Von Kai Rebmann
Gegen technischen Fortschritt ist grundsätzlich nichts einzuwenden, geht er in den meisten Fällen doch auch mit einer Steigerung des allgemeinen Wohlstands einher. So war es zumindest bis etwa um die Jahrtausendwende. In den letzten ein, zwei Jahrzehnten sehen wir hingegen eine exponentielle Zunahme dessen, was uns gerne noch immer als „technischer Fortschritt“ verkauft wird – sowohl in Umfang als auch Geschwindigkeit.
Tatsächlich aber ist der Grad zur Technokratie – oder etwas klarer ausgedrückt: hin zum digitalen Überwachungsstaat – ein äußerst schmaler. Obergrenzen für Bargeld bis hin zu dessen vollständiger Abschaffung, monatliches Grundeinkommen gegen den Scan der eigenen Iris oder das anlasslose Sammeln von Bewegungsprofilen auf Handys sind mehr oder weniger bereits Teil unserer Gegenwart.
Barrierefreies Einkaufen? Zutritt nur mit QR-Code und App
Jetzt öffnet der Blick nach Großbritannien das Fenster für ein weiteres Kapitel einer womöglich gar nicht mehr so fernen Zukunft. Auf Youtube kursiert seit Anfang dieser Woche ein Video, aufgenommen irgendwo in London, das den hehren Ansatz vom barrierefreien Einkaufen ad absurdum führt – allerdings auf seine ganz eigene Weise.
Der Urheber des Videos kommentiert aus dem Off: „Schauen Sie sich das an. Sie sind in London. Sie sind auf einer Geschäftsreise. Sie übernachten in Greenwich und Sie möchten etwas zu essen kaufen. Also gehen sie in einen Aldi, zum Beispiel diesen hier. Und Sie denken: Ich werde hier reingehen und etwas zu essen kaufen, damit ich was zu beißen habe. Und dann gehen sie auf die Absperrung zu – und sehen: Ich komme nicht einmal in den Laden hinein, ohne einen QR-Code zu scannen. Nun, für mich sieht das aus wie der Beginn des ‚digitalen Gefängnisses‘, über das wir immer sprechen. Was denken Sie?“
Entstanden sind die verstörenden Bilder vor einem „Aldi Shop & Go“, also einem dieser Supermärkte, in denen selbst an den Kassen schon lange kein menschliches Personal mehr sitzt. Und wer in aller Eile einkaufen und bargeldlos bezahlen will, der soll das in Gottes Namen natürlich auch tun dürfen. Aber wenn die Preisgabe von sensiblen Daten zur ultimativen Voraussetzung für den Zugang zu Lebensmitteln werden soll – wenn bisher auch nur in Einzelfällen – dann ist das definitiv eine andere Liga.
Pilotprojekt bei Aldi
Das Unternehmen „GS1 Germany“ testet bereits einen sogenannten „2D-Barcode“, besser bekannt als QR-Code, auf Produkten in Supermärkten. Dieser soll den bisher bekannten und seit Jahrzehnten etablierten Strichcode wohl eher früher als später ersetzen. Entscheidender „Nachteil“ des Strichcodes: Er liefert „nur“ Informationen zum Preis des betreffenden Produkts.
Mit dem 2D-Barcode soll es möglich werden, den Verbraucher mit „relevanten Inhalten“ über das Produkt zu versorgen, womit etwa Herkunft, Lieferwege oder Haltbarkeitsdatum gemeint sind. Alles Informationen also, die im Wesentlichen auch bisher schon verfügbar sind, wenn auch nur in analoger Form.
Laut „GS1 Germany“ bringt dieses Modell natürlich ausschließlich Vorteile, sowohl für den Kunden als auch den Supermarkt. So soll der 2D-Barcode unter anderem zu „mehr Kundenzufriedenheit“ und einer „stärkeren Kundenbindung“ führen. Der QR-Code wird aktuell im Rahmen eines Pilotprojekts in rund 20 Ländern getestet, in Deutschland nimmt allen voran Aldi mit einigen Filialen daran teil. Mit einem flächendeckenden Einsatz des Systems rechnet „GS1 Germany“ ab dem Jahr 2027.
Wer will – oder kann – ausschließen, dass das Einkaufen in vier Jahren dann in etwa so aussieht, wie es in besagtem Aldi in London mehr oder weniger schon heute Realität ist? Zugang zum Supermarkt per App – zur Identifikation des Kunden muss beim Betreten des Ladens ein QR-Code gescannt werden. Während des Einkaufs müssen alle Produkte mit eben dieser App gescannt und in einem digitalen Warenkorb hinterlegt werden. Das Bezahlen erfolgt völlig bargeldlos – und natürlich ganz bequem – durch den abermaligen Scan eines QR-Codes.
Big Brother weiß dann also sofort, wer was wann wo und zu welchem Preis gekauft hat. Daran werden auch die üblichen Beteuerungen nichts ändern, dass die erhobenen Daten – selbstverständlich – sofort nach dem Bezahlvorgang wieder gelöscht und insbesondere personenbezogene Daten – natürlich – nirgends gespeichert werden.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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