Sehen Sie hier auch meinen Video-Kommentar zum Gipfel
Manchmal sind es kurze Sätze, die mehr sagen als lange Reden. So auch heute bei der Pressekonferenz nach dem so genannten „Corona-Gipfel“ – einer Konferenz von Bundeskanzlerin und Länderchefs. Die im Grundgesetz gar nicht vorgesehen ist. Und die heute so massive Einschnitte in die Grundrechte beschloss, wie noch nie ein Verfassungsorgan zuvor. Was schon per se eine Ungeheuerlichkeit ist und ein klarer Verstoß gegen den Geist des Grundgesetzes. Es war heute Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der sich mit einer kurzen Aussage entlarvte. Er sagte: “Es ist leichter zuzumachen, als zu öffnen. Das erste erfordert Mut, das zweite Klugheit.“ Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
Was wir gerade erleben, ist so ungeheuerlich, dass nur der Gewöhnungsfaktor dafür sorgt, dass so viele Menschen sich dieser Ungeheuerlichkeit nicht (mehr) bewusst sind: Seit nun bald einem Jahr werden die Grundrechte – existenzielle Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat – weitgehend aufgehoben. Wäre SARS-CoV-2 ein Killer-Virus wie etwa Ebola, wäre dies möglicherweise durchaus alternativlos. Aber selbst die Weltgesundheitsorganisation WHO hält den Lockdown für kein probates Mittel für eine längerfristige Corona-Bekämpfung. Die Bundesregierung kann keine einzige wissenschaftlich fundierte Studie zum Nutzen des Lockdowns vorlegen – ich habe mehrfach auf der Bundespressekonferenz danach gefragt und keine Antwort erhalten. Es gibt dagegen eine wissenschaftlich fundierte Studie von Stanford-Professor John Ioannidis, die nachweist, dass der Lockdown nichts bringt; ja sogar schaden kann. Sie wird von unseren Entscheidungsträgern ignoriert.
Zu den Beratern der Regierung gehören dafür Hardliner, Vertreter der „No Covid“-Strategie, die Kritiker als radikal, ja lebensfremd bezeichnen. Von den acht Wissenschaftlern in der Expertenrunde vor dem vorletzten Corona-Gipfel waren zwei, also ein Viertel, solche Hardliner. Diesmal trat erst gar keine Expertenrunde zusammen. Merkels Sprecher Seibert konnte auf meine Nachfrage keinen einzigen Kritiker des harten Kurses benennen, mit dem sich die Bundeskanzlerin zum Thema Corona vor der heutigen Konferenz ausgetauscht hat.
Söder behauptete, der Rückgang der Zahlen sei ein Beleg für die Wirksamkeit der Maßnahmen. Er ist allenfalls ein Indiz. Und Söder ein Täuscher, wenn er so spricht. Er entlarvte sich auch, als er sinngemäß sagte, die Öffnung der Friseure gebe den Menschen Würde zurück („hat auch etwas mit Würde zu tun“). Ein Freud´scher Versprecher? Denn damit gab er zu, dass er ihnen, zumindest nach seiner eigenen Einschätzung, Würde genommen hat. Aber genau die ist laut Grundgesetz unantastbar, und genau das ist das Allerheiligste unserer Verfassung. Dass hier so offen ein Grundgesetz-Verstoß zugegeben wird bzw. Söder diesen Widerspruch gar nicht mehr bemerkt, ist sehr alarmierend.
Die Bundesregierung und auch die Länderregierungen haben die Verbindung zur Realität verloren. Sie haben sich in eine Sackgasse verirrt und verordnen dem Land eine Therapie, die weitaus riskanter wirkt als die Krankheit, gegen die sie eingesetzt wird. Künftige Historiker werden sich damit auseinandersetzen müssen, wie eine Gesellschaft derart abgleiten konnte. Es gibt hier ein unglückseliges, ja tragisches Zusammenspiel von autoritären, längst überwunden geglaubten Tendenzen in Politik, Medien und Gesellschaft. Man stachelt sich gegenseitig auf: Auf der einen Seite der Wunsch vieler Menschen nach harter Hand als vermeintliche Rettung – auf der anderen Seite ist diese Sehnsucht so vieler Bürger eine Droge für Politiker, die ihre Beliebtheit steigen sehen.
Der Corona-Fundamentalismus funktioniert nur aufgrund massiver Tendenzen zu totalitärem Denken. Dadurch, dass Kritiker diffamiert und alternative Modelle, wie etwa das schwedische, schwarzgemalt werden. Söder gab ganz offen zu, man öffne langsamer und vorsichtiger als andere Länder, um auf der sicheren Seite zu sein. Eine Dreistigkeit. Wie aus einer Auswertung von WELT auf der Basis von Zahlen der Universität Oxford hervorgeht, hat die Bundesrepublik inzwischen die dritthärtesten Einschränkungen in ganz Europa – und den strengsten Lockdown unter den großen Ländern des Kontinents. Gar nicht davon zu reden, dass bei uns Vorschriften viel strenger umgesetzt werden als in vielen anderen Ländern.
Ebenso dreist ist es, wie gelogen wird. Auch, dass man sich nur mit den Wissenschaftlern austauscht, die den eigenen Kurs decken. Wenn etwa Berlins Regierender Bürgermeister Müller (SPD) äußert, alle Wissenschaftler hätten ihm gesagt, es gebe keine besonderen Auffälligkeiten bei den Kindern, so ist das ein Beweis dafür, dass er entweder absichtlich Menschen in die Irre führt, oder nicht einmal in der Lage ist, zu googeln. Was für ein Offenbarungseid.
Weiter sagte Müller, er staune über die große Rolle, die Friseure spielten. Dabei sah er auffällig gut frisiert aus. Faktisch machte er sich sogar noch über seine Bürger lustig: Viele Menschen seien überfordert mit der Haarpflege und bräuchten da auch aus hygienischen Gründen Unterstützung. Wenn dem so ist – warum wurde ihnen diese Hilfe dann monatelang verweigert?
Es wäre fatal, jetzt zu sagen, die Zahlen sind runter, und dann könnte sich herausstellen, es war zu früh, sagte Müller – und offenbarte damit eine erschreckende Verachtung gegenüber den Grundrechten. In der Verfassung steht nirgends, dass man diese einfach außer Kraft setzen könnte, weil „möglicherweise“ sonst Gefahren drohten. Das ist eine Pervertierung der Grundgedanken des Grundgesetzes.
Es wird immer offensichtlicher – auch durch die willkürlich wirkende Reduzierung des Inzidenzwertes auf 35: Die Regierenden haben Angst, die Einschränkungen der Grundrechte wieder zurückzudrehen und ihre bisher nie gekannte Machtfülle wieder aufzugeben. Die Geschichte zeigt, dass dies meistens so war. Und selten zu etwas Gutem geführt hat.
PS: Russlands früherer Vize-Regierungschef Alfred Koch kommentierte diesen Artikel auf Facebook wie folgt: „Die Deutschen tauschten Freiheit gegen Sicherheit. Dies bedeutet, dass sie bald ihre Freiheit und Sicherheit verlieren werden.“ Mit dem Blick des Außenstehenden sieht man manchmal besser.
Bild: Screenshot/Youtube/Tagesschau
Text: br