RKI berechnet Wirksamkeit der Impfstoffe trotz großer Datenlücken Versehen, Schlamperei oder Manipulation?

Ein Gastbeitrag von Gregor Amelung

Hamburg. In 89,5 Prozent der Corona-Fälle hatte man in der Hansestadt in der Kalenderwoche 49 den Impfstatus „nicht erhoben“, in 1 Prozent der Fälle war er „nicht ermittelbar“, so der NDR am 12. Dezember 2021. Macht zusammen 90,5 Prozent.

„Impfstatus der laborbestätigten SARS-CoV-2 Fälle in Hamburg“ (Quelle: Screenshot NDR.de; der rote Rahmen um die Spalten „nicht ermittelbar“ und „nicht erhoben“ wurde nachträglich eingefügt)

Es ist der bisherige Spitzenwert in Sachen Impfstatus-Unwissenheit in der Hansestadt. Noch im Oktober lag die Quote des Nichtwissens zwischen 50 und 60 Prozent. Im Folgemonat stieg sie dann bis auf fast 70 Prozent an (69,7 %).

'Hospitalisierte SARS-CoV-2 Fälle in Hamburg'

Auch in den Krankenhäusern sind die Datenlöcher eher groß als klein. So wurden in der 49. Kalenderwoche zu 62,5 Prozent der „hospitalisierten SARS-CoV-2 Fälle in Hamburg“ der Impfstatus nicht „erhoben“. In weiteren 12,5 Prozent war er nicht „ermittelbar“. In der Summe liegt die Impfstatus-unbekannt-Quote hier also bei 75 Prozent. Damit hatte man den bisherigen Höchstwert von 46,4 Prozent von Ende Oktober (KW 43) deutlich überschritten. Damals hatte der Impfstatus „nur“ bei 32 von 69 Patienten gefehlt.

Etwas besser als in Hamburg sieht es im Bundesland Bayern aus. Hier war den Behörden der Impfstatus in der Woche vor dem 24. November (circa KW 46) „nur“ bei 70,3 Prozent der Corona-Fälle nicht bekannt. In 57.489 von insgesamt 81.782 Fällen war er unbekannt, so »Die Welt« am 3. Dezember 2021.

Bayern: Datenloch in der Größe von Passau

Das bayerische Datenloch entspricht in etwa der Bevölkerung von Passau (52.415), das – falls es plötzlich futsch wäre – schon auch Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) auffallen sollte. Tat es aber nicht. Söder twitterte stattdessen am 18. November fröhlich die Inzidenzen, von denen er die Zahlen hatte. Verbunden mit dem Appell, sich doch „bitte impfen“ zu lassen. Reitschuster.de berichtete über die Münchener Posse hier.

Und auch im Freistaat Sachsen gibt es Löcher in den Daten, so »Die Welt« am 23. Dezember 2021. In der Woche vor dem 2. November (circa KW 43) hatte man unter den Sachsen insgesamt 12.374 Fälle gezählt, aber: „In 30 bis 40 Prozent der Fälle wurde nach Angaben der Landesuntersuchungsanstalt in diesem Zeitraum angegeben, dass der Impfstatus nicht erhoben / nicht ermittelbar war“, so das sächsische Sozialministerium am 21. Dezember.

Damit fehlt der sächsischen Landesregierung über den Daumen gepeilt mal eben von rund 35 Prozent der sächsischen Corona-Fälle der Impfstatus oder bei 4.331 Sachsen. Was Ministerpräsident Kretschmer indes nicht davon abhielt, mit den spärlichen Daten, die er hatte, Politik gegen die Ungeimpften zu machen. Reitschuster.de berichtete über die Dresdener Posse hier.

Datenlücken beim RKI

Von den massiven Datenlöchern sind allerdings nicht nur die Länder, sondern auch der Bund betroffen. So fehlen dem Berliner RKI seit Mitte Juli (KW 28 bzw. 32) zu 35 Prozent der „hospitalisierten COVID-19-Fälle […] ausreichende Angaben zum Impfstatus“, so der RKI-eigene Wochenbericht am 23.12.2021. Mit anderen Worten: bei 31.189 von insgesamt 89.910 gemeldeten symptomatischen Corona-Patienten ist der Impfstatus nicht bekannt.

Darüber hinaus fehlen dem Institut noch bei 17 Prozent der symptomatischen Fälle seit Mitte Juli (KW 28 bzw. 32) „ausreichende Angaben zum Impfstatus“. In absoluten Zahlen bedeutet das: in 206.955 von insgesamt 1.230.201 Fällen fehlt der Impfstatus – oder bei allen Einwohnern der Stadt Kassel (201.048) und denen von Teterow (8.334) in Mecklenburg-Vorpommern obendrauf. So groß ist die Datenlücke.

Fehlende Daten als Regel

Nachdem man sich zunächst einmal darüber gewundert hat, dass ausgerechnet die Krankenhäuser weniger Impfstatus-Wissen über ihre symptomatischen Patienten haben (35 %) als die Gesundheitsämter über ihre symptomatischen Fälle (17 %), fällt auf, dass die Datenlöcher beim RKI nicht etwa die Ausnahme, sondern die Regel sind. Allerdings sind die Hinweise hierauf ein scheues Wild, das sich in den Wochenberichten gerne versteckt hält. Noch bis zum 28. Oktober 2021 hatte das RKI in seinen Wochenberichten diesbezüglich lediglich von „einem Teil der COVID-19-Fälle“ gesprochen und das Datenloch selbst nicht mit einer Prozentzahl unterlegt.

Anschließend wurde in den beiden Wochenberichten vom 4. und 11. November unter der Überschrift „Impfeffektivität“ dann eine Prozentzahl angegeben. Diese wies allerdings lediglich den Anteil der symptomatischen Fälle aus, bei denen der Impfstatus bekannt bzw. unbekannt war. Dabei blieb es. Zusätzlich kamen lediglich noch ab dem 18. November die symptomatischen Fälle hinzu, die zusätzlich hospitalisiert waren.

Impfstatus, der dem RKI bekannt ist, in Worten oder in Prozent.

Zunächst einmal war hieran auffällig, dass die Angaben zur Datenlückengröße weit abgesetzt – fast schon getrennt sind von der Berechnung bzw. „Schätzung“, wie es das RKI nennt, der Impfstoffeffektivität. Im RKI-Wochenbericht vom 16. Dezember 2021 lag sie beispielsweise „gegenüber einer symptomatischen COVID-19-Erkrankung […] für die vergangenen 4 Wochen (Mittelwert der M[elde]W[ochen] 46 bis 49) in der Altersgruppe 12-17 Jahre bei ca. 89 %, in der Altersgruppe 18-59 Jahre bei ca. 69 % und in der Altersgruppe ≥60 Jahre bei ca. 71 %“.

'Fazit“ trotz gewisser 'Limitation'

So steht es auf Seite 24. Und in der Überschrift der Tabelle darüber findet man auch den Datenstand, auf dem diese Aussage beruht. Es ist der „14.12.2021“. – Was nicht auf der Seite steht, war auf Seite 26 ausgewichen. Dort heißt es unter der Überschrift „Limitationen und Fazit“:

„Da für einen Teil [sic] der COVID-19-Fälle die Angaben zum Impfstatus fehlen oder unvollständig sind, können damit nicht alle [sic] COVID-19-Fälle in die Analysen einbezogen werden.“ Auf eine Angabe zur Größe des „Teils“, bei dem „die Angaben… fehlen oder unvollständig sind“, verzichtete man. Stattdessen hieß es weiter: „Die Nichtberücksichtigung von Fällen mit fehlenden Angaben zum Impfstatus führt zu einer Unterschätzung der Inzidenzen der Fälle sowohl in der vollständig geimpften wie auch in der ungeimpften Bevölkerung. Auf die Schätzung der Impfeffektivität hätte diese Unvollständigkeit der Daten nur dann einen Einfluss, wenn der Anteil der Geimpften unter den Fällen mit unbekanntem Impfstatus höher oder niedriger wäre als unter den Fällen mit bekanntem Impfstatus.“ – Also, alles paletti mit der „Schätzung der Impfeffektivität“.

Zahlenversteckspiel

Trotzdem hätte das RKI die Größe der „Limitation“ hier schon angeben können, wenn es denn gewollt hätte – wollte es aber nicht. Stattdessen findet man die Größe des Datenlochs auf Seite 22 unter der Überschrift „Inzidenzen der symptomatischen und hospitalisierten COVID-19-Fälle nach Impfstatus“. Dort heißt es zu einer grafischen Darstellung der Inzidenzen: „Für den in Abbildung 18 dargestellten Zeitraum lagen für 919.910 der 1.100.854 (84 %) übermittelten symptomatischen COVID-19-Fälle bzw. für 53.170 der 80.147 (66 %) übermittelten hospitalisierten COVID19-Fälle ausreichende Angaben zum Impfstatus vor.“ Datenstand wie bei der Impfstoffeffektivität zuvor: „14.12.2021“

Wochenbericht des RKI vom 16. Dezember 2021, Seite 22 (Screenshot RKI-Wochenbericht 16.12.2021; die beiden Prozentzahlen wurden nachträglich unterstrichen)

Zwar bezieht sich die sogenannte „Schätzung“ der Impfstoffeffektivität (Seiten 24) auf die Meldewochen 47 bis 50 und die Abbildung der Inzidenzen (Seite 22) auf die Meldewochen 28 bis 48 (bzw. auf die Daten der Meldewochen 27 bis 49, weil es eine Wochen-Inzidenz ist). Allerdings kommt die überwiegende Masse der Corona-Fälle in beiden Segmenten ehe aus den Wochen ab Oktober, das heißt aus den Kalenderwochen ab der 43. Und diese Masse-Wochen bestimmen die Daten sowohl im Zeitraum 47 bis 50 wie 28 bis 48.

'Nicht alle' kann auch 'ein Dritte fehlt' bedeuten

Nach dieser recht komplexen Vergewisserung weiß man dann als Leser des RKI-Wochenberichts, dass der „Teil der COVID-19-Fälle“, bei denen „die Angaben zum Impfstatus fehlen oder unvollständig sind“, in etwa 16 bis 34 Prozent umfasst – je nachdem, ob die Fälle oder die Hospitalisierten betroffen sind. Darüber hinaus weiß man nun noch, dass eine Datenlücke von bis zu 34 Prozent in der streng wissenschaftlichen Orthodoxie des RKI auch mit „nicht alle“ umschrieben werden kann. „Nicht alle“ kann also beim RKI auch bedeuten, dass man nur zwei Drittel von „allen“ hat.

Misstrauisch geworden nach diesem Daten-Schnitzeljagd-Versteckspiel könnte man nun noch nach den Prozenten von den Datenlücken zur Impfstoffeffektivität bei den Intensivpatienten und den Verstorbenen suchen … zumindest der Autor dieser Zeilen war nicht in der Lage, diese Aufgabe zu meistern.

'Schutz vor Hospitalisierung' nur mit 65 Prozent der Daten

Trotz derartiger „Limitationen“ im eigenen Datenmaterial stellte das RKI in seinem Wochenbericht vom 11. November recht knackig und zitierfähig für Medien, Bundes- und Landtagsdebatten oder auch für Klagen gegen eine mögliche allgemeine Impfpflicht fest:

„Geschätzte Impfeffektivität gegen weitere COVID-19-assoziierte Endpunkte für den Zeitraum der letzten vier Wochen (41.-44. KW):

– Schutz vor Hospitalisierung: ca. 88 % (Alter 18-59 Jahre) bzw. ca. 85 % (Alter ≥60 Jahre)

– Schutz vor Behandlung auf Intensivstation: ca. 93 % (Alter 18-59 Jahre) bzw. ca. 90 % (Alter ≥60 Jahre)

– Schutz vor Tod: ca. 92 % (Alter 18-59 Jahre) bzw. ca. 87 % (Alter ≥60 Jahre)“

Inzwischen hat man die textliche Feststellung der offiziellen Schutzwirkung der Corona-Impfung in Grafiken überführt. So schaut man nun etwa im Wochenbericht vom 23. Dezember auf vier saubere Grafiken (S. 27), ohne auch nur zu ahnen, dass das RKI zur dort dargestellten Kurve der „Hospitalisierungen“ nicht mal zwei Drittel der nötigen Daten hatten (65 %). Denn das steht irgendwo fünf Seiten zuvor.

Am Ende der Nahrungskette

Neben der schieren Größe der Datenlücken und ihrem aktiven „Verstecken“ irritiert an den RKI-Zahlen noch Folgendes:

Auch wenn das RKI nur die symptomatischen Fälle und die Bundesländer alle Fälle (also sowohl die symptomatischen als auch die asymptomatischen) zählen: Wieso hat ausgerechnet eine Bundesbehörde, die am Ende der Datenmeldekette steht, mehr Daten zum Impfstatus der Bürger als die Bundesländer direkt vor Ort?

Bei wie vielen Corona-Fällen der Impfstatus im Bund (RKI = symptomatische Fälle) und in den Ländern (= symptomatische und asymptomatische Fälle) bekannt ist.

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Der Autor ist in der Medienbranche tätig und schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: monticello/Shutterstock
Text: Gast

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