Christian Drosten fordert Schweigen der Journalisten Merkels Virologe hält Laudatio zum Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis

Von Alexander Wallasch

Wäre Hanns Joachim Friedrichs wohl einverstanden damit, was da Jahr für Jahr rund um einen Journalistenpreis passiert, der seinen Namen trägt? Gern würde man das den 1995 in Hamburg verstorben Ausnahmejournalisten noch fragen.

Von Friedrichs stammt der gerade in dieser Zeit so vielzitierte Satz: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“ Ein Zitat, das wesentlich dafür steht, was die Arbeit des großen Journalisten ausmachte.

Was aber könnten ausgerechnet Jan Böhmermann und sein Team vom „ZDF Magazin Royale“ damit zu tun haben? Die wurden nämlich gerade mit einem Sonderpreis zum Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet u.a. mit einer Begründung, die zu lesen man sich anschnallen muss: Das Böhmermann-Team liefere „jede Woche eine fundiert recherchierte Sendung“. Die Sendung wirke wie „ein Lagerfeuer, um das sich eine enthusiastische Gemeinde schart“.

Aber wie bitte soll so eine Lagerfeuer-Wandervogel-Romantik kompatibel sein mit der Arbeit von Friedrichs? Wohl, weil man in der Jury um diese Unvereinbarkeit weiß, inszenierte man einen Bruch mit den Werten des Namensgebers und schreibt als Begründung für die Verleihung, jede Woche würde Böhmermann „lustvoll und kreativ“ gegen den von Friedrichs formulierten Anspruch verstoßen. Böhmermann wäre der „diabolische Zeremonienmeister der Regelverletzung“.

Das hätte man allerdings auch bei einer ganzen Reihe von Vorgängerpreisträgern etikettieren können, die sich da im Schatten des großen Vorbildes vieler aufrechter Journalisten ausruhen: Ausgezeichnet wurden zuvor u.a. schon Anne Will, Maybritt Illner, Sandra Maischberger, Marietta Slomka und Klaus Kleber.

Journalistische Glaubwürdigkeit auf dem Prüfstand

Auf schon rührende Weise durchsichtig liest sich da der Versuch einer Umdeutung dieses für viele nachdenkliche Journalisten wie ein Leitstern hoch aufgehängten Zitats Friedrichs durch das ein bisschen in Vergessenheit geratene links-populistische Onlineportal „Übermedien“. Gründer Stefan Niggemeier hat hier immerhin erkannt, dass der Spagat von Friedrichs hin zu Böhmermann und Drosten zu einem echten Glaubwürdigkeitsproblem für die Herren hinter dem prominenten Preis werden könnte und reicht geflissentlich an.

Aber Jan Böhmermann ist längst nicht die einzige Merkwürdigkeit dieser Preisverleihung. Am gestrigen Abend hielt die Laudatio auf einen der beiden Preisträger Christian Drosten, der wissenschaftliche Chefberater der Bundesregierung in der Corona-Krise. Ausgezeichnet wurde Filmregisseur Carl Gierstorfer für seine vierteilige Doku-Serie „Charité Intensivstation 43“ – Drosten ist selbst Institutsdirektor eben dort an der Charité.

N-tv titelt zum Auftritt Drostens: „Medienschelte vom Virologen – Drosten kritisiert Corona-Berichterstattung“. Das klingt zunächst kurios, denn was sollte ausgerechnet der größte Profiteur eben dieser einseitigen privaten und vor allem öffentlich-rechtlichen Berichterstattung daran zu kritisieren haben? Man würde doch denken, gerade Drosten sollte sich hier zurückhalten und die Scheinwerfer nicht noch in die düstere Ecke seines Auftretens richten.

Angela Merkels inoffizieller zweiter Pressesprecher für Sonderaufgaben fühlt sich berufen, den Berufsstand der Journalisten zu kritisieren. N-tv meint auch zu wissen, warum: „Von vielen Journalisten wird er regelmäßig als Experte herangezogen.“

Aber was für ein fatales Missverständnis ist das bei Drosten, daraus abzuleiten, er sei deshalb kompetent in Journalismus?

Der Virologe ruft in seiner Laudatio dazu auf, dass der Journalismus nach der Pandemie nicht mehr derselbe sein dürfe. Er fordert also, was Medien wie reitschuster.de schon seit Beginn der Pandemie einklagen. Er meint es natürlich ganz anders und als klassische Projektion.

Drosten verdreht sich die Realität auf ähnliche Weise wie die Preisverleiher, wenn die ausgerechnet einem Jan Böhmermann einen Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis verleihen. Nein, das ist nicht besonders kühn, denn der Namensgeber kann sich ja nicht mehr dagegen wehren.

Versteinertes Publikum ohne Masken

Aber bleiben wir noch einen Moment bei der Laudatio von Christian Drosten: Eng beisammen sitzt das Publikum, man sieht Frank Plasberg, Jan Böhmermann, Tom Buhrow, Sandra Maischberger, Deniz Yücel und andere – Masken sieht man keine. Klar, so eine ehrwürdige Preisverleihung ist mehr als ein Einkauf mit Maskenpflicht beim Aldi ums Eck.

Die Misere der Pandemie würde nicht erfasst „in Twitterschlachten“ oder „Meinungsartikeln“, bringt sich Drosten in Stimmung, sie läge auf den Gesichtern der Patienten, „ihrer Kinder und Lebenspartner“, so der Star-Virologe, der noch einmal das flächendeckende Impfen dringend macht, um das Gesundheitssystem vor einer Überlastung zu schützen, wie er meint.

Aber diese Veranstaltung ist keine weitere Folge der unzähligen Drosten-Podcasts seit Beginn der Ausrufung der Pandemie. Hier geht’s um Journalismus. Und Christian Drosten liefert ab: Das prominente Publikum schaut zu ihm auf, fast so, wie Schuljungen zum strengen Lehrer hinauf – eine fast gespenstische Szene.

Ohne zu kommentieren, liefere der Film aus der Charité „einen politischen Kommentar“, so Drosten, der sich einige Sätze zuvor noch gegen Meinungsartikel ausgesprochen hatte. Aber ein Kommentar im Journalismus ist nun mal ein Meinungsbeitrag. Es gibt demnach solche und solche. Die Guten, die Bösen, die geimpften und die ungeimpften Kommentare gewissermaßen.

Hier muss man sich gar nicht mehr fragen, ob eventuell diese vierteilige Dokumentation aus der Charité-Intensivstation einen politischen Zweck verfolgte, Drosten selbst macht den Film zu einem „politischen Kommentar“ – natürlich im Sinne des Corona-Regimes der Bundesregierung unter Drostens gesalbter wissenschaftlicher Beratung.

Ein Wunder, dass sich der Virologe nicht gleich noch als Bundesgesundheitsminister versus Karl Lauterbach in Stellung bringt, aber im Moment der Laudatio ist er oberster Journalist, er kann alle Rollen.

Drostens Wahrheit versus Meinungsjournalismus

Die „Wahrheit, die Wirklichkeit“ wie im Film käme „im Unterhaltungsjournalismus ebenso wenig vor, wie in Meinungskolumnen“, so Drosten.

Die Katze ist aus dem Sack, es geht um nicht weniger als die eine Wahrheit. Drosten selbst macht sich zum Gralshüter dieser Wahrheit und die fragenden Journalisten haben zu lauschen und zu folgen.
Das aber passiert doch schon regelmäßig. Warum mahnt Drosten es noch an? Will er jetzt die totale Gefolgschaft?

Auf der Intensivstation hätten die Mitarbeiter die Fähigkeit entwickelt, Dinge unkommentiert zu belassen. Das macht Drosten vom Podium herunter übertragend zum Auftrag an die Journalisten. Will er ihnen ein Schweigegelübde abnehmen? Ist das schon Größenwahn oder noch Selbstherrlichkeit?

„Die Realität, das Virus, gehorcht keiner persönlichen Meinung. Es schafft Fakten.“, peitscht der Gralshüter der Wahrheit auf dem Höhepunkt seiner Laudatio seinen überwiegend öffentlich-rechtlich tätigen Zuschauern im Saal ein. Und er fordert eine „Nachbesinnung“. Die sei nach der Pandemie nicht nur in Politik und Wissenschaft wichtig, sondern „unbedingt auch im Journalismus“ nötig.

„Unsere Realität ist das, was die Medien uns spiegeln“. Sätze, die nach Erkenntnis klingen. Tollkühn ist das von Drosten: Er nimmt die Argumente der Kritiker auf, um sie gegen diese zu richten.

„Wie viel Zuspitzung ist möglich. Wie stark darf man personalisieren, um ein regulatives Ziel zu erreichen?“, so Drosten, dessen Auftritt nicht ausschließlich kurios wirkt, sondern auf bedrückende Weise in der Filmaufnahme des WDR auch totalitär.

Die finale Mahnung an den Journalismus und damit – man will es herausgehört haben – insbesondere an das neue Fernsehformat der Bildzeitung (hier kommen auch Kritiker zu Wort) – formuliert Christian Drosten als Frage:

„Darf es in den Unterhaltungsformen des Journalismus ein Teilen und Herrschen geben, also das Teilen von Meinungen zur Beherrschung eines Marktanteils? In einer Pandemie kostet unverantwortliches Handeln Menschenleben (…) Mediziner wissen das.“

Aber was soll das jetzt sein? Sind kritische Journalisten für Christian Drosten sogar potentielle Mörder? Im Saal bleibt es auch trotz dieser mutmaßlichen Ungeheuerlichkeit mucksmäuschenstill. Die Köpfe bleiben hochgereckt zum Corona-Messias. Dann applaudiert der ganze Saal.

 

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.


Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

Bild: Screenshot WDR
Text: wal

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