auf Twitter und brachte so die Affäre ins Rollen.

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„Die Staatsanwaltschaft in Vilnius begründete ihre Einstellungsentscheidung damit, dass man nach Vernehmung eines Zeugen und Analyse von Daten und Dokumenten keine objektiven Tatsachenbeweise für die Aussagen von Shelby Lynn gefunden habe“, schreibt jetzt Simon Bergmann, der Anwalt von Till Lindemann, in einer Presseerklärung.

„Um die Vorwürfe von Frau Lynn weiter aufzuklären, haben wir für unseren Mandanten eigene Untersuchungen veranlasst“, führt der Anwalt weiter aus: „So wurde das Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Köln damit beauftragt, die von Frau Lynn veröffentlichten Lichtbilder nebst Videoclip dahingehend auszuwerten, welche Ursachen die dort gezeigten Verletzungen haben können. Insbesondere sollte beurteilt werden, ob die Verletzungen auf eine körperliche Misshandlung zurückgeführt werden könnten. Ausweislich des vom Direktor des Instituts, Herrn Prof. Dr. Markus Rothschild, erstellten Gutachtens legen die Aufnahmen ein Unfallgeschehen ohne Fremdeinwirkung als wahrscheinlichste Ursache nahe.“

Das Gutachten zitiert Lindemanns Rechtsvertreter wie folgt: Insgesamt sprechen Morphologie und Lokalisation der dokumentierten Verletzungen eher für ein akzidentielles Geschehen, ohne dass eine Fremdeinwirkung von vornherein allein anhand der Befunde völlig ausgeschlossen werden kann. Typisch für eine Fremdeinwirkung sind die Befunde aus rechtsmedizinischer Sicht indes nicht.“

'Keine Hinweise auf sexualisierte Gewalt‘

Zudem ergäben sich „insbesondere keine Hinweise auf sexualisierte Gewalt als Ursache für die bei der Zeugin dokumentierten Verletzungen“. Zwar könne „auch hier allein anhand der Verletzungsbefunde eine sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung nicht ausgeschlossen werden“, so der Professor: „Umgekehrt fanden sich aber auch keine Hinweise auf eine sexualisierte Gewalt.“

Anders als bei der endgültigen Einstellung der Ermittlung könnte man hier das Schweigen bzw. Herunterspielen dieser Nachricht durchaus damit rechtfertigen, dass es sich eben nur um eine Ferndiagnose handelt, und die von einem Gutachter stammt, den Lindemann beauftragt hat. Aber dann hätte man auch mit all den teilweise sehr vagen Vorwürfen gegen den Sänger genauso vorsichtig umgehen müssen. Die meisten Kollegen machten aber genau das Gegenteil und gaben diese ganz oben bzw. vorne in ihrem Medien wie Fakten wieder.

Die Pressemitteilung des Anwalts enthält noch zwei weitere Details, die alle Medien, die so groß über die Vorwürfe berichteten, ebenfalls groß hätten wiedergeben müssen: Zum einen ergab eine Akteneinsicht in das von der Berliner Staatsanwaltschaft Berlin geführte Ermittlungsverfahren, dass dieses nicht auf Strafanzeigen vermeintlicher Opfer zurückgeht. Anzeigenerstatter sind demnach unbeteiligte Dritte, die ihre Anzeigen ausschließlich auf Medienberichte und Vorwürfe in den sozialen Netzwerken stützen. „Des Weiteren ergab sich aus der Akteneinsicht, dass bislang keine objektiven Beweismittel, die für eine Tatbegehung unseres Mandanten sprechen, vorliegen“, so Anwalt Bergmann.

Youtuberin unterschreibt Unterlassungserklärungen

Der Rechtsbeistand des Sängers teilte auch mit, dass er bereits mehrere Unterlassungserklärungen für diesen erwirkt habe. So habe die Youtuberin Kayla Shyx, bürgerlicher Kaya Loska, die schwere Vorwürfe gegen Lindemann erhob, dem sie persönlich nicht näher begegnete, nach einer Abmahnung in zwei Punkten eine entsprechende Erklärung abgegeben. Wegen anderer Punkte habe Lindemann vor Gericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Youtuberin beantragt.

In der Schweiz habe unter anderem die Ringier AG wegen eines Beitrags auf dem Internet-Portal „Blick“ mit dem Titel „Rekrutierte Alena M. auch in Bern Frauen für Lindemann?“ eine umfangreiche strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Der Beitrag könne nun über die Internetseiten des Verlags nicht mehr abgerufen werden. Gegen den „Spiegel“ sei eine einstweilige Verfügung beantragt worden, so der Anwalt.

Der Umgang mit der Pressemitteilung zeigt, wie sehr viele Medien mit zweierlei Maß messen. Kein Vorwurf gegen Lindemann schien zu wackelig, als dass man ihn nicht ganz groß wiedergegeben hätte. Genau umgekehrt bei der Rechtfertigung des Delinquenten.

Verschobene Maßstäbe

Es geht hier nicht um eine moralische Einschätzung von Lindemanns Verhalten. Es geht um die Unschuldsvermutung, um Vorverurteilung, und eine Überheblichkeit in Sachen Moral, die in vielen Medien heute allgegenwärtig ist. Und die Maßstäbe sind verschoben: Während etwa sexuelle Gewalt durch Zuwanderer, auch gegen Kinder, allenfalls am Rande erwähnt wird, obwohl sei ein gesellschaftlich inzwischen sehr relevantes Problem ist, weil sie potentiell jede Frau treffen kann und damit in die Schlagzeilen gehört, gelten bei Rammstein ganz andere Maßstäbe – obwohl von Lindemann abseits von Konzerten offenbar niemand etwas zu befürchten hatte.

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