Schattenwirtschaft Chronik einer Krankheit

Corona macht krank, Corona kann töten.

Corona ist schlimm, verändert die Gesellschaft und das Leben. Darüber berichten wir. Geschichten, die es nicht in die Medien schaffen.
Wir geben Zahlen einen Namen und eine Seele. Die Serie „Kollateralschaden“ basiert auf Berichten Betroffener der Coronapolitik. Damit keiner sagen kann: „Das haben wir nicht gewusst!“

Schattenwirtschaft

Ramona: „Lockerungen sind mir doch egal“

Zum ersten Lockdown sperrt Ramona ihren Laden zu. Ganz. Nicht mehr schöne Haare. Ramona war in der Berliner Szene ein Star – in der Szene, beim Stylen und auf der Bühne. Waschen, schneiden. Färben. Meisterbrief, Ausbilderin an der Friseurschule, Travestiekünstlerin. „Der Laden lief wie ein geschnittener Pony.“ Aber Ramona wollte Showstar werden. Und fast hat es geklappt. Sie hatte zwei umjubelte Auftritte, dann kam der komplette Lockdown – für Theater, Konzerte, Kneipen und Gastronomie. Von einer Nacht zur anderen: Lockdown, Karriereende!
Ramona hatte so viel geübt und nun hat sie endgültig fertig. Ramona ist seitdem auf Hartz IV. „Und da bleib ich auch“.

Die Theaterklamotten sind verpackt, die Paillettenkleider unter Folie im Schrank. Ramona arbeitet illegal. Sie ist zu Schere und Färbemittel zurückgekehrt. Passt alles in eine Umhängetasche. Ramona arbeitet für Freunde und Freunde von Freunden. „Ich bin zur Natter geworden, aber DIE werden mein Schlangennest nicht ausheben.“

In der Zeitung stand ein Artikel, dass ein illegaler Friseursalon „ausgehoben“ worden sei. Ausgehoben, wie ein giftiges Schlangennest. „Bei Politikern und TV Stars spricht keiner von „ausheben“. Da wird geföhnt und gemacht…und keinen von denen stört es. Die haben die Haare schön!“ DIE, vor denen Ramona auf der Hut ist, das sind Ordnungsamt, Polizei und all diejenigen, die verbieten und Existenzen vernichten. Ab drei Personen kommt Ramona zum Hausbesuch.

Trotz Ladenöffnung für Haare-Schön-Kollegen: Ramona hat ein volles Terminbuch. Sie lässt ihren Laden zu. „Die kriegen nix mehr von mir“, sagt Ramona, „ich habe kein Vertrauen mehr in Politik und Staat. Ich mach mein Ding.“

Der Wirt in der Schattenwirtschaft: 'Ich will arbeiten!'

Vom Nachmittag bis zum frühen Abend öffnet sich die Tür auf Klopfzeichen. Manchmal sitzen nur drei Gäste da, manchmal sind es zehn. Nur Getränke. „Ich muss meine Vorräte verticken und das sind eh alles Widerstandstrinker“, sagt der Wirt. Na ja, der Mann langweilt sich, muss von was leben und er braucht Gesellschaft. “Ich will keine Staatshilfen! Ich will arbeiten“, sagt der Wirt.

In der Kneipe ist es leise, es brennt nur eine Fadenglühlampe. Die Gäste sitzen vor ihren Gläsern, nicken sich zu. Alle wissen: das ist verboten. Eigentlich. Still sein – nur keine Aufmerksamkeit erregen. Leise dudeln Chansons.

Der Laden ist im Irgendwo in einem Berliner Szeneviertel. Es gibt auch in anderen Großstädten solche „Schattenwirtschaften“. Die Gäste sind vom monatelangen Lockdown zermürbt. Sie vermissen Gespräche, Kontakte. Sie sind teils allein. Seit Monaten. Sie vermissen das Leben. So einfach ist das. Im Dunkeln der illegalen Kneipe treffen sie ihre Bekannten wieder. Sie erzählen vom kleinen Widerstand, wo man die Nägel gemacht bekommt, welcher Trainer zum häuslichen Training kommt, wer seinen Laden aufsperrt, um Kleidung zu verkaufen und so weiter. Die Menschen organisieren sich am Lockdown vorbei. Sie erzählen von Abendessen mit mehr als zwei Personen. Sie erzählen von Bekannten, die pleite oder auf Kurzarbeit sind. Sie erzählen von Existenzen, die verloren gehen, dem ganzen alltäglichen Wahnsinn.
Bezahlt wird bar, Buchführung und Steuerzahlung sind ausgesetzt. Die Gäste verlassen die Kneipe über den Hinterhof. Keiner hat was gesehen. „Das hat gut getan und wir kommen wieder“.

Birthe macht zu: Am Ende bleibt Hartz IV

Birthe hat ein Modegeschäft in einer süddeutschen Universitätsstadt. Der Laden ist zu. Die Fußgängerzone wirkt wie nach einem Neutronenbomben-Angriff. Alle Läden geschlossen. Keine Menschen auf den Straßen. Einige Geschäfte haben im März noch die Weihnachtsdekoration.

Birthe wird den Lockdown nicht überleben. Geschäftlich. Sie hat ihre Stammkunden angemailt oder angerufen. Zur verabredeten Zeit wird die Ladentür geöffnet. „Wenn die Polizei kommt oder das Ordnungsamt, dann sagen die Kunden, sie würden beim Räumen helfen.“ Die Kunden sind interessiert. Sie wollen raus. Die Kunden bringen weitere Kunden mit. Der Bedarf ist da. Birthe macht Ausverkauf. Andere Läden in der süddeutschen Universitätsstadt machen es genauso. Birthe verkauft nur gegen Bargeld. Da taucht nichts in den Büchern auf. „Anders geht das doch gar nicht. Ich wundere mich manchmal, wie selbstverständlich ich den Staat bescheiße.“

In den nächsten Tagen will Birthe zum Friseur gehen. Wenigstens das. Sie sagt „Haare schneiden, das können Zalando und Amazon nicht, Nägel lackieren, das können die auch nicht, Zementsäcke und Gartenzeug werden auch nicht von den Internetfirmen geliefert. Diese Geschäfte dürfen aufmachen. Aber wir Klamottenhöker bleiben zu. Liefert doch alles Amazon. Vielleicht ist das sogar der Plan: macht den Mittelstand platt und pleite“.

Birthe macht zu. Sie hat die Sommerkollektion und die Winterkollektion im Laden. Ware für 50 Tausend Euro. Sie weiß nicht mehr weiter. Sie ist Anfang sechzig. Sie meldet sich an für Hartz IV. Nach 25 Jahren ist der Lebensplan dahin. Die Altersvorsorge wird jetzt aufgebraucht. „Wie würdelos, nach all der erfolgreichen Zeit. Aber wenn es der Volksgesundheit dient….“, sagt sie.

Wer aus seinem beruflichen oder privaten Leben einen „Kollateralschaden“ melden möchte: Vertraulich und persönlich, per E-Mail an [email protected]

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!
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Johanna Wahlig ist Politologin, Journalistin und Unternehmerin. Frank Wahlig ist Historiker und war 30 Jahre lang ARD-Hauptstadtkorrespondent.
 
Bild: privat
Text: Johanna und Frank Wahlig
 

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