Von Ekaterina Quehl
Dass manche Corona-Regeln stark die Menschenwürde angreifen, ist nicht zu übersehen. Kinder müssen oft unter unerträglichen Bedingungen lernen, pflegebedürftige Menschen in Altenheimen dürfen teilweise keine normalen Besuche von ihren Nächsten bekommen, Menschen mit Masken-Befreiungsattest werden gemobbt und beleidigt. Seit kurzem können zudem in den Genuss von vielen persönlichen Freiheiten, etwa einem Kino- oder Friseurbesuch, nur bestimmte Personengruppen kommen: Menschen, die getestet, geimpft oder genesen sind. Und dennoch denkt man, manche Lebensereignisse gebieten so viel Pietät, dass sie außerhalb jeglicher Einschränkungen liegen müssen, um diese Pietät nicht zu verletzen. Zu diesen Lebensereignissen gehören auch Tod und Abschied von einem lieben Menschen. Doch selbst hier scheint die Grenze der Menschenwürde in Deutschland 2021 überschritten zu sein.
Der Berliner Senat hat am 4.6.2021 mit sofortiger Wirkung beschlossen, dass zu Trauerfeiern bzw. Bestattungen nur noch Hinterbliebene zugelassen werden, die in Bezug auf Corona getestet, geimpft oder genesen sind. Nach den Informationen eines Bestatters, die reitschuster.de vorliegen, müssen die Kontrolle der Einhaltung dieser Regel die Bestatter selbst durchführen. Sie gelte berlinweit und werde bereits durch die Friedhofsverwaltung Treptow-Köpenick direkt umgesetzt. Die Bezirke seien aber befugt, die Regelung noch nachzuschärfen. So ist die Verwaltung des Zentralfriedhofs Treptow-Köpenick noch weiter gegangen: Sie erlaubt den Zutritt für Hinterbliebene zum Friedhof nur noch mit Test, Impfnachweis oder einem Nachweis als Genesener. Wenn also eine ältere Dame das Grab ihres Mannes besuchen möchte, muss sie nachweisen, dass sie getestet, geimpft oder genesen ist.
Auf die Frage, ob die gesammelten Daten an die zuständigen Behörden übermittelt werden sollen, konnte der Bestatter gar nicht antworten. Es heißt, man solle zunächst sammeln. Bis vor kurzem wurden Mitarbeiter ohnehin verpflichtet, persönliche Daten der Hinterbliebenen zu dokumentieren. Allerdings wurden diese Daten von niemandem angefordert und es geschah auch nichts mit den Daten. Zum Nachverfolgen möglicher Infektionsketten habe die Datenerfassung auch nichts gebracht, weil es offensichtlich niemals eine Infektionskette gegeben habe.
Warum diese neue Regelung überhaupt notwendig ist und warum sie gerade jetzt beschlossen wurde, während in vielen Lebensbereichen massiv gelockert wird, ist völlig unklar. Trauergäste dürfen sich ohnehin nur im Freien aufhalten und müssen Abstände und sonstige Hygieneregeln einhalten.
Insgesamt herrschen seit Anfang der Pandemie absurde Regeln für Beerdigungen, so der Bestatter. Der Sarg müsse immer in der Kapelle bleiben, währenddessen alle Trauergäste draußen stehen müssen. Um trotz dieser Regeln Trauerfeiern etwas würdiger zu gestalten, haben die Bestatter versucht, Außenbeschallungsanlagen für Trauerreden und Musik aufzustellen, doch selbst das wurde unter dem Vorwand, „es könnte zu Zusammenrottungen kommen“, nicht genehmigt.
Absurder kann man sich das kaum vorstellen: Eine Regel, die die Menschenwürde massiv antastet, die aber in sich keinen Sinn macht, weil die Situation, mit der sie begründet wird, so gut wie niemals eintreten kann.
Auf die Frage, wie die betroffenen Menschen auf diese Regel reagieren, sagte der Bestatter, dass sie in ihrer Lage völlig überfordert seien und alle Einschränkungen und Restriktionen stillschweigend hinnehmen.
Berufsverbände und Innungen setzen sich nach Angaben des Bestatters nicht genug für Bestattungsinstitute ein. Es bleibt für sie nichts anderes übrig, als die Regeln mitzumachen und die Öffentlichkeit zu suchen.
Auf meine Anfrage bei der Friedhofsverwaltung zu der neuen Regelung und deren Umsetzung vom 8.6.2021 (siehe unten) bekam ich bis jetzt keine Antwort.
Man stelle sich nur die ältere Dame vor, die nicht zum Grab ihres Mannes gelassen wird, weil sie einfach nur gesund ist, währenddessen Politiker auf dem G7-Gipfel laut „Kamera-Aus“-Bildern aus dem Internet mit ihren eigenen Regeln sehr umstritten umgehen und ihre Ignoranz gegenüber denjenigen, von denen sie fordern, diese einzuhalten, nicht zu überbieten ist. In Deutschland 2021 kommt man sich vor wie in einer psychiatrischen Anstalt, in der Ärzte ihre Patienten zwingen, mit den Armen um sich herum zu winken, um sich vor Löwen zu schützen. Die Wirkung der Therapie begründen sie damit, dass es eben keine Löwen in Sichtweite gibt. Die Frage ist nur, wer hier Patienten und wer Ärzte sind, und wie lange sie alle bereit sind, für den Kampf mit unsichtbaren Löwen ihre rudimentären Freiheiten aufzugeben.
Hier die Presseanfrage vom 8.6.2021 – bis heute unbeantwortet.
Sehr geehrte Damen und Herren,
gestatten Sie mir eine Presseanfrage. Uns liegt die Information eines Bestattungsinstituts vor, dass zu den Trauerfeiern bzw. Bestattungen nur noch Hinterbliebene zugelassen werden, die in Bezug auf eine SARS-CoV-2-Infektion geimpft, getestet oder genesen sind, und dass die Kontrolle inkl. schriftliches Dokumentieren durch die Bestatter selbst durchgeführt werden soll. Demnach soll die Umsetzung durch die Friedhofsverwaltung Treptow-Köpenick durchgeführt werden.
Die gleiche Einschränkung soll nach diesen Informationen auch für die Besucher des Zentralfriedhofs Friedrichsfelde gelten. Können Sie mir diese Informationen bestätigen? Falls ja, könnten Sie mir die geltende Rechtsgrundlage für diese Regeln mitteilen?
Besten Dank im Voraus und freundliche Grüße
Ekaterina Quehl
reitschuster.de
Nachtrag 18.06.2021:
In der ab heute geltenden neuen Verordnung wurde die Testpflicht-Regel für Hinterbliebene nun abgeschafft. Hier heißt es nun in §11, Abs. 6 wie folgt:
„Bestattungen und Trauerfeiern auf Friedhöfen oder bei Bestattungsunternehmen unterliegen nicht den Personenobergrenzen nach Absatz 2.“
In § 11, Abs. 8, der sich in seinen ersten beiden Sätzen auf die Testpflicht bei Veranstaltungen bezieht:
„Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Veranstaltungen nach Absatz 6.“
Das bedeutet, dass für Hinterbliebene auf Trauerfeiern keine Testpflicht mehr besteht.
. Namentlich gekennzeichnete Beiträge von anderen Autoren geben immer deren Meinung wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin, und lebt seit über 16 Jahren in Berlin. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Mit 27 kam sie nach einem abgeschlossenen Informatik-Studium aus privaten Gründen nach Berlin und arbeitete nach ihrem zweiten Studienabschluss viele Jahre als Übersetzerin, aber auch als Grafik-Designerin. Mittlerweile arbeitet sie für reitschuster.de und studiert nebenberuflich Design und Journalismus.
Bild: Alan Sau/ShutterstockText: eq
Mehr von Ekaterina Quehl auf reitschuster.de
[themoneytizer id=“57085-1″]