Angela Merkel und die Medien – eine Liebesgeschichte Mehr Dauer-Flirt als Kontrolle staatlicher Macht

Sehen Sie hier auch mein Video von der Bundespressekonferenz mit Merkel heute

Die wichtigsten Botschaften lagen wie so oft bei Angela Merkel zwischen den Zeilen. „Die Zahlen steigen wieder, der R-Faktor ist über eins, das heißt, wir haben ein exponentielles Wachstum“, mahnte die Kanzlerin am Donnerstag auf der Bundespressekonferenz. Weiter führte sie aus: „Der Schlüssel, die Pandemie zu überwinden, da ist das einzige Mittel das Impfen. Wir stellen fest, die Impfung wirkt. Sie fügte dann noch einen Satz hinzu, der aufhorchen lässt: „Je mehr Menschen geimpft sind, umso freier werden wir wieder sein“.

Spätestens bei diesem Satz hätten die anwesenden Journalisten in meinen Augen sofort aufhorchen und nachhaken müssen. Zwischen den Zeilen hat sie damit eine erneute Verschärfung der Corona-Maßnahmen angekündigt. Und Freiheiten ans Impfen geknüpft. Die Freiheit ist aber einer der Grundpfeiler unserer Demokratie und unseres Grundgesetzes. Dessen Väter haben nicht aus Jux und Tollerei eben diese Freiheit für unveräußerlich erklärt. Und nun stellt sich im Jahre 2021 die Regierungschefin hin und sagt, zugespitzt: Nur wenn Ihr Euch alle brav impfen lasst, bekommt ihr wieder mehr Freiheiten zurück.

Kritische Nachfragen dazu blieben aus. Dafür wurde die Kanzlerin etwa gefragt, wo sie den Wahlabend verbringen wird. Oder: „War das hier eigentlich eine reine Pflichterfüllung für Sie oder haben Sie sich auch auf uns Journalisten gefreut? Haben Sie vielleicht einen Gewinn oder Lustgewinn daraus gezogen?“ Diese Fragte stammt von einem Mitarbeiter der Nachrichtenagentur dpa, des Leitmediums in Deutschland schlechthin. Mehr braucht über das Verhältnis zwischen Merkel und ihren Medien eigentlich nicht gesagt werden.

Zu Würzburg und ihrem Schweigen zu dem blutigen, offenbar islamistischen Anschlag dort wurde Merkel keine einzige Frage gestellt. Ich hatte das Thema auf meinem Zettel, gab dann aber den Grundrechten und dem Impfen den Vorrang. Dafür wurde ausgiebig das Leib- und Magen-Thema der Hauptstadtpresse behandelt – der Klimawandel. „Ist die fehlende nötige Radikalität in der Klimapolitik das größte Versäumnis Ihrer Kanzlerschaft gewesen?“, fragte Kristina Dunz vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), das über seine Eigentümer auch der SPD gehört, die Kanzlerin. Eine Frage, bei der die Antwort bereits impliziert ist.

‘Eigentlich verehren sie Angela Merkel‘

„Die im Saal anwesenden Pressevertreter verwandten ihre Hartnäckigkeit zumeist darauf, die Kanzlerin mit ihrer Klimapolitik zu konfrontieren“, stellt denn auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) fest. Weiter schreibt das Schweizer Blatt: „Immer wieder wurde Merkel gefragt, wie sie sich am Ende ihrer Amtszeit fühle. Merkel beantwortet solche Fragen nie richtig, daher versuchte es eine Journalistin mit einer Variation und wollte erfahren, was Merkel nach ihrer Amtszeit vermissen werde. Sie erhielt darauf eine typische Merkel-Antwort: ‘Was man vermisst, merkt man meistens erst, wenn man’s nicht hat.‘ Die Pressekonferenz veranschaulichte vielleicht ein letztes Mal das Dilemma einiger Hauptstadtjournalisten. Eigentlich verehren sie Angela Merkel, sollen aber dennoch kritisch über sie berichten. Daher rühren auch die Fragen, wie sie sich fühle. Merkel hat für Journalisten nicht sonderlich viel übrig – und antwortet darauf allein schon deshalb nie ehrlich.“

Damit bringt die NZZ eines der größten Probleme der Ära Merkel auf den Punkt: Eine weitreichende Verschmelzung zwischen Merkel und Medien, eine Art Symbiose, die ihre Vorläufer noch in der Schröder-Zeit hat und in der Flüchtlingskrise 2015 kulminierte. Und die für eine Demokratie geradezu unanständig und vor allem höchst gefährlich ist. Die mehrheitlich stramm linksgrüne Journalisten-Community in der Hauptstadt ist regelrecht verzaubert von der Kanzlerin. Auch wenn der Traum, die Verschmelzung mit den Grünen aus einer zwar offensichtlichen, aber doch informellen Affäre zu einer offiziellen Beziehung zu machen, formal an FDP-Chef Lindner gescheitert ist – faktisch liegen die Alternativen bei Merkel mit im Regierungsbett. Sehr zum Wohlgefallen weiter Teile der journalistischen Landschaft.

Die Rheinische Post titelte zur Bundespressekonferenz mit Merkel: „Diese sachliche Effizienz werden wir vermissen.“ Im Einsteig heißt es dann: „Angela Merkel war auf ihrer letzten Sommer-Pressekonferenz so nüchtern, sachlich, souverän, unprätentiös und äußerlich entspannt wie wir sie außer auf den Fußballtribünen seit 16 Jahren kennen. Ihre Effizienz im Dienste der Allgemeinheit – sie war und ist spektakulär in diesen aufregenden Zeiten.“ Das erinnert weniger an Journalismus als an eine Liebeserklärung. Man möge sich einmal vorstellen, so etwas hätte in den 90er Jahren in einer Zeitung über Helmut Kohl gestanden…

Wurde unter Merkels Ziehvater noch die Regierung gegrillt, wie es sich gehört für Journalisten, grillen sie heute lieber diejenigen, die es wagen, weiter kritische Distanz zur Regierung zu halten. Die schenkelklopfende Freude darüber, dass Merkel mir statt einer Antwort auf meine Frage nach der Zulässigkeit von Freiheitseinschränkungen eine zwar schlagfertige und witzige Replik, aber keine auch nur halbwegs befriedigende Antwort in der Sache gegeben hat, offenbart die Verformung von nicht unerheblichen Teilen eines Berufsstandes. Infantilität ist an die Stelle von Intellekt getreten, die Beziehung zwischen erster und vierter Macht erinnert mehr an einen Dauer-Flirt als an die Kontrolle staatlicher Macht.

Wenn künftige Historiker die Ära Merkel und insbesondere auch die Corona-Zeit aufarbeiten werden, wird die Frage, wie es zu der weit reichenden Symbiose zwischen der Kanzlerin und den Medien kommen konnte, und wie entscheidend diese für die Fehlentwicklungen im Großen verantwortlich war, wohl eine ganz zentrale Rolle spielen. Die heutige Pressekonferenz und viele Reaktionen auf sie könnten dabei wichtiges Anschauungsmaterial sein. Und bei der Ausbildung künftiger Journalisten als lehrreiches Beispiel herhalten.

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Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

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Bild: Boris Reitschuster
Text: br


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