Für die ARD ist Redefreiheit eine Bedrohung „Aufregung um Cancel Culture ist moralische Panikmache“

Von Kai Rebmann

Das Aufkommen alternativer Medien in Funk und Fernsehen sowie insbesondere im Internet versetzt ARD und ZDF zunehmend in Alarmstimmung. Über Jahrzehnte hinweg hatten sich die öffentlich-rechtlichen Sender (ÖRR) daran gewöhnt, die Grenzen des Sagbaren selbst definieren und die Leitplanken für die Meinungsfreiheit setzen zu können. Doch inzwischen hat sich der Wind gedreht und die Anstalten des ÖRR sehen ihre Felle davonschwimmen. Nicht, dass man sich existenzielle Sorgen um die mit Zwangsgebühren in Milliardenhöhe gefütterten Sender machen müsste, aber die einstige Lufthoheit über den medialen Diskurs haben ARD und ZDF definitiv eingebüßt und das ist auch gut so.

Spätestens die Art und Weise der Berichterstattung über die Flüchtlingswelle ab dem Jahr 2015 und schließlich die Corona-Krise hat die ideologische Schlagseite der Kollegen schonungslos offengelegt. Um verlorengegangene Marktanteile – sowohl in Bezug auf Quoten als auch die Meinungsbildung – wieder zurückzugewinnen, fahren die ÖRR-Sender eine zweigleisige Strategie. Einerseits sollen kritische Journalisten aus dem Verkehr gezogen werden, wofür gerade der ARD jedes Mittel recht zu sein scheint und gerne auch mal mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Andererseits werden in den eigenen Formaten, die eigentlich zur Neutralität verpflichtet sind, die allgemeine Realität sowie die Lebenswirklichkeit der Zwangsgebührenzahler ad absurdum geführt. Jüngstes Beispiel hierfür waren zwei Folgen der „Tagesschau“ sowie von „titel, thesen, temperamente“ (ttt), mit denen sich die ARD ganz stilecht vom Jahr 2022 verabschiedete.

Kritik an Cancel Culture wird zur Panikmache

Obwohl jüngste Umfragen das genaue Gegenteil beweisen und die ARD an diesem Trend wohl nicht ganz schuldlos ist, sieht der Sender die Meinungs- und Redefreiheit in Deutschland derzeit offenbar nicht gefährdet. Um sich selbst und vor allem das zahlende Publikum von dieser vermeintlichen Gewissheit zu überzeugen, kommt bei „ttt“ der Literaturwissenschaftler Adrian Daub, seines Zeichens Professor an der Stanford-Universität, zu Wort. An Renommee scheint es dem Experten nicht zu fehlen. Warnungen wie jene von Friedrich Merz (CDU), der in der Cancel Culture – an der sich der Oppositionsführer aber gerne selbst beteiligt – eine aus den USA nach Europa schwappende Gefahr sieht, bezeichnet Daub als „moralische Panikmache“ der Rechten. Schon in der Einleitung krankt der Beitrag an politischer Realitätsverweigerung. Es seien vor allem die „konservativen Parteien“, die besonders eindringlich vor der Gefährdung der Redefreiheit warnten, heißt es aus dem Off. Warum parallel dazu Sequenzen eingespielt wurden, die Politiker der Union zeigen, wird wohl das Geheimnis der ARD bleiben. Oder sollten CDU und CSU allen Ernstes als „konservative Parteien“ verkauft werden?

Beispiel Tagesschau: In der ehemals wichtigsten Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen wurde Sebastian Pertsch einmal mehr eine prominente Bühne bereitet. Der selbsternannte Sprach- und Medienkritiker ist einer von zwei Gründern der „Floskelwolke“. Im Rahmen dieses „journalistischen Medienprojekts“ betreibt Pertsch zusammen mit seinem kongenialen Partner Udo Stiehl eine „tägliche Analyse von Floskeln in deutschsprachigen Nachrichten“. Für die Tagesschau erschien es berichtenswert, dass diese beiden Herrschaften zu der Überzeugung gekommen sind, dass im vergangenen Jahr „der verbale Missbrauch des Freiheitsbegriffs alle Erwartungen übertroffen“ habe. Nun lässt sich in der Tat ganz trefflich darüber streiten, ob und gegebenenfalls welcher Begriff in der jüngeren Vergangenheit mindestens einmal zu oft verwendet wurde oder vielleicht sogar „seine Unschuld verloren“ habe. Dennoch reicht ein kurzer Blick in die Biografie der beiden „Floskelwo(l)ken“, um mehr über ihre „neutrale Unabhängigkeit“ zu erfahren.

Sprachexperten mit bemerkenswert eintönigem Wortschatz

Udo Stiehl arbeitet als freiberuflicher Redakteur für den WDR und Deutschlandfunk. Dieses nicht unwichtige Detail wurde im betreffenden Beitrag der Tagesschau leider verschwiegen. Zusammen mit seinem Geschäfts- und Ideologiepartner Sebastian Pertsch wurde Stiehl im Jahr 2015 für das Projekt „Floskelwolke“ mit dem Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik ausgezeichnet. In der dazugehörigen Laudatio hieß es damals: „Udo Stiehl und Sebastian Pertsch enthüllen mit sprachpädagogischem Furor, was alles hinter der journalistischen Phrasendreschmaschine steckt – oder besser gesagt: nicht dahinter steckt.“

Ebenfalls aus dem Jahr 2015 stammt ein mittlerweile gelöschter Tweet von Sebastian Pertsch: „Kann man diese rechten Arschlöcher nicht mal ausbürgern, für ein Jahr nach Mali schicken, zurückholen, in ein Asylheim stecken und anzünden?“ Von der Formulierung ganzer Sätze bei Twitter hat sich der preisgekrönte „Sprachpädagoge“ inzwischen zwar verabschiedet, hinsichtlich des Niveaus ist sich Pertsch bei seinem Gezwitscher aber treu geblieben. Auf Kritiker an seiner Arbeit reagiert der sogenannte Experte regelmäßig mit Sperren der betreffenden Nutzer und überzieht diese massenweise mit Beleidigungen wie Arschloch, Idiot, Schwachkopf oder Trottel.

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Shuttserstock

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