Corona: Gestammel statt Kompetenz in der Regierung Keine Antworten auf entscheidende Fragen

Journalismus ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Vor allem in diesen Tagen. Eine geschlagene Stunde habe ich heute in der Bundespressekonferenz mit Gesundheitsminister Jens Spahn und seinen beiden Behörden-Chefs, dem Leiter des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler und dem Präsidenten des Paul-Ehrlich-Institutes Klaus Cichutek gewartet, bis ich meine Frage stellen konnte. Eine Frage, die nicht nur mir am Herzen liegt. Sondern, wie ich von sehr vielen Zuschriften weiß, auch sehr vielen Leserinnen und Lesern: die psychischen Folgen der Corona-Maßnahmen. Die gerade bei Kindern und Jugendlichen besonders stark sind. Als ich dann nach einer Stunde dran war, bekam ich leider nicht mehr die Möglichkeit zu einer Nachfrage – dabei wäre die entscheidend gewesen. Denn meiner Meinung nach drückte sich der erstaunlich gut frisierte Spahn um eine Antwort herum. Aber lesen Sie es selbst nach (oder sehen Sie es sich hier an):

Meine Frage: „Herr Spahn, Ihr Sprecher hat hier heute vor einer Woche gesagt, es gäbe bislang keine Hinweise darauf, dass sich die Zahl der psychischen Erkrankungen durch die Corona-Krise erhöht hat. Das ist ein Zitat. Diese Hinweise gibt es aber zahlreich in den Medien, bei der ARD zum Beispiel. Die Sprecherin des Familienministeriums hat von 30 Prozent Zunahme gesprochen. Die Frage wäre, warum gibt es diese Widersprüche innerhalb der Regierung? Wie stehen Sie zu der Kritik, dass die Regierung das nicht ernst genug nimmt und was für belastbare Zahlen haben Sie?“

Die Antwort von Spahn: „Also zuerst einmal wir nehmen, also auch ich persönlich, diese Fragen natürlich sehr, sehr ernst. Das alles macht doch mit jedem von uns was. Behaupte…, also ich kann mir nicht vorstellen, dass hier irgendjemand im Raum ist, mit dem diese Situation, in der wir sind, auch in der jeder einzelne von uns jeden Tag ist, das fängt ja schon bei den Masken tragen an, das ist notwendig, aber nervig, macht das was. Emotional, physisch, psychisch. Und Menschen können unterschiedlich gut umgehen jeweils in den Situationen mit solchen Belastungen und natürlich entsteht daraus auch die Notwendigkeit zu reden, sich auszutauschen, möglicherweise können daraus auch Krankheitsbilder entstehen. Bei einzelnen. Das ist ja im Einzelfall berichtet. Worauf das Ministerium ja nur hinweist und hingewiesen hat, ist ja die Frage sozusagen, welches tatsächliche Evidenzmaterial, welche Erkenntnisse wir aus Studien tatsächlich darüber haben, ob und was sich verändert hat. Und im Übrigen kann es auch anders herum sein, auch das wird berichtet, dass in bestimmten Lebenslagen, dadurch dass das Leben weniger stressig geworden ist, in manchen Berufen, auch wieder – also zum Beispiel bei Herzinfarkten sehen wir auch andere Zahlen als ohne Corona, an vielen Stellen niedrigere. Die Frage ist ja, woher kommt das? Ist das, weil sie weniger stattfinden oder weil sie weniger entdeckt werden? Und wenn sie weniger stattfinden, warum finden sie eigentlich weniger statt? Weil möglicherweise weniger Stress im….

…also es ist jetzt alles, wie Sie merken, eher beschrieben, aus der eigenen Empirie als tatsächlich aus belastbarer Evidenz. Und das ist das, worauf wir hinweisen. Dass wir diese belastbare Evidenz aus sozusagen Behandlungsdaten eben im Moment noch nicht haben. Die wird es sicherlich auch geben und geben können und das gilt für andere Bereiche auch und wir unterstützen auch in Studien, auch in anderen Bereichen, viele, die Krankenkassen machen das im übrigen auch mit ihren wissenschaftlichen Instituten, die natürlich genau das untersuchen. Wir müssen alles in den Blick nehmen. Die gesundheitlichen Folgen durch Corona und diejenigen wegen Corona.“

Alles klar?

Kompetenz hört sich anders an.

So erklärt sich vielleicht auch, warum die Regierung selbst nach fünf Anläufen von mir nicht auf die Frage nach Zweittests antwortet. Hat sie einfach keine Antworten?

Ich wollte nachfragen, was für genaue Zahlen es gibt – wie auch ursprünglich gefragt, und warum alles nur empirisch ist – und bei psychisch Kranken nicht genauso wie bei Covid-Patienten ein Monitoring möglich ist – schließlich sind sie ja keine Patienten zweiter Klasse. Leider kam ich aber nicht mehr zu Wort – obwohl zuvor Kollegen teilweise sogar zwei Fragen gestellt hatten und auch nachfragen durften. Laut Reglement ist eine Nachfrage gestattet. In meinem Fall wurde diese aber mit Hinweis auf die Zeit abgelehnt. Die Vorsitzende sagte: „Entschuldigung. Nein, wir sind in der Schnellfragerunde und wir sind schon über die Zeit und ich muss jetzt wirklich wegen des Nachfolgetermins der Regierungspressekonferenz diese PK an dieser Stelle beenden. Ich sage herzlichen Dank. Ich muss bei allen um Verständnis bitten, deren Fragen offen geblieben sind. Das nächste Mal! Danke schön!“

So scheiterte auch mein zweiter Versuch, eine konkrete Antwort von der Regierung zu den psychischen Begleiterscheinungen der Maßnahmen zu bekommen.

Auch auf meine Frage, ob es inzwischen einen verbindlichen Ct-Wert für die PCR-Tests gibt, gab es keine befriedigende Antwort:

FRAGE REITSCHUSTER: Der Ct-Wert ist ja ganz entscheidend für den Ausgang der PCR-Tests. Welche Regeln gibt es denn da im Moment? Gibt es inzwischen bundesweit eine einheitliche Regelung oder entscheidet jedes Labor, ab welchem Ct-Wert ein Test als positiv gewertet wird?

SPAHN-SPRECHERIN HAJEBI: Meines Wissens nach gilt dies bundesweit. Aber das kann ich gern noch einmal nachreichen, ob es Unterschiede in den Bundesländern gibt.

Diese Antwort hat mich so verdutzt, dass ich gar nicht mehr nachhakte. Wenn die Ministeriumssprecherin nach fast einem Jahr Pandemie nicht mal die Frage beantworten kann, ob bundesweit einheitliche Ct-Werte für den PCR-Test gelten, obwohl diese Werte bzw. die daraus abgeleiteten Fallzahlen die Grundlage der politischen Entscheidungen bilden, dann fehlen einem die Worte.

Auch meine zweite Frage brachte keinen wirklichen Erkenntnisgewinn:

REITSCHUSTER: Noch eine Frage zu Impfungen und den Tests: Es gibt ja immer wieder Berichte, dass es nach den Impfungen positive PCR-Tests gibt. Gibt es inzwischen Erkenntnisse darüber, inwieweit die Impfung zu einem positiven PCR-Test führen kann, weil ja Gensequenzen verimpft werden? Wenn ja: Wie gehen Sie damit um?

SPAHN-SPRECHERIN HAJEBI: Es ist ja so, dass bei den Impfstoffen von BioNTech und Moderna zweimal geimpft werden muss. Es kann natürlich sein, dass sich eine Person zwischen der ersten Impfung und der zweiten Impfung ansteckt oder bereits vor der Impfung infiziert ist. Dementsprechend kann ein Test dann eventuell auch positiv ausfallen. Wie sich das nach der zweiten Impfung ergibt, müssen wir schauen, aber nach der zweiten Impfung ist der Schutz da.

ZUSATZFRAGE REITSCHUSTER: Das war jetzt aber nicht ganz eine Antwort auf meine Frage. Ich habe es extra noch einmal gegoogelt: Es heißt von Medizinern, es sei nicht auszuschließen, dass es durch die Impfung, also wegen der Impfung, einen positiven PCR-Befund gibt. Da wäre die Frage: Was ist Ihnen da bekannt und wie gehen Sie damit um?

SPAHN-SPRECHERIN HAJEBI: Ich höre das jetzt zum ersten Mal. Mir ist nicht bewusst, dass es solche Fälle tatsächlich geben kann. Ich kann das aber gerne nachreichen.

Insgesamt klang vor allem aus den Worten von Spahn und Wieler vieles mehr wie Psychotherapie als wie ein Rede-und-Antwort-Stehen gegenüber der vierten Macht. Wieler mahnte erneut die Einhaltung von Hygiene-Vorschriften an und sagte: „Geben Sie Covid-19 keine Chance!“

Als ein Kollege Spahn an seine Aussage, „wir werden uns verzeihen müssen“ erinnerte und fragte, ob auch die Angehörigen derjenigen, die jetzt noch sterben an Covid, weil kein Impfstoff da sei, verzeihen können, antwortete Spahn: „Wenn Sie so fragen oder debattieren, dann ist das das Ende jeder Debatte. Die Menschen sterben am Virus und an den Folgen und an der Krankheit. Es ist eine Pandemie über uns gekommen, ein Jahrhundertereignis. Dass wir in dieser schwierigen Situation sind, hat eben mit uns allen im Zweifel zu tun!“ (anzusehen in ganzer Länge hier).

Bloß keine kritischen Fragen! Und bloß keine Verantwortung übernehmen!

Ganz ehrlich und bei allem Verständnis für die Komplexität der Situation: Ich komme mir vor wie in einem Flugzeug, wo ich in der ersten Reihe mitbekomme, dass die Piloten weder die nötigen Kenntnisse noch den nötigen Durchblick haben. Viele in den anderen Reihen ahnen das auch. Aber um nicht verrückt zu werden, reden sie sich ein: Die werden schon wissen da oben bzw. da vorne, was sie tun. Und gerade weil sie die böse Ahnung haben, dass sie in schlechten Händen sind, reagieren sie so genervt bis aggressiv auf alle, die sie auf die Inkompetenz im Cockpit aufmerksam machen.

Besonders brisant: Viel spricht dafür, dass mangelnde Kompetenz durch Kampfwillen kompensiert wird – eine fatale Mischung (siehe hier).

Hier mein Video von den beiden Bundespressekonferenzen heute:

Die ganzen Konferenzen sehen Sie hier (Spahn-PK) und hier (Regierungssprecher-PK).



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Bild: Screenshot/Youtube/Phoenix
Text: br


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