Volkswagen will mit an den Koalitionstisch Autobauer fordert Richtlinienkompetenz bei Regierungsbildung

Von Alexander Wallasch

Ist es eigentlich zu viel verlangt von einem der größten Autobauer der Welt, einfach nur Autos zu bauen, Produkte zu präsentieren, die vom Kunden aus diesen oder jenen Gründen besonders geliebt werden? Für jemanden, der wie der Autor hier die DNA von Volkswagen über die bei Volkswagen beschäftigte Familie über die Muttermilch inhaliert hat, sind die neuesten gewerkschaftlich forcierten und von der Geschäftsführung des Konzerns willfährig als Wunschzettel annoncierten „Gedanken“ zur zukünftigen Bundesregierung irgendwas zwischen Katastrophe und Unverschämtheit.

Zunächst über das interne Kommunikationsnetz hat Konzern-Chef Herbert Diess gestern zehn Wünsche an die potentiellen Regierungskoalitionäre versandt. Vorschläge, welche viele der dreihunderttausend Mitarbeiter nervös gemacht haben dürften.

Einige erinnern sich sicher noch an die Einmischung des ehemaligen Chefs von Mercedes, Dieter Zetsche, als der 2015 der Bundeskanzlerin anreichte und gegen jeden vernunftbegabten Gedanken fabulierte, die Massenzuwanderung könne ein neues deutsches Wirtschaftswunder auslösen.

Jetzt also der nächste Autobauer mit möglicherweise verheerenden Irrungen und Wirrungen und einer ungeheuerlichen Einmischung in die Koalitionsverhandlungen und nicht zuletzt in das Votum der Wähler, das Volkswagen-Diess hier im Nachgang einseitig stimulieren will. Mal ganz davon abgesehen, was Diess hier besonderes Leichtsinniges seinen Mitarbeitern gegenüber veranstaltet, denen gegenüber er in der Verantwortung steht, mindestens ebenso wie seinen Aktionären.

Herbert Diess verkündet also in seinem Volkswagen-Intranet, er hätte zehn Wünsche für die Koalitionsverhandlungen. Dabei betont er, wie er schreibt, „klimapolitische Reformen und die Bedeutung der Digitalisierung“. Man ahnt, woher diese überaus fragwürdige Intervention in den demokratischen Prozess herrührt:

Die großen Konzerne mussten im vergangenen Jahrzehnt eine Reihe von empfindlichen, der politischen Korrektheit geschuldeten Eingriffe in ihre Geschäftsführung über sich ergehen lassen. Sie mussten sich Konzerngrundsätze auferlegen, die nicht selten wie Ablassbriefe an den politischen Zeitgeist klingen. Wo aber so massiv bis ins Detail der Mitarbeiterführung in die Geschicke der Unternehmen eingegriffen wird, muss sich niemand wundern, wenn die Konzernlenker sich nun ihrerseits anmaßen, weit über ihren natürlichen Auftrag hinauszugehen, nämlich einfach nur Waren zu produzieren, die dem Kunden gefallen.

So war es bisher idealerweise: Der Staat reglementiert, der Unternehmer produziert und hält sich dabei an die Regeln – das sind die verlässlichen Eckpfeiler, nicht mehr und nicht weniger.

Herbert Diess schreibt dessen vollkommen ungeachtet: „Die Tatsache, dass klimapolitische Reformen und die Modernisierung & Digitalisierung Deutschlands bei den gewählten Parteien weit oben auf der Agenda stehen, ist eine gute Basis für die jetzt beginnenden Koalitionsverhandlungen.“ Und weiter: „Wir haben uns bei Volkswagen bereits im Vorfeld Gedanken gemacht und wünschen uns, dass folgende 10 Punkte in die Verhandlungen mit einfließen.“

Eine Entgleisung, eine Eskalation: Ein Konzern mit 300.000 Mitarbeitern mischt sich aktiv in die Koalitionsverhandlungen ein. Und was Diess will, ist noch viel erschütternder, denn seine zehn Punkte lesen sich, wie mit Robert Habeck im Vorfeld ausgehandelt. Wer bisher glaubte, die FDP würde nun das Zünglein an der Waage geben, der darf diese Mitgift des Autobauers an die Grünen nicht unterschätzen.

Die folgenden zehn Punkte von Herbert Diess müssen hier nicht mehr weiter kommentiert werden, sie sprechen für sich und für eine Entwicklung, die diesem Land schadet, die unseren Wohlstand gefährdet und die vor allem auch der Demokratie Schaden zufügt. Was früher, wenn überhaupt, dann heimlich passierte, scheut jetzt nicht mehr das Licht der Öffentlichkeit. Es lohnt, jetzt genau hinzuschauen, wie die Politik auf diese ungeheuerliche Anmaßung aus Wolfsburg reagiert. Hier nun die zehn Punkte von VW-Chef Herbert Diess, die er den Koalitionären auf den Tisch getackert hat, so wie Luther einst seine 95 Thesen an den Papst ohne Rücksicht auf Verluste an die Wittenberger Schlosskirche genagelt hat. Aber Diess ist nicht Luther, er ist in diesem Moment nur das grüne Lutherchen aus Wolfsburg.

1. CO2-Preis von 65 € pro Tonne schon in 2024. Nur spürbare Maßnahmen bringen die Dekarbonisierung voran.

2. Subventionen für fossile Kraftstoffe beenden. Ausstieg aus der Kohle deutlich vorziehen.

3. Ausbau der erneuerbaren Energien auf mindestens 255 GW in 2030. 24/7 Grünstrom durch schnelleren Netzausbau.

4. Förderung von Dienstwagen auf Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb fokussieren.

5. Kaufprämie für Elektrofahrzeuge beibehalten und bis 2025 schrittweise verringern.

6. Laden wie Tanken: Ladeinfrastruktur für PKW und LKW massiv fördern und ausbauen. Verpflichtende Ziele für Schnellladen festlegen.

7. Grüner Wasserstoff ist kostbar und energieintensiv. Wird dringend benötigt für grünen Stahl und für Dekarbonisierung von Industrien wie Chemie und Zement.

8. Städte lebensfähig machen. Förderung für Fahrräder, E-Bikes und elektrifizierte Carsharing-Dienste ein Muss. Ridepooling dem ÖPNV gleichstellen.

9. Fairen und sicheren Zugang zu Fahrzeugdaten jetzt regeln. Fahrzeug- und Cybersicherheit gewährleisten.

10. Autonomes Fahren ist unsere Zukunft – dafür flächendeckend 5G.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

Bild: Shutterstock
Text: wal

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