Lauterbach-Hammer: Bald jede zweite Klinik in Deutschland dicht? „Uns Karl“ tönt auf Twitter: „Falschmeldung!“

Von Kai Rebmann

Wer kennt sie nicht, die wohl legendärste „Richtigstellung“, die ein Bundesministerium in der jüngeren deutschen Geschichte veröffentlicht hat: „Achtung Fake News! Es wird behauptet und rasch verbreitet, das Bundesministerium für Gesundheit / die Bundesregierung würde bald massive weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens ankündigen. Das stimmt NICHT! Bitte helfen Sie mit, ihre Verbreitung zu stoppen.“

So wurde es am 14. März 2020 auf dem Twitter-Account des Ministeriums verkündet. Was nur wenige Tage danach folgte, ist bekannt: Das Leben, wie man es in Deutschland bisher gekannt hatte, gehörte im wahrsten Sinne des Wortes über Nacht der Vergangenheit an. Nun hat der Hausherr inzwischen zwar gewechselt, glaubwürdiger ist das Bundesgesundheitsministerium seither aber nicht unbedingt geworden, wie die vergangenen eineinhalb Jahre schon gezeigt haben.

Vor diesem Hintergrund ist wohl auch die folgende „Richtigstellung“ zu sehen, die Karl Lauterbach (SPD) am Dienstagabend – natürlich via Twitter – in die Welt gesetzt hat: „Das ist eine Falschmeldung. Ein Anruf der Redaktion hätte das geklärt. Aber das wusste der Redakteur natürlich.“

Bezogen hat sich der Gesundheitsminister damit auf einen Bild-Artikel mit der Überschrift: „Lauterbach plant Kahlschlag: Fast jede zweite Klinik vor dem Aus“. Alles also nur eine Ente des Springer-Blatts? Noch dazu eine vorsätzliche Irreführung der Leser, wie es im Lauterbach-Tweet implizit unterstellt wird?

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Völlig aus der Luft gegriffen scheinen die Ausführungen der Kollegen jedenfalls nicht zu sein. Denn die Idee eines Kahlschlags in der deutschen Klinik-Landschaft treibt Lauterbach wohl schon seit mindestens knapp vier Jahren um. Am 4. Juni 2019 teilte der Rheinländer – richtig, wieder via Twitter – mit: „Jeder weiß, dass wir in Deutschland jede dritte, eigentlich jede zweite Klinik schließen sollten. Dann hätten wir (in) anderen Kliniken genug Personal, geringere Kosten, bessere Qualität und nicht so viel Überflüssiges. Länder und Städte blockieren.“

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Im Unterschied zum Juni 2019, als Lauterbach seine Ideen noch auf der SPD-Hinterbank ausgebrütet hat, bekleidet der Genosse inzwischen aber das Amt des Bundesgesundheitsministers. Und ebenso wie damals scheint dem Bericht zufolge auch heute ein Streit zwischen Lauterbach und den „Ländern und Städten“ im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. Will Lauterbach jetzt also genau das umsetzen, wozu er vor vier Jahren noch nicht in der Lage war?

‚Staatlich organisierter Kahlschlag‘

Wie die „Bild“ erfahren haben will, sollen von den bisherigen 1.719 Standorten genau 689 Standorte wegfallen, also rund 40 Prozent. In einzelnen Bundesländern, etwa in Hamburg oder Schleswig-Holstein, steht offenbar mehr als die Hälfte der Krankenhäuser auf Lauterbachs Streichliste. Kern des Eckpunkte-Papiers, das am Dienstag in einer sogenannten „Kaminrunde“ mit den Gesundheitsministern der Länder besprochen wurde, ist demnach die Umwandlung der betroffenen Einrichtungen in „Level 1i“-Krankenhäuser.

Im Klartext: Dort werden nur noch ambulante Eingriffe durchgeführt, für alle anderen Behandlungen müssen die Patienten in „richtige Kliniken“ überwiesen werden, wie die Kollegen schreiben. Weiter heißt es: „Diese Häuser dürfen dann nicht einmal von einem Notarzt oder Rettungssanitäter angefahren werden!“

Gerd Landsberg scheint diese Befürchtungen zu teilen. Der Präsident des Städte- und Gemeindebundes sieht grundsätzlich zwar ebenfalls erheblichen Reformbedarf, nicht zuletzt aufgrund eines 750-Millionen-Defizits im Klinikwesen, betont aber auch: „Wir müssen die klassische Notfallversorgung wohnortnah sicherstellen. Es darf nicht so weit kommen, dass der Rettungswagen vorbeifährt, nur weil sie heruntergestuft wurden.“

Kommunale und private Klinikverbände sprechen von einem „staatlich organisierten Kahlschlag“ und sehen auf Deutschland vor allem in ländlich geprägten Regionen ein Kliniksterben zukommen.

Wann ist eine Klinik eine Klinik?

Oder entpuppt sich Lauterbachs über Twitter verbreitete „Richtigstellung“ am Ende nur als Streit um Worte? Schließlich schreibt die Bild ja, dass fast jede zweite Klinik „vor dem Aus“ stehe.

Und tatsächlich: Das Wort „Schließung“ taucht im Eckpunkte-Papier des Ministers offenbar nicht auf. Stattdessen heißt es dort zum Beispiel: „Die Länder entscheiden im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die Krankenhausplanung, welchen Krankenhäusern, die ab Inkrafttreten der Krankenhausreform definitorisch dem Level 1i zuzuordnen sind, tatsächlich das Level 1i zugewiesen wird. Dem Level 1i können grundsätzlich nur bestehende Krankenhäuser zugeordnet werden.“

Soll wohl heißen: Die Krankenhäuser schließen nicht, sie hören nur auf, nicht ambulante Behandlungen und Eingriffe durchzuführen. Hat sich Karl Lauterbach das bei seinem Nachbarn am Kabinettstisch abgeschaut? Und es kommt noch besser für den Minister: Am Ende sind nämlich die Träger in den Ländern und Kommunen die Dummen.

Denn faktisch sind sie es, die die Schließungen – nein, die „Herabstufungen“ natürlich – beschließen müssen und damit vor die Wahl zwischen Pest und Cholera gestellt werden. Lassen sie die Kliniken offen, müssen sie schauen, wie sie sie finanziert bekommen; oder sie wandeln sie zur „Level 1i“-Klinik um und müssen den Bürgern vor Ort erklären, dass ihre Notfallversorgung gegebenenfalls nicht mehr gesichert ist.

Fast schon zynisch klingt es da, wenn Lauterbach zum Eigenlob schreitet und von einer „guten Reform“ spricht. Jeder wisse jetzt, „wo die Behandlung stattfinden kann.“ Ein namentlich nicht genannter Verbandschef vertritt jedoch eine ganz andere Meinung: „Das Gegenteil wird für Millionen Deutsche der Fall sein – sie werden vor allem wissen, wo sie nicht mehr stationär behandelt werden: wohnortsnah.“

Und deshalb wird es sich Karl Lauterbach gefallen lassen müssen, dass die Herabstufung von Krankenhäusern, so wie sie offenbar geplant ist, mit einer faktischen Schließung des Hauses gleichgesetzt wird. Es käme wohl auch niemand auf die Idee, noch von einem Supermarkt zu sprechen – oder einem „Level 1i“-Supermarkt – wenn dieser ankündigen würde, demnächst nur noch das Sortiment zu führen, das es früher bei Tante Emma um die Ecke gegeben hat.

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

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