Die Köpfung und die Doppelmoral Aufregung über Rassismus. Wegsehen bei Islamismus.

Der grausame Mord von Paris enthüllt auf ebenso erschreckende wie eindrucksvolle Weise die Doppelmoral von großen Teilen unserer Politiker und Journalisten. Erinnern Sie sich noch an den Tod von George Floyd, der am 25. Mai 2020 in Minneapolis in einer Auseinandersetzung mit Polizisten starb? Die Tat beherrschte monatelang die Schlagzeilen. Weltweit gab es über viele Wochen Demonstrationen gegen Polizeigewalt. Diese wurde in einer Art Dauerschleife thematisiert. Ebenso wie Rassismus. Dass inzwischen vieles dafür spricht, dass der mehrfach vorbestrafte Floyd an den Folgen eines zu hohen Gehalts an Drogen in seinem Körper starb (siehe hier), wird in der öffentlichen Debatte weitgehend ausgeklammert. Floyd wurde zu einem Märtyrer stilisiert, zu einer Ikone. Wer auch nur am Heiligenschein kratzte und auf sein kriminelles Leben hinwies, war sich seines Jobs nicht mehr sicher (siehe hier).

Und jetzt vergleichen Sie diese Reaktionen mit denen auf die grausame Enthauptung des Lehrers Samuel Paty in der Nähe von Paris. Anders als im Falle von Floyd wird sein Name eher beiläufig erwähnt. Obwohl er nicht unter Drogen, sondern aufgrund seines Einsatzes für die Meinungsfreiheit gestorben ist, wird nicht einmal ansatzweise versucht, ihn als Person und Opfer so in den Mittelpunkt zu stellen wie den mehrfach vorbestraften Floyd. (Gibt man etwa bei Google „Mord Paris“ als Suchwort ein, taucht Paty in den Überschriften kaum auf. Ganz anders bei „Mord Minneapolis“.) Der Aufschrei der Empörung, wie er nach Minneapolis durch die sozialen Medien ging, blieb in großen Bereichen aus. „Links-Twitter“, also die bekannten linksgrünen Akteure im sozialen Netzwerk, blieben merkwürdig still, wo sie sonst stehenden Fußes mit Empörungsfeuerwerken zur Stelle sind. Selbst ein geschmackloser Witz reicht dazu aus. Aber eine Enthauptung? Alles nicht so schlimm?

Während nach Floyds Tod sofort Rassismus, insbesondere bei der Polizei, als großes Thema überall in den Vordergrund rückte, blieb es zumindest in den deutschen Medien weitgehend still, was den religiösen Hintergrund der grausamen Tat von Frankreich angeht. Generell fuhr etwa das öffentlich-rechtliche Fernsehen die bestialische Enthauptung auf Sparflamme in der Berichterstattung. Selbst die grausamen Umstände, das Abschlagen des Kopfes, wurden oft schamhaft verschwiegen.

Samuel Patys Tod erfolgte mit Ankündigung. Er hatte im Geschichtsunterricht zur Veranschaulichung des Themas Meinungsfreiheit Mohammed-Karikaturen gezeigt – nicht ohne vorher zu warnen und allen empfindsamen Schülern die Möglichkeit zu geben, das Klassenzimmer zu verlassen.

Der Täter war Tschetschene. In der russischen Teilrepublik ist eine starke Islamisierung im Gange. Ihr Anführer Ramsan Kadyrow ruft schon mal ganz offen zum „Heiligen Krieg“ und zur Erstürmung ungläubiger Städte auf. Adam Delimchanow, ein Abgeordneter des russischen Parlaments aus Tschetschenien und Kadyrow-Vertrauter, hatte in einer Videobotschaft offen zur Gewalt aufgefordert bei „Beleidigung“ seines Glaubens: „Wenn der Prophet gedemütigt wird, indem man Cartoons über ihn macht, reagiert ihr nicht, eure Empörung wird nicht gehört. Und wisst ihr warum? Weil ihr Teufel, Feiglinge, Hühner seid … Wenn der Koran beleidigt wird, wenn sie ihn vernichten, auf ihn spucken, dann mögen diese gottverdammten Menschen vernichtet werden! Aber selbst danach schweigt ihr in Europa lebenden Tschetschenen! Warum schämt Ihr euch nicht! Ihr seid Teufel und Hühner! Keiner von euch ergreift Maßnahmen, wenn sich jemand in eure Religion, den Koran oder euren Propheten einmischt!“ Das Video können Sie mit deutschen Untertiteln hier ansehen.

Man stelle sich für einen Moment die Reaktionen vor, hätte es sich bei dem Täter um einen Rechtsextremen gehandelt, und wären solche Aufrufe zur Gewalt von Rechtsextremen gekommen. Völlig zu Recht wäre das Thema allgegenwärtig gewesen. Beim radikalen Islam erleben wir das Gegenteil: Der politische bzw. religiöse Hintergrund wird eher verharmlost und nicht in den Vordergrund gestellt. Dieses Schweigen, Wegsehen und Verdrängen ist Dünger für religiös motivierte Gewalt.

PS: Nach Schreiben dieses Kommentars stellte ich mir selbstkritisch die Frage, ob ich nicht auch mir selbst genau das vorwerfen muss, was ich hier den Kollegen und den Politikern vorwerfe. Ich thematisiere rechtsextreme Gewalt hier auf meiner Seite selten. Nach gründlichem Abwägen kam ich zu dem Schluss, dass dies keine Folge von Doppelmoral ist: Ich kann mich als Einzelner nur mit einer sehr begrenzten Auswahl von Themen befassen. Und mein Selbstverständnis ist es, da die Schwerpunkte zu setzen, wo es die anderen nicht tun. Würden diese weit überwiegend islamistische Gewalt beleuchten, aber rechtsextreme nur unzureichend, würde ich rechtsextreme Gewalt in den Vordergrund stellen. Der Vorwurf der Doppelmoral bezieht sich also auf die politische und journalistische Landschaft insgesamt – weil in ihrer Gesamtheit eine Einseitigkeit vorherrscht. Oder, um es vereinfacht auszudrücken: Ich kann nicht von jedem Journalisten bei der ARD oder beim Spiegel erwarten, dass er sich mit der Köpfung in Frankreich befasst. Aber ich kann von der ARD und dem Spiegel insgesamt erwarten, dass sie, da sie die personellen Möglichkeiten dazu haben, auch in ähnlich großem Umfang wie bei Floyd die Hintergründe der Tat von Frankreich thematisieren.

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Bild: Natasa Adzic/Shutterstock
Text: br


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