Von Kai Rebmann
Jetzt hat es auch das Kultusministerium in Baden-Württemberg erwischt, es steht der Vorwurf des Rassismus im Raum, der in diesen Zeiten inflationär um sich greift. Nichts Besonderes, könnte man also denken. Zur Zielscheibe der Kritik der selbsternannten Bessermenschen wurde mit Theresa Schopper jetzt aber ausgerechnet eine ranghohe Politikerin der Grünen, die für gewöhnlich nicht als Erstes mit rassistischem Gedankengut in Verbindung gebracht werden. Als Kultusministerin ist Schoppen unter anderem für die Schulen zuständig und hat damit in letzter Konsequenz auch die Lehrpläne im Ländle zu verantworten.
Und genau dieser Punkt sorgt im Südwesten seit gut zwei Wochen für Schnappatmung, zumindest in bestimmten Kreisen und soweit es die Pflichtlektüren für das Abitur betrifft. Weil ihre Schüler unter anderem Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“ lesen sollen, ließ sich eine Lehrerin beurlauben. Grund: In dem Werk, das im Jahr 1951 erstveröffentlicht wurde, taucht in verschiedenen Varianten fast hundertmal das böse „N-Wort“ auf, zum Beispiel „Neger“ oder „Nigger“.
Jasmin Blunt, die selbst zu den sogenannten „People of Color“ zählt, erklärte in der ARD, dass sie das Lesen der Lektüre für unzumutbar hält, da Schüler und Lehrer dabei wiederholt „rassistischer Diskriminierung ausgesetzt“ würden. Unterstützung erhält die de facto streikende Beamtin von einer an das Kultusministerium gerichteten Petition, die sich der Forderung nach einer Streichung des Romans vom Lehrplan anschließt.
Rassismus-Vorwurf an den Haaren herbeigezogen
Doch wie rassistisch ist „Tauben im Gras“ wirklich? Richtig ist, dass das Thema inhaltlich von großer Bedeutung für den Roman ist. Wer sich jedoch etwas eingehender mit dem Werk auseinandersetzt und nicht sofort beim ersten verdächtig erscheinenden Begriff reflexartig „Rassismus“ ruft, der wird feststellen, dass Koeppen seine Wörter durchaus mit Bedacht gewählt hat, so wie auch andere kreative Köpfe nach ihm.
Denn: An anderen Stellen schreibt der Autor von „Schwarzen“, das „N-Wort“ fällt hingegen vor allem dann, wenn die Protagonisten in direkter Rede zitiert werden. Und deshalb verteidigt das Kultusministerium seine umstrittene Wahl: „Es geht darum, deutlich zu machen, wie Rassismus Gesellschaften prägt – damals in den 50er-Jahren, als der Roman entstanden ist, aber auch heute.“
Marcel Reich-Ranicki nahm „Tauben im Gras“ im Jahr 2001 als einen von insgesamt nur 20 Romanen in seine „Liste lesenswerter deutschsprachiger Werke“ auf. Über das Buch schrieb der Literatur-Papst damals: „An diesem Roman ist nichts kolportagehaft, das ist große Literatur.“ Weiter bezeichnete er Koeppens Werk als „künstlerisch besten deutschen Roman dieser Zeit und dieser Generation“.
Trotz der offensichtlichen Schwächen der Rassismus-Kritik ging das Kultusministerium auf die in den Ausstand getretene Lehrerin zu und bot dieser an, einen anderen Abi-Kurs zu unterrichten. Doch auch davon wollte Blunt nichts wissen: „Für eine solche Institution kann ich dann nicht arbeiten.“ Oder will sie es schlicht nicht?
Kretschmann stellt sich vor seine Ministerin
Inzwischen hat der Zoff um die N-Wörter in Koeppens „Tauben im Gras“ auch die höchsten politischen Ebenen in Stuttgart erreicht. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bekräftigte, dass die Lehrerschaft in Baden-Württemberg „gut vorbereitet und sensibilisiert“ sei, um das Thema mit ihren Schülern zu behandeln. Der Landesvater warnte vor den Konsequenzen, wenn man sich nicht mehr mit Texten aus Zeiten befasse, in denen „andere Maßstäbe gegolten“ hätten.
Kretschmann wählte dabei einen ebenso drastischen wie aber auch anschaulichen Vergleich: „Was passiert zum Schluss mit der Bibel? Mit dem populärsten, meistgelesenen Buch?“ Der ehemalige Gymnasiallehrer hält es bei Lektüren in der Schule vielmehr für entscheidend, mit welcher Grundhaltung jemand an die entsprechenden Texte herangehe: „Alles nur noch vom Jägersitz des 21. Jahrhunderts anzugucken, das kann nur in die Irre führen.“
Ob Jasmin Blunt und die Unterzeichner der Petition gegen Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“ die diesen Ausführungen des Ministerpräsidenten innewohnende Botschaft verstehen werden? Man muss es wohl leider bezweifeln.
Nach meiner Operation muss ich meine Arbeit ruhiger angehen. Dazu haben mich die Ärzte eindringlich aufgefordert. Und ich glaube, das bin ich meinen Nächsten, meinem Team und auch Ihnen schuldig. Umso mehr bin ich Ihnen dankbar für Ihre Unterstützung! Sie ist auch moralisch sehr, sehr wichtig für mich – sie zeigt mir, ich bin nicht allein und gibt mir die Kraft, weiterzumachen! Und sie gibt mir die Sicherheit, mich ein wenig zurücklehnen zu können zur Genesung. Auf dass wir noch ein langes Miteinander vor uns haben! Herzlichen Dank!
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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