Es sind die Zwischentöne, die oft mehr sagen, als alles andere. So habe ich das in meiner Journalistenausbildung gelernt. Und daran musste ich auch heute denken auf der Bundespressekonferenz. Als Merkels Sprecher Steffen Seibert in einer Antwort auf eine Frage nach möglichen Beschlüssen bei der nächsten Konferenz von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten am 25. Januar einen Nebensatz aussprach, der mich sofort aufhorchen ließ: „Wir haben im Moment immer noch eine Situation, was die Datenlage betrifft, die durch die Feiertage, den Jahreswechsel, die niedrige Zahl von Testungen und so weiter beeinflusst ist und noch nicht wirklich das präzise Bild gibt, wo wir in dieser Pandemie stehen.“
Wie bitte? Bund und Länder haben massivst in die Freiheiten von 83 Millionen Menschen eingegriffen, haben Teile der Wirtschaft stillgelegt, Kinder um ihre Schule gebracht und das alles zu einem Zeitpunkt, wo sie noch kein „präzises Bild“ hatten, „wo wir in dieser Pandemie stehen“? Wie kann das sein? Wurde dann einfach auf Mutmaßung entschieden? Im Blindflug? Ich wartete brav, bis ich an der Reihe war, und stellte dann genau diese Fragen. Die Antwort von Seibert können Sie sich hier in meinem aktuellen Video ansehen – unten finden Sie die entsprechende Passage im Wortlaut.
Es ging noch weiter. Ich fragte, ob die Bundesregierung angesichts der von ihr geschilderten Tragik der Pandemie dann nicht Versäumnisse zu verantworten habe, wenn sie nicht sicherstellen konnte, dass über Weihnachten und Neujahr ausreichend Daten erhoben werden. Die Antwort empfand ich als ausweichend, auch sie ist im Video zu sehen und wird später hier ergänzt.
Der Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Hanno Kautz, fügte in seiner Antwort hinzu, „es gibt keine Unschärfe“. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass er damit seinem Regierungssprecher widerspreche, der ja gerade eben eingeräumt hatte, „kein präzises Bild“ zu haben – genau das sei doch eine Unschärfe. Kautz betonte, er habe Seibert damit nicht widersprochen. Auch das ist unten im Wortlaut nachzulesen.
Auf meine Frage, warum die Bundesregierung einerseits betone, man wisse noch gar nicht, ob Impfungen vor Corona-Übertragungen schützen, und nun andererseits in einer Musterverordnung für Geimpfte weniger Freiheitsbeschränkungen vorsieht, antwortete Kautz, die Musterverordnung sei noch in der Beratung. Dabei wurde sie etwa in Hessen bereits umgesetzt (siehe hier). Details ebenfalls unten im Wortlaut.
Ebenso interessant ist, dass die teure und hoch gelobte Corona-App laut Seibert bisher erst von 200.000 Menschen genutzt wurde, um ein positives Testergebnis dort zu melden. Spahn-Sprecher Kautz fügte noch hinzu, man wisse noch gar nicht, welche Nähe für eine Ansteckung ausreiche.
Die gesamte Bundespressekonferenz finden Sie hier auf Phoenix. Meine Frage nach der linksextremen Demonstration in Berlin, bei der am Wochenende die Corona-Auflagen massiv missachtet und die Polizei angegriffen sowie Bilder von Lenin, Stalin und Mao gezeigt wurden und verbotene FDJ-Symbolik, finden Sie hier oder unten im Wortlaut. Ebenso wie meine Frage in Sachen Meinungsfreiheit in den sozialen Netzwerken.
Kollege Gernot Heller fragte: „Ist für die Bundesregierung bei weiter hohen Infektionszahlen ein Herunterfahren der Wirtschaft eine Option?“
Seibert antwortete: „Diese Frage hatten wir ja letzte Woche schon. Wir haben jetzt einen ganzen Satz von Beschlüssen aus dem Treffen von Bund und Ländern am 5. Januar, die die Beschlüsse, die im Dezember galten, zum Teil fortschreiben und zum Teil an einigen wichtigen Punkten sogar noch verschärft haben, weil die Situation dies leider notwendig macht. Bund und Länder haben miteinander besprochen, am 25. Januar wieder zusammenzukommen, um im Lichte der Infektionslage, wie sie sich dann darstellt, und der Entwicklung der Zahlen zu beraten, wie es weitergeht. Ich kann und werde jetzt nicht Einzelmaßnahmen diskutieren, die dann möglicherweise Thema sind, sondern will, wie gesagt, den 25. abwarten. Wir haben, was die Datenlage betrifft, im Moment immer noch eine Situation, die durch die Feiertage, den Jahreswechsel, die niedrigere Zahl von Testungen usw. beeinflusst ist, und es gibt noch nicht wirklich das präzise Bild, wo wir in dieser Pandemie stehen. Das brauchen wir, um dann am 25. weitere Entscheidungen zu treffen.“
Ich hakte nach, sobald ich drankam: „Herr Seibert, eine Verständnisfrage: Sie haben gerade auf die Frage nach der aktuellen Einschätzung im Hinblick auf die Weihnachtstage geantwortet, es gebe kein präzises Bild, wo wir in dieser Pandemie stehen. Da bin ich jetzt doch sehr überrascht: Man hat die Wirtschaft heruntergefahren, was schwerwiegende Folgen für 83 Millionen Menschen hatte, und eine Woche danach sagen Sie, man habe kein präzises Bild, wo wir stehen. Ist man dann sozusagen auf Verdacht vorgegangen? Wie begründet man solche einschneidenden Maßnahmen, wenn man kein präzises Bild hat?“
Darauf Seibert: „Es ist auch die Haltung der Wissenschaftler, dass wir aufgrund der von mir genannten Umstände Feiertage, Jahreswechsel, geringere Zahl von Tests usw. heute nicht davon ausgehen können, dass die Infektionszahlen, die wir derzeit vom RKI gemeldet bekommen, schon das komplette Bild abgeben. Das ist nicht meine Erfindung, sondern das ist etwas, was von vielen Wissenschaftlern und vom RKI selber so dargestellt wird und auch hier an dieser Stelle so dargestellt wurde ich weiß nicht, ob Sie bei der Pressekonferenz dabei waren. Das ist das, was ich gesagt habe.“
Das, was wir aber derzeit sehen, nämlich die sehr hohen Zahlen, die täglichen Todeszahlen, die sehr hohe Zahl der Auslastung von Intensivstationen 5500 Menschen müssen derzeit in Intensivstationen behandelt werden , zeigt uns, dass wir in einer ganz, ganz schwierigen Phase sind. Daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben.
Hinzu kommen die Meldungen über das mutierte Virus, das noch nicht auserforscht ist, von dem man aber jetzt schon annehmen muss, dass es eine deutlich höhere Infektiosität in sich trägt offensichtlich keine größere Gefährlichkeit, aber eine höhere Infektiosität; das ist das, was uns die Wissenschaftler bisher sagen. Damit erklärt sich der enorme Anstieg, der ganz steile Anstieg der Infektionszahlen in Ländern wie Großbritannien, Irland und sonst wo. Wir haben bereits erste Spuren dieses Virus auch in Deutschland gefunden, so wie andere Länder auch bei sich erste Spuren gefunden haben. Es muss unser dringendes Interesse sein, dass wir die Zahlen ganz, ganz stark herabdämmen können, damit diese Virusmutante hier nicht dominant wird und nicht in Deutschland das anrichtet, was sie in anderen Ländern angerichtet hat.
Das ist die Situation. Die Analyse der Wissenschaftler ist: Mitte des Monats um den 17. herum, wurde gesagt werden sich all diese Effekte, die Sondereffekte aus dem Jahreswechsel und den Feiertagen, sozusagen ausbalanciert haben, und dann wird man sehr viel klarer sehen, was die Zahlen wert sind. Es gibt aber absolute Zahlen: Das sind die Zahlen der Toten, das sind die Zahlen der belegten Intensivbetten. Diese sprechen für eine sehr, sehr ernste Lage.“
Hanno Kautz, Sprecher des Gesundheitsministerium, ergänzte: „Ich darf das kurz mit konkreten Zahlen ergänzen, Herr Reitschuster. Wir haben momentan 343 Todesfälle am Tag. Anfang November war es die Hälfte, 151. Wir haben zurzeit 5320 COVID-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung. Anfang November war es die Hälfte, 2300. Wir haben zurzeit rund 4000 freie Intensivbetten. Anfang November waren es doppelt so viele, fast 8000. Das zeigt die Situation. Nicht eingepreist ist dabei, dass das aufgrund des Jahreswechsels dann eventuell noch weiter nach oben geht.“
Ich fragte nach: „Ich denke, es leuchtet ein, dass man in einer Pandemie ein präzises Bild haben muss. Sehen Sie da dann Versäumnisse, dass die Bundesregierung und auch die Länderregierungen nicht gewährleisten konnten, dass man über Weihnachten diesen Verzerreffekt herunterfährt, also doch mehr in Betrieb hält, damit man auch über Weihnachten ein präzises Bild in einer Pandemie bekommt. Denn es ist ja keine schöne Lage, wenn in so einer kritischen Situation kein präzises Bild vorhanden ist.“
Darauf Kautz: „Die ganzen Zahlen müssen sie in der Entwicklung sehen, und die Zahlen konnte man – zugegebenermaßen mit einer gewissen Unschärfe – auch über den Jahreswechsel erkennen; da wurden ja auch Infektionen gemeldet. Es gibt momentan keine Unschärfe. Die Unschärfe ergibt sich vielmehr allein daraus, dass man momentan sagt: Wir wissen noch nicht, wie sich der Jahreswechsel auf die Infektionszahlen ausgewirkt hat. Die Infektionszahlen und auch die Zahl der Krankenhauseinweisungen zeigen sich eben mit einem Verzug. Das ist so; so etwas nennt man zum Beispiel Inkubationszeit.“
Ich hakte nach: „Aber jetzt widersprechen Sie ja Herrn Seibert, der gesagt hat, es gebe kein präzises Bild. Sie sagen, es gebe keine Unschärfe. Das ist doch ein ganz klarer Widerspruch.“
Die Antwort von Kautz: „Nein, ich widerspreche Herrn Seibert überhaupt nicht. Genau das ist ja damit gemeint: Dass man erst dann richtig sehen kann, was zum Jahreswechsel passiert ist, wie viele Leute sich getroffen haben, wer sich angesteckt hat, wer einen schweren Verlauf in seiner Krankheit hat. Das können Sie erst später sehen. Das ist gemeint.“
Zum Thema Impfungen fragte ich Kautz: „Am 28. Dezember hat Frau Demmer hier gesagt: Wir wissen, dass die Impfung die geimpften Personen schützt, aber wir wissen nicht, ob sie auch vor einer Ansteckung anderer schützt. Nun gibt es diese Muster-Verordnung die gibt es ja , und die Bundesregierung hat hineingeschrieben sozusagen geplant: Bei einer Impfung gibt es eine Aussetzung von Freiheitsbeschränkungen. Gibt es jetzt andere Erkenntnisse als die, die Frau Demmer am 28. Dezember vorgetragen hat, oder warum ändert man die Herangehensweise innerhalb von zwei Wochen?“
Die Antwort von Kautz: „Diese Verordnung ist momentan noch im Gespräch. Die Ausnahme, von der Sie gerade geredet haben, ist noch in Abstimmung. Aber ich kann Ihnen sagen, dass es, wie Sie vorhin formuliert haben, noch nicht wissenschaftlich ausreichend untersucht ist, ob jemand ansteckend ist, wenn er geimpft worden ist.“
Ich fragte nach: „Sie sagten, die Muster-Verordnung sei noch nicht in Kraft. Einverstanden. Aber Sie ist ausgearbeitet worden. Haben sich die Ministerien also geirrt? Wenn sie trotz fehlender Kenntnis über den Schutz von Geimpften bei der Übertragung so etwas in eine Muster-Verordnung aufnehmen, dann ist das ja ein Widerspruch.“
Kautz: „Nein. Diese Muster-Verordnung, die Einreiseverordnung ist nicht ausgearbeitet. Sie ist im Gespräch.“
Das Innenministerium fragte ich: „Am Wochenende gab es in Berlin anlässlich des Todestages von Rosa Luxemburg eine Demonstration mit rund 2000 Teilnehmern. Dort wurden verfassungsfeindliche Symbole gezeigt. Zum einen wurden Bilder von Stalin, Mao, Lenin und anderen Massenmördern gezeigt, zum anderen FDJ-Fahnen. Zuerst hat die Polizei durchgegriffen. Es hieß, das sei verboten. Dann gab es aber doch Zweifel, und die Polizei hat nicht mehr durchgegriffen. In den Medien hieß es, das sei unklar. Haben Sie Erkenntnisse, wie es mit diesen FDJ-Symbolen, also der Jugendorganisation der SED, aussieht? Generell: Gibt es irgendwelche Pläne, kompromittierte kommunistische Symbolik zu verbieten, wie das bei rechtsextremer Symbolik der Fall ist? Danke.
Darauf antwortete Seehofers Sprecher Steve Alter: „Zunächst einmal kann ich Ihnen zu dem konkreten Einsatz keine Angaben machen. Was die Entscheidungsprozesse angeht, die dort stattgefunden haben, sind mir nur die Dinge bekannt, die auch in den Medien nachzulesen sind.“
Ein weiteres Thema auf der Bundespressekonferenz war die Sperrung des Twitter-Accounts von Donald Trump.
Ein Kollege fragte: „Herr Seibert, wie bewertet die Bundesregierung die Sperrung des Twitter-Kontos von Donald Trump? Sollte es in Deutschland gesetzliche Regeln geben, die die Sperrung offizieller Accounts der Bundesregierung regulieren oder sogar verbieten?“
Dazu Seibert: „Ich will ganz grundsätzlich sagen, dass die Bundesregierung überzeugt ist, dass die Betreiber sozialer Netzwerke sehr hohe Verantwortung tragen. Sie tragen hohe Verantwortung dafür, dass die politische Kommunikation nicht durch Hass, Lüge oder Anstiftung zur Gewalt vergiftet wird. Es ist auch richtig, nicht tatenlos zuzusehen, wenn auf bestimmten Kanälen Inhalte gepostet werden, die in diese Kategorien fallen. Deswegen ist es richtig, wenn Anmerkungen gemacht werden und was man an Praktiken in den letzten Wochen und Monaten alles sozusagen noch sah.
Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht von elementarer Bedeutung. In dieses Grundrecht kann eingegriffen werden, aber entlang der Gesetze und innerhalb des Rahmens, den der Gesetzgeber definiert, und nicht nach dem Beschluss der Unternehmensführung von Social-Media-Plattformen. Unter dem Aspekt sieht die Bundeskanzlerin es als problematisch an, dass jetzt die Konten des US-Präsidenten dauerhaft gesperrt wurden.
Ich frage nach: „Herr Seibert, Sie haben jetzt zwei sehr wichtige Dinge gesagt. Sie haben von einer hohen Verantwortung der Betreiber bei Hassrede gesprochen, wie Sie das nennen. Auf der anderen Seite haben Sie gesagt, dass es nur juristisch durchgesetzt werden kann. Ich sehe da einen großen Spalt. Wie kann man das abwägen? Wo ist die Grenze, wo der Betreiber selbst entscheiden soll, und wo ist die Grenze, wo nur noch ein Gericht entscheiden kann? Prinzipiell gilt ja, dass Meinungsfreiheit nur durch gerichtlichen Beschluss beschränkt werden kann.“
Darauf Seibert: „Das sind Abwägungen in einem Spannungsfeld, die ich hier ganz sicherlich nicht pauschal vornehmen kann.
Ich habe gesagt, dass die Komplettsperrung des Accounts eines gewählten Präsidenten aufgrund des Beschlusses von Unternehmensführungen problematisch ist. Ganz problematisch und ganz grundsätzlich problematisch ist natürlich, was es zum Teil an lügenhaften, an verfälschenden und gewaltfördernden Tweets und Posts insgesamt gibt. Deswegen ist man in dieser Abwägung ständig herausgefordert. Aber es ist richtig, dass der Staat der Gesetzgeber dazu einen Rahmen setzt.“
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Bild: Screenshots Phoenix/Youtube
Text: br