„Todesliste“ kurz vor der Wahl Aufruf zur Vernichtung der "größten Menschenfeinde"

Lachen und Angst liegen oft so nahe beieinander, dass man es kaum wahrhaben will. Vielleicht sind sie Zwillingsschwestern. Der Humor, so meine Erfahrung, ist oft Schutzmechanismus der Seele gegen die Furcht. So jedenfalls meine Erfahrung aus Situationen, die sehr gefährlich waren (siehe auch meinen Text „Wie mir Galgenhumor in Afghanistan den Kragen gerettet hat“). Zunächst war mir gar nicht nach Lachen zumute, als mir heute ein Anwalt schrieb, dass ich auf einer Todesliste stehe, und mir riet, juristisch dagegen vorzugehen. Hand aufs Herz: Würden Sie, wenn Sie völlig unvermittelt an Ihrem Schreibtisch so eine Nachricht bekommen, völlig gelassen bleiben? Wenn Sie als einer der „größten Menschenfeinde“ bezeichnet würden, als Nazi, den es aus dem Weg zu räumen gelte? Ich habe zwar schon einiges an Morddrohungen in meinem Leben bekommen. Aber gewöhnt daran habe ich mich nicht. Und will ich mich auch nicht.

Als mir dann wenig später ein Bundestagsabgeordneter – übrigens aus einer der alteingesessenen Parteien – die Todesliste im Original zusandte, musste ich lachen. Weil sie auf mich etwas wirr wirkte. Weil auf ihr neben den üblichen Verdächtigen wie meiner Wenigkeit und rund 250 weiteren kritischen Journalisten, Politikern und Prominenten auch einige solche stehen, die völlig „unverdächtig“ sind und bei denen es so wirkt, als seien sie aus Versehen darauf gelandet. Der Absender der Mail nennt sich „Ein Geimpfter“. Ein Kollege, mit dem ich eng zusammenarbeite, meinte: „Das ist ein Dumme-Jungen-Streich.“ Ich entgegnete ihm: „Du hast leicht reden, du stehst nicht drauf.“ Er insistierte: „Mach da bloß kein Aufsehen drum herum, sonst belohnst Du das nur, das ist genau, was der Absender erreichen will, und was Nachahmer ermutigt.“ Ich war unentschlossen: „Einerseits ist da was dran, an Deiner Position. Andererseits – das einfach so hinnehmen?“ Ich versprach, es mir zu überlegen und erst mal den Mund zu halten. Die Entscheidung wurde mir abgenommen, weil Kollegen, die auch auf der Liste stehen, bereits den Weg an die Öffentlichkeit gegangen sind. 

Ja, es mag sich um einen einzelnen Irren handeln, der solche Briefe versendet. Um einen missglückten Scherz. Aber wo ist die Garantie, dass es nicht ein anderer Irrer ernst nimmt? Besonders bitter: Diejenigen, die verwirrte Seelen auf solche Abwege bringen, sind keine Irren. Der Hass wird zielgerichtet gesät und gestreut. Massiv. Wir müssen ihn teilweise noch mit unseren Steuern und TV-Gebühren mitfinanzieren. Wie Jan Böhmermann vom ZDF, der solche Listen in die Welt gesetzt hat. Der Begriffe aus dem Wörterbuch des Unmenschen wie „Menschenfeind“ öffentlich wieder salonfähig macht. Finanziert durch das öffentlich-rechtliche System. 

Ich verzichte hier auf eine Wiedergabe der „Todesliste“ und ihres abstrusen Inhaltes. Um ihr nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu geben. Vielleicht wäre ja wirklich Verschweigen der beste Weg gewesen – aber wie gesagt, diese sehr schwierige Entscheidung haben mir andere abgenommen. Auch aus juristischen Gründen wäre eine Wiedergabe problematisch – man könnte sich damit auch selbst strafbar machen.

Auch wenn mein Kollege, der die Sache für einen Dumme-Jungen-Streich hält, nicht einverstanden ist: Ich bin entschlossen, juristisch gegen diese Todesliste vorzugehen – gemeinsam mit vielen anderen, die darauf stehen. Von denen ich viele gut kenne und überaus schätze. Wehret den Anfängen! 
Was mir viel mehr Angst macht als die Drohung selbst: Wie Menschen im festen Glauben, „Gutes“ zu tun, zu genau den Methoden greifen, die typisch sind für diejenigen, gegen die sie zu kämpfen glauben. 
Die großen Tragödien und Verbrechen der Menschheitsgeschichte wurden in der Regel in genau jenem Glauben verübt – für das „Gute“ zu kämpfen und „Feinde des Guten“ zu vernichten.
 
So lernfähig viele sein mögen: Es gibt offenbar viel zu viele, die gegen die Lektionen der Geschichte resistent sind. 
 
PS: Andrea Drescher, Tochter von jüdischen KZ-Überlebenden, schrieb mir gerade zu diesem Artikel: „Auf der Todesliste böser Nazis steht neben Henryk Broder und Elias Davidson, zwei Juden, die in Deutschland leben, auch Vera Sharav, eine jüdische Holocaust-Überlebende. Juden werden also wieder mal von Deutschen mit dem Tod bedroht, weil sie nicht ins Narrativ passen. Ein Details, was Ihnen vielleicht entgangen ist. Mein halber Bekanntenkreis ist auf der Liste, rund 100 kenne ich persönlich. Ich weiß gar nicht mehr, was ich dazu sagen soll!“
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Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!
Bild: Shutterstock
Text: br
 

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