Erfahrungsbericht: Als Wahlhelfer in einem Berliner Wahllokal "Manipulationen wären mit etwas Geschick leicht möglich gewesen"

Nach der Chaos-Wahl in Berlin, bei der es an Stimmzetteln und Wahlkabinen fehlte, Wähler teilweise stundenlang warten mussten, auch noch nach Schließung der Wahllokale, hat mich folgender Brief eines Wahlhelfers erreicht – der aus erster Hand von unglaublichen Zuständen erzählt. Ich veröffentliche ihn gemeinsam mit einer Anfrage an den Senat sowie zwei Posts des Freie-Wähler Abgeordneten Marcel Luthe. Der ist nach Umfragen verschiedener Institute einer der bekanntesten und beliebtesten Berliner Landespolitiker – laut Meinungsforschungsinstitut INSA kennt den früheren FDP-Politiker ungefähr jeder zweite Bürger. Von diesen bewerten 12,4 Prozent seine Arbeit mit „sehr gut“. Das Institut Wahlkreisprognose.de sah Luthe gar vor den Fraktionsvorsitzenden der SPD und CDU unter den zehn populärsten Berliner Politikern. Seine „Freien Wähler“ kamen indes nur auf 0,8 Prozent. Das scheint ihm überraschend wenig – und er beklagt massive Unregelmäßigkeiten. So entdeckte eine Reporterin der „B.Z.“ in einem Mülleimer im Hof des Rathauses Charlottenburg Blanko-Stimmzettel für die Zweitstimme zur Abgeordnetenhaus-Wahl – einmal in der Mitte durchgerissen, ebenso räumte der Bezirkswahlleiter inzwischen auch ein, dass Ergebnisse bisher nur geschätzt worden seien. Nach Berichten des RBB gebe es zudem auffallend viele ungültige Stimmen, offenbar weil falsche Stimmzettel verwendet worden seien.

Hier der Bericht des Wahlhelfers (Angaben, die Rückschlüsse auf seine Identität zulassen, sind mit XXXXX ersetzt):

„Ich war mit meinen XX Jahren vergangenen Sonntag zum ersten mal Wahlhelfer. Ich wollte gern einmal wissen, wie so etwas abläuft, und wollte auch etwas aufpassen, daß nicht gemogelt wird.

Eine halbe Stunde nach dem offiziellen Beginn (14 Uhr) waren dann endlich alle Wahlhelfer unseres Briefwahllokals eingetroffen. Nein, nicht alle, eine Wahlhelferin hatte sich schon 4 Wochen vorher abgemeldet, eine andere erschien nicht. Die „Einsatzleitung“ schickte uns dann Ersatzpersonal. Ich reklamierte beim Wahlvorstand, dass direkt vorm Eingang zum Gelände des Wahllokals ein CDU-Wahlplakat am Laternenmast hängt, und bat ihn, das umgehend entfernen zu lassen, da es gegen das Neutralitätsgebot verstösst. Leider wurde das nicht gemacht, auch nach wiederholter Bitte nicht.

Es wurden dann diverse Materialien verteilt, unter denen sich auch ein Bündel Bleistifte für den Schriftführer befand, die dann zeitweise auch benutzt wurden. Noch befremdlicher fand ich dann, dass uns nach einigen vorbereitenden Arbeiten der Wahlvorstand verkündete, daß angeordnet worden sei, dass wir nicht nur Wahlscheine unseres Wahlbezirkes auszählen sollen, sondern auch solche von zwei oder drei Nachbarwahlkreisen. Angesichts der Tatsache, dass sich in diesem Gebäude ca. 20 Räume befanden, die als Wahllokale genutzt wurden und dass jeder dieser Räume exakt für genau einen Wahlkreis deklariert wurde, fand ich das merkwürdig.

Seltsam auch, dass der Schriftführer aus XXXXXX (einem anderen Berliner Bezirk) anreiste und der stellvertretende Wahlvorstand, eine sehr junge Frau, mit einer weiteren Wahlhelferin aus XXXXXX  (einem anderen Berliner Bezirk) anreiste.

Ich hatte Briefwahlunterlagen angefordert, die am Donnerstag eintrafen. Dann entschloss ich mich, doch am Sonntagvormittag in mein Wahllokal zu gehen, und habe dann dort nach ca. 40 Minuten Schlangestehen meine Wahlzettel ausgefüllt und in die Urne geworfen. Niemandem ist aufgefallen, dass ich eigentlich gar nicht hätte wählen dürfen, da ich ja auch noch die Briefwahlunterlagen hatte. Ich habe es dann im Wahllokal erzählt, woraufhin man mich bat, die Briefwahlunterlagen zu zerreißen. Ich hätte sie aber auch ausfüllen und am Nachmittag mit zum Briefwahllokal nehmen können, so hätte ich eine zweite Stimme gehabt.

Insgesamt fand ich den ganzen Ablauf ziemlich schlecht organisiert und chaotisch, Manipulationen wären mit etwas Geschick leicht möglich gewesen, da das Vier-Augen-Prinzip oft nicht angewendet wurde.“

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!
Bild: Screenshot B.Z.
Text: br

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