Von Ekaterina Quehl
Der freundliche Mitarbeiter an der Rezeption meines Sportclubs sagte mir, dass es keine sauberen Handtücher mehr gibt. Ich gehe ausschließlich zum Schwimmen in den Club und zwar genau in diesen, weil er einen schönen Pool hat und den Handtuch-Service anbietet. Der geplante Besuch war für mich deshalb vom Tisch. Der freundliche Mitarbeiter versuchte mich noch zu überreden, zu bleiben: „Mach doch einfach wie ein Hund, wenn du aus dem Wasser rausgehst“, sagte er und schüttelte sich dabei kräftig, als sei er ein Golden Retriever.
Im Club-Newsletter, den ich am selben Abend wegen des Betreffs „Unser verantwortlicher Umgang mit Ressourcen“ öffnete, stand, dass schwere Zeiten auf uns zukämen und dass aufgrund „insbesondere den Entwicklungen im Zusammenhang mit der Nordstream-Pipeline“ eine Reihe von Energiespar-Maßnahmen eingeführt werden. Sich schütteln nach dem Schwimmen gehörte zwar nicht dazu, aber die Verringerung der Wasser-Temperatur im Pool und in den Duschen um zwei Grad – schon. Und wenn man nur die Hände in einem Waschbecken waschen möchte, dann gehe es ab sofort nur noch mit Kaltwasser. „Vor allem im Sommer wird kein heißes Wasser benötigt“, lautete die Begründung.
Dass ausgerechnet von einem Premium-Club solche Maßnahmen kommen, wunderte mich nicht mehr. Denn es war derselbe Club, in dem man in den schweren Corona-Zeiten den Schwimmbad-Nutzern vorschrieb, im Kreis gegen das Virus zu schwimmen. Vielmehr war ich deshalb überrascht, dass es die Mitglieder selbst waren, die Verschlechterungen der Premium-Qualität anboten.
„Viele von Ihnen haben uns mit fantastischen Vorschlägen geantwortet“, von denen der Club einige bereits umsetzte, stand weiter in der Mail.
Zu den fantastischen Vorschlägen gehörten unter anderem Reduzierung der Beleuchtung in bestimmten Club-Bereichen und Verkürzung der Sauna-Öffnungszeiten. Wenn man zudem besonders verantwortungsvoll sei und sich entscheide, auf Handtücher zu verzichten, bekomme man für jedes „gesparte“ Handtuch einen Getränk-Gutschein. Es fehlten nur noch Vorschläge für Waschlappen, was bestimmt aber nur eine Frage der Zeit ist. Denn die umweltbewussten Premium-Mitglieder würden wahrscheinlich sonst ihre Schuldgefühle nicht ertragen können, wenn sie keinen persönlichen Beitrag zur Rettung der Welt leisten können. Mein persönlicher Vorschlag wäre es, in Anlehnung an die „Fifteen Million Merits“, einer Folge aus der britischen Serie Black Mirror, Stromgeneratoren an Indoor-Fahrräder anzuschließen und den besonders fleißigen Premium-Mitgliedern Gutscheine für deren unbegrenzte Nutzung zu schenken. So können sie selbst beim Fahrrad-Fahren Strom generieren und somit ihren persönlichen Beitrag für die Rettung Deutschlands leisten – und wenn im Herbst ein „gravierender Variantenwechsel“ kommt, dann natürlich mit Maske am Gesicht und geboostert.
Die Nachrichten meines Sport-Clubs sind nicht das einzige Premium-Erlebnis in den vergangenen Monaten. Besonders großen Spaß haben mir Fernreisen gemacht, ob mit Flugzeug oder mit der Bahn. Zwar war ich davor verschont, meine Flüge am BER verpasst zu haben. Und meine Koffer weilen jetzt auch nicht unter Tausenden verwesenen Gepäckstücken im besten Flughafen aller Zeiten, aber es waren meist sehr spannende und unvergessliche Stunden. Und inzwischen habe ich das Gefühl, als müsste ich mir meine Reisen hart erkämpfen, als wäre es eine besondere Herausforderung. Ruhige Gespräche mit höflichem und hilfsbereitem Personal, dessen einzige und bleibende Sorge schien, dass der Fahrgast bei all dem Chaos eine Maske trägt, gehörten selbstredend auch dazu und haben diesem „Made-in-Germany-Wahnsinn“ eine besondere Note verliehen.
Vielleicht sollte man eine neue Sportart einführen: „Reisen in Deutschland“. Ausgefallene Züge, stundenlanges Warten, Gleise hin- und her wechseln mit Gepäck in der Hitze wegen wechselnder Planung, Erraten von Boarding-Gates wegen fehlender Angaben und hartes Erkämpfen der Umwandlung einer Reserve-Bordkarte in eine echte – können Einzeldisziplinen dieses modernen linksgrünen Mehrkampfs sein.
Die wenigen Stadt-Verkehrsmittel, auf deren Qualität ich noch Hoffnung hegte – Car-Sharing – erwiesen sich nun auch als Premium-Transporte der neuen linksgrünen Community. Schmutz, kleine Defekte, fehlerhafte App-Anzeigen bei der Anmietung eines Autos sind überhaupt keine Rede mehr wert. Denn die gehören mittlerweile zu dem üblichen Service dazu. Doch mit richtigen Pannen habe ich nicht gerechnet und sie waren ein besonderes Erlebnis in den vergangenen Monaten, inklusive Abschleppwagen und Polizei. Ich konnte nur von Glück reden, dass ich dabei unterwegs vom Flughafen nach Hause war und nicht umgekehrt.
Doch das alles wird in den nächsten Monaten nicht wichtig sein, weil „harte Zeiten auf uns zukommen“ und wir alle gemeinsam handeln müssen. Und in solchen Krisen-Zeiten kann man den Gürtel auch etwas enger ziehen, mal auch einen Flug verpassen, Koffer verlieren oder vier Wochen auf einen Arzt-Termin warten. In der harten Krise gibt es Wichtigeres als persönliche Ansprüche, etwa darauf, mit ein bisschen Service von A nach B zu kommen oder eine kurze Wartezeit in einer Notaufnahme. Und diese Ansprüche in Korrelation mit dem dafür bezahlten Geld zu bringen ist ganz und gar beschämend in solchen harten Zeiten.
Wir sollten Verständnis zeigen für all die Einschränkungen, die auf uns zukommen. Und sie mit Freude hinnehmen – weil wir wissen, dass wir gemeinsam sind und es viel Schlimmeres gibt. Wir können auch mal einen Waschlappen benutzen statt duschen oder uns nur vegan ernähren, ab und zu das Licht ausschalten und nur mit dem Fahrrad fahren. Hauptsache, wir verlieren dabei nicht aus den Augen das, was wirklich wichtig ist: Dass wir tolerant gegenüber Menschen aller 42 Geschlechter sind und für sie gerechte Toiletten haben. Dass wir richtige Pronomen benutzen, wenn wir sie ansprechen und eine Gender-Pause machen. Dass wir noch mehr Ungerechtigkeiten aus der Welt schaffen, indem wir falsch benannte Straßen, Apotheken, Farben und Süßigkeiten umbenennen und richtig benannte Dinge, wie etwa Partyszene auch richtig beim Namen benannt belassen: Partyszene. Wir sollten gesetzlich verankern, dass unsere Kinder nach Belieben ihr Geschlecht wechseln dürfen und es ihnen ermöglichen, dass sie ab zwei Jahren wählen dürfen. Damit all die wichtigsten Vorhaben letzter Jahre erfüllt werden und unsere Gesellschaft sich so weiterentwickeln kann wie jetzt.
Und wenn wir alle für all das gemeinsam kämpfen, das Bisschen Verzicht und Mangel in Kauf nehmen und uns dazu auch noch regelmäßig impfen lassen, dann überstehen wir jede auch noch so schlimme Krise. Denn zum Glück leben wir im besten Deutschland aller Zeiten.
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Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin, und lebt seit über 16 Jahren in Berlin. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Mit 27 kam sie nach einem abgeschlossenen Informatik-Studium aus privaten Gründen nach Berlin und arbeitete nach ihrem zweiten Studienabschluss viele Jahre als Übersetzerin, aber auch als Grafik-Designerin. Mittlerweile arbeitet sie für reitschuster.de.
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